Schwejksam funkelte ihn böse an. »Geisterschiff, Pestschiff… Ihr seid wirklich ein aufmunternder Bursche, Mister Creutz, wißt Ihr das? Wir werden einen Blick aus der Nähe riskieren.
Alarmstufe Rot bleibt bestehen, und die Langstreckensensoren sollen weitersuchen. Wenn dort draußen ein Schiff war, dann kann es auch ein zweites geben, und ich will nicht, daß es uns überrascht, während wir abgelenkt sind. Investigator, stellt eine Entermannschaft zusammen. Ihr und ich werden die Pinasse nehmen und übersetzen. Wir werden nachsehen, was es mit der Verfechter auf sich hat.«
»Ich schätze, ich verschwende nur meinen Atem, wenn ich darauf hinweise, daß Ihr als Kapitän Euer Leben nicht durch das Betreten eines fremden Schiffes riskieren solltet?« sagte Frost.
»Da schätzt Ihr richtig, Investigator«, erwiderte Schwejksam.
»Was auch immer an Bord des anderen Schiffs wartet – ich benötige Informationen aus erster Hand, bevor ich eine Entscheidung treffen kann. Stelmach, mögt Ihr uns vielleicht begleiten?«
»Nein, wirklich nicht«, entgegnete Stelmach. »So hoch ist mein Sold nicht, als daß ich mich für derartige Missionen freiwillig melden würde. Genaugenommen ist kein Sold hoch genug. Ich wünsche Euch eine gute Reise, Kapitän. Ich warte hier auf Eure Rückkehr.«
»Kapitän«, sagte Creutz, »bitte um Erlaubnis, mich der Entermannschaft anschließen zu dürfen. Wenn das wirklich die Verfechter ist, das Schiff meines Großvaters…«
»Wir benötigen keinen Kommunikationsoffizier«, unterbrach Frost.
»Aber vielleicht benötigen wir jemanden, der eine falsche Verfechter von einer echten unterscheiden kann«, widersprach Schwejksam. »Also schön, Creutz, macht Euch bereit. Ihr seid dabei. Auf geht’s, Leute.«
Sie setzten in der Pinasse zu dem Schiff über, das vielleicht die vermißte Verfechter war. Schwejksam, Frost, Creutz und sechs Sicherheitsleute, alle in Hartanzügen. Die Sensoren der Unerschrocken hatten ganz eindeutig gezeigt, daß an Bord der Verfechter kein Lebenserhaltungssystem arbeitete. Schwejksam schaltete sich über sein Komm-Implantat in die Sensoren der Pinasse und betrachtete die Verfechter nachdenklich, während sie sich langsam näherten. Es war, als würde die Außenhülle der Pinasse durchsichtig werden, wohin Schwejksam auch sah, und ihm freien Ausblick auf das mysteriöse Schiff gewähren.
Im Vergleich zu den modernen, schlanken Sternenkreuzern wirkte es schwerfällig und plump. Die alte C-Klasse war ein Kompromiß zwischen Geschwindigkeit und Bewaffnung gewesen und hatte sich am Ende als untauglich in beiderlei Hinsicht erwiesen. Deswegen hatte man sie relativ bald gegen die D-Klasse ausgewechselt. Trotzdem war die Verfechter so etwas wie eine Legende in der Flotte. Sie hatte zu den Imperialen Erkundungsschiffen gehört, die sich am weitesten vorgetastet und neue Welten nach fremden Zivilisationen abgesucht hatten.
Vierzehn kolonisierbare Welten hatte sie in ihrer kurzen Dienstzeit entdeckt, bevor sie einmal zu oft zum Abgrund gereist war und niemals wiederkehrte.
Bis heute. Schwejksam konnte nicht anders, als sich zu fragen, ob es wirklich nur Zufall war, daß die Verfechter ausgerechnet zu einem für das Imperium so kritischen Zeitpunkt wieder auftauchte. Wie eine Botschaft aus der Vergangenheit, als vieles noch anders ausgesehen hatte. Schwejksam schob den Gedanken beiseite. Er hatte geschworen, dem Eisernen Thron zu dienen, gleichgültig, wer gerade darauf saß, weil es das Imperium war, das beschützt und erhalten werden mußte.
Alle Alternativen waren schlimmer. Lieber eine korrupte Zivilisation als ein zerstörtes Imperium, das in Barbarei versank.
Schwejksam verdrängte auch diesen Gedanken und konzentrierte sich auf das gewaltige Raumschiff, das wie ein großer weißer Wal in einem schwarzen Meer vor ihm hing. Langsam wurde es größer und füllte den umgebenden Raum aus, bis Schwejksam den Abgrund und die dahinterliegende Dunkelwüste nicht mehr sehen konnte. Schließlich verharrte die Pinasse auf der Stelle, nur ein paar Meter von der Hülle der Verfechter entfernt.
»Versucht ein letztes Mal, über die Standardfrequenzen mit ihr in Kontakt zu treten«, sagte Schwejksam leise, ohne die Augen von der riesigen metallenen Wand vor sich zu nehmen.
»Noch immer keine Antwort, Kapitän«, erwiderte Creutz nach einer ganzen Weile. »Die Sensoren der Pinasse bestätigen eindeutig, daß nirgendwo an Bord Lebensformen anzutreffen sind.«
»Versucht die Luftschleuse der Verfechter mit einem allgemeinen Überlagerungssignal zu öffnen«, befahl Schwejksam.
Creutz beugte sich über seine Instrumente und schüttelte schließlich den Kopf. »Keine Reaktion, Sir. Alle Systeme scheinen abgeschaltet zu sein. Wir werden sie manuell öffnen müssen.«
»Das überrascht mich nicht.« Schwejksam unterbrach die Verbindung zu den Sensoren der Pinasse, und die Außenhülle des Beibootes wurde wieder undurchsichtig. Er blickte seinen Leuten einen nach dem andern in die Augen, damit sie sehen konnten, wie ruhig und selbstsicher ihr Kapitän war. »Also schön, Männer, aufgepaßt. Wir nehmen die Hartanzüge und verlassen die Pinasse durch die Schleuse. Investigator Frost wird vorausgehen. Wir befinden uns direkt neben der Hauptschleuse der Verfechter, also müssen wir nichts weiter tun als rausgehen und sie öffnen. Creutz wird die Luke manuell betätigen, und dann wird Frost als erste die Schleuse betreten. Sie wird allein gehen und die Situation analysieren. Sobald sie meldet, daß alles in Ordnung ist, werden wir ihr einer nach dem anderen folgen, so rasch wir können. Niemand weiß, in welchem Zustand der Mechanismus nach dieser langen Zeit ist, und ich will nicht, daß irgend jemand draußen zurückbleibt.«
»Was machen wir, wenn Investigator Frost etwas zustößt?« fragte Creutz.
»Dann zieht Ihr Euch zurück zur Unerschrocken und blast die Verfechter aus dem All«, erklärte Frost. »Weil Ihr so sicher wie die Hölle nicht damit fertig werdet, wenn ich es nicht schaffe.«
»Sobald wir im Innern sind«, fuhr Schwejksam fort, als hätte die Unterbrechung nicht stattgefunden, »machen wir uns auf den Weg zur Brücke und aktivieren alle Systeme, die noch funktionsfähig sind. Wir bleiben zusammen, aber ohne zu drängeln. Und haltet die Augen offen. Die Verfechter ist als gegnerisches Schiff zu betrachten, bis wir zu anderen Schlüssen gelangt sind. Ihr seid autorisiert, mit Waffengewalt gegen alles vorzugehen, was sich bewegt, mit Ausnahme natürlich Eurer Mannschaftskameraden. Also werdet nicht leichtsinnig.
Frost, Ihr geht voraus.«
Frost nickte und trat an die innere Schleusenluke der Pinasse.
Eine kurze Pause entstand. Jeder zog seinen Helm auf und stellte sicher, daß die Dichtungen saßen. Schließlich öffnete Frost die Luke und trat in die Schleuse, gefolgt von Schwejksam und Creutz. Die drei Hartanzüge füllten die kleine Kammer beinahe vollständig aus. Geduldig warteten sie, bis die Luft abgepumpt war, und dann betätigte Frost den Mechanismus für die Außenluke. Sie glitt langsam, beinahe gemächlich zur Seite und gab den Blick auf die Hülle der Verfechter frei, kaum einen Meter voraus. Schwejksam winkte Frost zu, und sie trat an die äußerste Kante der Schleuse vor. Dann streckte Frost die Hand nach dem kleinen Rad aus, das an der Außenluke der Verfechter angebracht war, und suchte nach festem Halt.
Schwejksam trat hinzu, um ihr Unterstützung zu gewähren, sobald sie zu drehen anfing. Die künstliche Schwerkraft an Bord der Pinasse reichte nicht über die Luftschleuse hinaus.
Frosts gepanzerter Handschuh schloß sich um das Rad und drehte es Zentimeter um Zentimeter. Langsam schoben sich die Lukentüren zur Seite, und plötzlich flammte helles Licht in der Schleuse auf. Schwejksam entspannte sich ein wenig. Zumindest einige der Systeme der Verfechter schienen noch zu funktionieren. Die Türen schoben sich weiter zur Seite, und schließlich war Frost imstande, sich durch den Spalt in die Schleusenkammer der Verfechter zu schieben. Die Türen schlossen sich wieder, und jetzt konnte Schwejksam nur noch warten. Aber er konnte Frosts Anwesenheit durch die gemeinsame mentale Verbindung spüren, und Frosts Gelassenheit half ihm, die Ruhe zu bewahren.