»Alpträume hier draußen am Abgrund sind nichts Neues«, antwortete Schwejksam vorsichtig. »Die Dunkelwüste ist noch immer sehr mysteriös. Wir wissen nicht einmal, ob zu große Nähe den Verstand beeinflußt, und wir sind jetzt bereits recht lange hier draußen.«
»Das dachte ich im ersten Augenblick auch, Sir«, sagte Creutz. »Wir alle dachten das. Dieses Phänomen wurde schon häufiger und von anderen Schiffen beobachtet, die sich zu lange in der Nähe des Abgrunds aufgehalten haben. Plötzlich sieht oder hört man Dinge. Üblicherweise wird es als Kabinenfieber diagnostiziert. Der Schiffsarzt gibt den Männern und Frauen ein paar Beruhigungsmittel, und das stellt die Leute ruhig, bis man den Rand wieder hinter sich gelassen hat. Aber ich habe einige genauere Überprüfungen durchgeführt, Sir. Als ich die Bänder der Zentrale noch einmal abhörte, und zwar die Stellen, an denen ich laut meinen Instrumenten diese Stimmen gehört habe, da waren keine Signale zu erkennen. Nichts. Absolute Stille.«
Schwejksam hob eine Augenbraue. »Vielleicht eine Form von ESP-Kommunikation?«
»Der Schiffsesper sagt nein, Sir. Wenn an Bord oder auch nur in der Nähe des Schiffes psionische Energien außer seinen eigenen existierten, dann würde er es wissen. Aber das ist noch nicht alles. Es… es ist schwierig, diese Geräusche aufzuzeichnen, Sir. Sie sind häufig nicht deutlich genug, um etwas zu verstehen. Aber während Ihr nicht auf der Brücke wart, fing ich eine ganze Reihe von Signalen auf, und diesmal gelang es mir, sie mit dem Recorder aufzuzeichnen. Hört selbst, Kapitän.«
Creutz drehte sich zu seiner Konsole um und tippte einen Befehl in die Tastatur. Ein lautes Knistern erfüllte mit einemmal die Zentrale, Statik, die aus den Lautsprechern drang. Schwejksam bemerkte, daß jeder in der Zentrale ebenfalls aufmerksam lauschte. Die Gesichter seiner Leute waren starr von Anspannung und kaum verhohlener Furcht. Schwejksams Unterleib zog sich erneut zusammen. Was, zur Hölle, konnte denn an ein paar Stimmen so furchteinflößend sein? Und dann erklang eine Stimme zwischen dem Rauschen der Statik. Eine kalte, tote Stimme, doch sie klang entschlossen, sich Gehör zu verschaffen.
»Es ist dunkel hier. Die Vögel brennen.«
Eine kurze Pause, dann ertönten weitere Stimmen. Eine nach der anderen, verschiedene, langsame, verhaltene Stimmen, alle vom gleichen verzweifelten Drang besessen, sich Gehör zu verschaffen.
»Helft mir! Helft mir! Irgend etwas hält meine Hand fest und läßt nicht mehr los!«
»Es kommt! Es kommt in Eure Richtung, und niemand kann es aufhalten.«
»Es beobachtet dich von hinter dem Spiegel.«
»Höre auf mich! Tote Hände schlagen gegen deine Mauern!
Höre auf mich!«
»Sie kommen. Sie kommen aus der Dunkelheit, und sie kommen in einem Totenschiff.«
Die letzte Stimme brach abrupt ab, und dann war nur noch das statische Rauschen zu hören. Creutz schaltete die Aufzeichnung ab und drehte sich wieder zu Schwejksam um.
»Was auch immer es sein mag, Sir, es wird schlimmer. Bis jetzt sind das hier die deutlichsten Aufnahmen. Ich habe versucht, die früheren Aufzeichnungen mit Hilfe der Lektronen zu verstärken, aber es hat nichts gebracht. Fast, als hätte der Rechner nichts hören können. Ich hatte keine Ahnung, wie weitläufig das Problem inzwischen geworden war, bis ich herumzufragen begann. Ich glaube, keiner hat gewußt, was es war.
Jeder dachte, er würde allmählich verrückt, und niemand hat mit jemand anderem darüber gesprochen.«
»Was Ihr da aufgezeichnet habt…, ist es typisch für das, was die Stimmen sagen?« erkundigte sich Schwejksam zögernd.
»Ziemlich, jawohl, Sir. Alles ergibt eine Art Sinn, aber was es bezwecken soll, weiß der Himmel allein.«
»Und was meint Ihr, woher die Stimmen kommen?« fragte Schwejksam.
Creutz’ Gesichtszüge spannten sich, doch sein Blick blieb fest. Als er antwortete, klang seine Stimme ruhig und leidenschaftslos. »Ich denke, es sind die Stimmen der Toten, Sir. Sie versuchen verzweifelt, mit uns in Verbindung zu treten. Sie wollen uns warnen… vor irgend etwas. Einige der Besatzungsmitglieder, mit denen ich mich unterhielt, behaupteten, manche Stimmen erkannt zu haben. Sie stammen allesamt von Leuten, von denen bekannt ist, daß sie tot sind. Freunde oder Verwandte. Menschen, die lange nicht mehr leben. Ich hörte meinen Großvater. Er war Besatzungsmitglied der Verfechter, die vor mehr als hundert Jahren hier draußen am Rand der Dunkelwüste verschwand. Und jetzt, wo wir uns im gleichen Sektor befinden, scheint alles wieder von vorn zu beginnen.
Die Stimmen der Toten, die verzweifelt versuchen, mit uns in Kontakt zu treten und uns zu warnen, bevor es zu spät ist. Bevor Ihr etwas sagt, Kapitän: Ja, ich weiß genau, wie das in Euren Ohren klingen muß. Aber wir alle haben diese Stimmen gehört, Sir. Habt Ihr denn nichts gespürt? Habt Ihr gar nichts Seltsames gehört oder bemerkt in den langen Stunden der Nacht?«
»Nein«, erwiderte Schwejksam. »Ich kann beim besten Willen nicht sagen, daß ich etwas bemerkt hätte.« Er blickte fragend zu Frost. Sie schüttelte entschieden den Kopf. Dann blickte er zur anderen Seite. »Stelmach?«
»Ich bin nicht sicher, Sir«, antwortete der Sicherheitsoffizier zögernd. »Ich habe meinen Vater gesehen, aber ich dachte die ganze Zeit über, es wären nur meine Träume gewesen. Und einmal, als ich am frühen Morgen wach wurde, dachte ich, meine Schwester wäre im gleichen Zimmer. Sie stand über mir, über mein Bett gebeugt, und sie… beschützte mich vor irgend etwas.«
»Also schön«, sagte Schwejksam. »Wir wollen nicht vom Thema abschweifen. Ich bezweifle nicht, daß wir es mit einem höchst realen Phänomen zu tun haben. Aber was auch immer Ihr hört, es sind ganz sicher nicht die lieben Verstorbenen, die auf ein Schwätzchen vorbeigekommen sind. Ich vermute eher, daß wir es mit einer Form von psionischer Kommunikation zu tun haben, die uns völlig unbekannt ist und die der Verstand als Stimmen oder Gefühle interpretiert. Vor einigen Jahren gab es einen Bericht darüber, dessen Inhalt eigentlich jedermann an Bord vertraut sein sollte… Es ging um die Möglichkeit, daß sich in der Dunkelwüste neue Lebensformen entwickeln. Der Urheber des Berichts war der Meinung, daß in den Abgründen der Dunkelwüste, zwischen den gefrorenen Planeten, gewisse Lebensformen entstehen könnten. Eine neue Form von Leben, möglich nur durch die unnatürlichen Bedingungen, die in der Dunkelwüste herrschen. Und wenn das niemanden berührt, wie wäre es damit; ein subtiler Angriff der Fremden? Wir rechnen damit, daß weitere Schiffe der Fremden durch die Dunkelwüste hindurch in das Imperium einzudringen versuchen. Es könnte sich also sehr gut um eine neue Art psionischer Waffe handeln, die speziell dazu geschaffen wurde, uns zu ängstigen und zu verwirren. Und wie es aussieht, ist es eine verdammt wirksame Waffe.«
Schwejksam ließ den Blick über die Brücke schweifen. Er konnte sehen, wie seine Ideen Wurzeln schlugen. Die Männer und Frauen blickten sich an, lächelten und entspannten sich, während sie über seine Vorschläge nachdachten und sich mit ihnen anfreundeten. Ein leises Gemurmel setzte ein, als die Furcht sichtbar von ihnen abfiel. Selbst Creutz nickte zustimmend. Schwejksam ließ sie für ein paar Minuten reden und lachen, bevor er wieder Disziplin anmahnte.
»Creutz, aktiviert die Langstreckensensoren«, befahl er schließlich. »Wenn sich dort draußen in der Dunkelwüste ein fremdes Schiff versteckt, dann will ich es wissen.«
Creutz nickte und beugte sich unverzüglich über seine Konsole, um die Sensoren hochzufahren. Er hatte sie bisher nicht benutzt, weil sie so gewaltige Mengen an Energie verbrauchten, aber theoretisch konnten sie ein Sandkorn noch in einer Entfernung von einem halben Lichtjahr entdecken. Schwejksam lehnte sich zurück und überließ Creutz die Ortung. Die Chancen, daß er etwas fand, standen nicht besonders hoch, doch die Arbeit an der Ortungsanlage sollte ein Stück dazu beitragen, daß die Mannschaft sich besser und vor allem sicherer fühlte.