Toby schniefte. »Diese Wachen sind hochbezahlte Söldner, die gelernt haben, ihre Gegner in der kurzmöglichen Zeit in Einzelteile zu zerlegen, und sie sind deswegen schon per definitionem nicht wirklich menschlich. Ich gehe jede Wette ein, daß sie einen verdammten Batzen mehr Geld für ihre Arbeit bekommen als Ihr oder ich. Und diese verdammte Fabrik treibt mich in den Wahnsinn. Die meisten Anlagen arbeiten automatisch, und die wenigen Klone, die den Rest erledigen, sind noch weniger menschlich als die verdammten Wachen.«
Flynn zuckte die Achseln, und die Kamera umklammerte seine Schulter mit ihrem Klauenfuß, um das Gleichgewicht zu behalten. »Klone werden nicht wegen ihrer sozialen Fähigkeiten beschäftigt. Sie sind manipuliert und konditioniert, um ihre Arbeit perfekt zu erledigen, und sonst gar nichts. Sie sind nur hier, weil ein menschlicher Entscheidungsträger zu allen Zeiten in den Prozeß eingreifen können muß. Man darf nicht alles den Lektronen überlassen. Nicht mehr seit der Rebellion von Shub.«
»Wir schneiden die letzten Sekunden meines Berichts vom Band«, ordnete Toby an und wandte sich vom Monitor ab.
»Habe ich etwas Wichtiges vergessen?«
»Nicht wirklich. Rein technisch gesehen hättet Ihr vielleicht erwähnen sollen, daß die Feldglöcks den Ball hier ins Rollen gebracht haben, bevor die Wolfs alles übernahmen. Und Ihr hättet noch erwähnen können, daß es einige Probleme mit einheimischen Terroristen gibt, die aber ganz ohne Zweifel bald erledigt sein werden.«
»Nein, hätte ich nicht«, widersprach Toby entschieden. »Die Wolfs hätten es sowieso zensiert. Außerdem müssen wir für eine einführende Reportage nicht so in die Tiefe gehen. Lassen wir es dabei bis zu den Interviews, und dann werde ich versuchen, das Thema zur Sprache zu bringen. Obwohl ich sicher bin, daß nichts auch nur entfernt Gutes über den Feldglöck-Clan den letzten Schnitt überstehen wird. Nicht, daß es eine Rolle spielt. Die Wolfs haben die Feldglöcks besiegt, und niemand mag einen Verlierer. Die wenigen noch lebenden Feldglöcks sind ungefähr so beliebt wie ein Furz in einer Luftschleuse. Laßt uns reingehen, Flynn. Ich spüre meine Finger nicht mehr, und meine Füße sind ebenfalls kurz vor dem Erfrieren. Außerdem kann das Wetter innerhalb eines einzigen Augenblicks noch ein ganzes Stück ekelhafter werden, wenn ihm danach ist. Gott, wie sehr ich mich nach Golgatha zurücksehne. Selbst bei Hof war es sicherer als hier.«
»Warum seid Ihr dann hier?« erkundigte sich Flynn. »Ihr seid nie mit der Sprache herausgerückt, was Ihr getan habt, um den alten Shreck höchstpersönlich so wütend auf Euch zu machen.«
»Ich muß Euch überhaupt nichts erzählen«, entgegnete Toby.
»Ihr habt mir ja noch nicht einmal Euren Nachnamen verraten.«
»Ein Name reicht für einen Kameramann vollkommen aus.
Und jetzt verratet mir endlich die Einzelheiten, oder ich lasse Euch bei der nächsten Aufnahme in verdammt schlechtem Licht dastehen.«
»Ihr seid ein Erpresser. Also schön. Im Grunde genommen liegt es an der Kirche. Sie bekam wachsende Zweifel an der moralischen Erhabenheit ihres vorgeblich so gläubigen Schafes Gregor. Ich versteckte sein zweifelhaftes Privatleben unter einer Decke des Schweigens, erfand einige gute Geschichten für die Öffentlichkeit und zahlte eine Menge Schmiergelder an Leute in den richtigen Positionen, aber die Gerüchte brodelten weiter. Irgend jemand erzählte etwas von einer vollen Inquisition, und dann hätte Gregor selbst mit all seinem Geld und Einfluß keine weiße Weste mehr kaufen können, dieser kleine ekelhafte Mistkerl. Ich sagte ihm rechtzeitig, daß er sich ein gutes Stück zurückhalten müsse, wenn er mit der Kirche ins Bett steigen wolle, aber meint Ihr, er hätte auf mich gehört?
Einen Dreck hat er. Also tat ich das einzige, was mir zu tun übrigblieb. Ich versuchte herauszufinden, wer die Inquisition leiten würde, brachte ihn mit einer hübschen Dame der Nacht aus meinem Bekanntenkreis in Kontakt, ließ der Natur ihren fröhlichen Lauf und filmte ihn dabei in allen Stellungen, um ihn hinterher zu erpressen. Woher sollte ich wissen, daß ich ausgerechnet einen der letzten wirklich ehrenhaften Kirchenmänner erwischt hatte, den es heutzutage noch gibt? Er gestand sein Fehlverhalten öffentlich und gelobte Besserung, und ich quittierte den Dienst bei Gregor, bevor er mich feuern konnte.
Und da ich wußte, daß Gregors Mißvergnügen dazu tendiert, sich in plötzlichen Gewaltausbrüchen und Mordanschlägen zu äußern, spazierte ich zu den Imperialen Nachrichten und fragte nach dem erstbesten Auftrag, den sie auf der anderen Seite des Imperiums zu vergeben hatten. So bin ich hergekommen.
Manchmal frage ich mich, ob Gregor vorher bei ihnen war.«
»Vielleicht«, erwiderte Flynn.
»Nein. So subtil ist er nicht. Dafür hat er mich schließlich bezahlt.«
»Nun, vielleicht ist der Winter ja gar nicht so schlecht, wie alle sagen. Er wird schon nicht so schlimm sein.«
Toby funkelte ihn an. »Habt Ihr die Informationsbänder nicht gesehen? Der Winter auf diesem verfluchten Planeten ist offiziell als grausame und widernatürliche Bestrafung klassifiziert worden. Die Schneestürme beginnen auf dem Niveau eines Blizzards und eskalieren dann. Die Eskimos besitzen einhundertsiebenundzwanzig verschiedene Worte für Schnee, und selbst sie haben so etwas wie hier noch nie gesehen. Wenn Ihr einen Eskimo herbrächtet und ihm den Schnee zeigtet, würde er vor Staunen wie angewurzelt stehenbleiben und ausrufen: Gott im Himmel! Sieh sich einer diesen Schnee an! Der Wind erreicht im Winter Geschwindigkeiten von fast fünfhundert Stundenkilometern. Es schneit waagerecht!« Toby hielt inne und atmete durch, um sich zu beruhigen. Sein Arzt hatte ihn ausdrücklich wegen seines Blutdrucks gewarnt – aber sein Arzt hatte ja auch noch nie Technos III gesehen. Zur Hölle, er würde nicht einmal einen Hausbesuch im Appartement seines Nachbarn machen! Toby starrte verdrießlich zum Himmel hinauf und dann zurück zur Fabrikanlage. »Wir sehen besser zu, daß wir in Deckung kommen. Bringt die Ausrüstung mit.«
»Ihr habt sie herausgebracht«, sagte Flynn. »Also bringt Ihr sie auch wieder hinein. Ich schleppe kein Zeug durch die Gegend. Das steht in meinem Vertrag. Ich bin Kameramann, und meine Kamera ist das absolut einzige, was ich trage. Ich habe es Euch bereits gesagt, bevor wir nach draußen gegangen sind.«
»Ach, jetzt macht schon«, maulte Toby. »Ihr könnt doch nicht von mir verlangen, daß ich die Scheinwerfer und den Monitor allein trage. Ihr tragt immer nur diese verdammte Kamera, und wenn sie mehr als dreihundert Gramm wiegt, fresse ich das blöde Ding.«
»Ich schleppe kein Zeug durch die Gegend«, beharrte Flynn.
»Es liegt mir einfach nicht. Wenn Ihr einen Lastesel braucht, dann hättet Ihr Euch eben einen mitbringen sollen.«
Toby funkelte Flynn wütend an. Schließlich begann er, die Scheinwerfer alleine abzubauen. »Mein Gott, Ihr Leute müßt wirklich eine verdammt starke Gewerkschaft haben.«
Daniel und Stephanie Wolf, die beiden Verantwortlichen für die Produktion des neuen Hyperraumantriebs auf Technos III und aus diesem Grund die Lords all derer, die hier arbeiteten, verhalfen sich zu einem weiteren großen Drink aus der automatischen Bar. Als Aristokraten waren sie eigentlich an den Luxus menschlicher Diener gewöhnt, doch auf einer Fabrikwelt war kein Platz für derartigen Komfort. Selbst für derart gehobene Besucher wie die beiden Wolf-Geschwister nicht. Und die Drinks waren nicht einmal sonderlich gut. Stephanie warf sich mürrisch in einen großen Massagesessel, der sofort damit begann, seine entspannende Tätigkeit aufzunehmen, bis sie ihn schließlich abschaltete. Sie hatte nicht das Bedürfnis nach Entspannung. Kardinal Kassar war auf dem Weg zu ihnen, und Stephanie hatte das unbestimmte Gefühl, daß sie all ihre Geistesgegenwart für die bevorstehende Begegnung nötig hatte.