Die Außenhülle der Rettungskapsel ächzte und stöhnte unter der Belastung, die sie zu ertragen hatte. Einer nach dem anderen fielen die Sensoren aus, bis die Besatzung praktisch blind der Oberfläche entgegentaumelte. Die Netze dämpften oder absorbierten die meisten Stöße und Erschütterungen, wahrend die Kapsel immer tiefer in die turbulente Atmosphäre von Technos III eindrang, doch die drei Rebellen wurden nichtsdestotrotz recht heftig durchgeschüttelt.
Sturm biß de Zähne zusammen und gab sich alle Mühe, seine letzte Mahlzeit bei sich zu behalten. Ohnesorg ignorierte das Rütteln einfach und konzentrierte sich auf sein weiteres Vorgehen, wenn die Kapsel endlich gelandet war. Es war das erste Mal seit langer Zeit, daß er wieder bei einer bewaffneten Rebellion mitmachte, und obwohl er sich auf seine Aufgabe freute, machte Jakob sich auch Sorgen. Es war schon sehr lange her, und er war längst nicht mehr so fit wie früher. Aber das würde ihn nicht daran hindern, alles für seine Mission zu geben. Und wenn es am Ende in die Hose gehen sollte – gab es einen besseren Weg für einen Berufsrebellen, als mit Pistole und Schwert in der Hand und einem Haufen getöteter Feinde zu seinen Füßen zu sterben? Ohnesorg schniefte säuerlich. Genaugenommen fielen ihm mindestens ein Dutzend Wege für einen besseren Abgang ein (von denen die meisten einen guten Tropfen und eine verdorbene Frau mit einschlossen), doch er bezweifelte, daß er dazu Gelegenheit haben würde. Rebellen starben eher selten im Bett.
Neben ihm lachte Ruby Reise laut, als sie in ihrem Netz hin und her geworfen wurde. Sie genoß anscheinend jede Sekunde des langen Abstiegs. Ohnesorg lächelte sie an. Eine Frau wie Ruby mußte man einfach lieben. Er überprüfte einmal mehr die Sensoren, aber sie funktionierten noch immer nicht. Der kreischende Sturm hatte die Sensorbündel der Kapsel anscheinend abgerissen.
Dann erklang der rauhe, durchdringende Ton des Alarms und meldete, daß die Landung kurz bevorstand. Ohnesorg wappnete sich innerlich. Entweder befanden sie sich dicht über der Oberfläche, oder sie würden gegen einen Berg krachen. Ruby jauchzte aufgeregt. Sturm hatte die Augen zugekniffen – als würde das einen Unterschied machen. Ohnesorg seufzte nicht zum ersten Mal und versuchte sich zu erinnern, ob es auf Technos III Berge gab. Er war nicht sicher.
Die Rettungskapsel verzögerte mit Maximalwerten, als die Maschinen ihre letzte Energie für eine weiche Landung einsetzten. Die drei Insassen wurden mit Macht in ihre Liegen gepreßt und lauschten hilflos auf die Geräusche der unter höchster Belastung knackenden Hülle. Die Beleuchtung verlosch und wich dem trüben Rot der Notlampen. Und dann krachte die Kapsel auf die metallene Oberfläche von Technos III, riß einen tiefen Graben durch den verstreuten Schrott und Abfall und kam schließlich an einer massiven stählernen Strebe zu einem unerwarteten Halt. Die Kapsel schwankte noch einmal hin und her und lag still. Der Himmel war düster und unheilverkündend, der Wind wurde von Minute zu Minute stärker, und der erste Schnee begann zu fallen.
Im Innern der Kapsel hatte Alexander Sturm die Augen noch immer fest geschlossen, während er sich daran zu erinnern versuchte, wie man atmete. Ohnesorg lag zusammengesunken auf seiner Liege und dachte nicht zum ersten Mal, daß er langsam ein wenig zu alt für diese Dinge wurde. Ruby Reise wischte sich mit der Hand über die blutige Nase und lachte glücklich.
»Das war großartig. Noch mal!«
»Nein, lieber nicht«, stöhnte Sturm, die Augen noch immer geschlossen. »Ich hatte schon mehr Spaß vor einem Erschießungskommando. Ich schlage vor, das nächste Mal benutzen wir eine Kapsel, bei der das Haltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen ist. O Gott, ich fühle mich entsetzlich. Kann mir jemand sagen, ob wir sicher gelandet sind? Ich werde mich keinen Zentimeter vom Fleck rühren, bis ich nicht weiß, daß der Sturz zu Ende ist. Und ich will es schriftlich. Mit Zeugen.«
»Halt die Klappe, Alex«, sagte Ohnesorg leichthin, »wir sind heil gelandet, und das ist alles, was ich von einer Landung erwarte. Und die Landung war gar nicht so schlecht für eine Rettungskapsel, die unbenutzt und ohne Wartung seit Jahrzehnten in einem Hadenmann-Schiff herumgestanden hat, oder?«
»Hört, hört!« entgegnete Sturm. »Ich wußte doch, daß ich einen triftigen Grund hatte, mich aus dem Rebellengeschäft zurückzuziehen.«
»Du sollst die Klappe halten, Alex!« wiederholte Ohnesorg.
»Ruby, die Sensoren sind allesamt ausgefallen. Öffne doch bitte die Schleuse, und sieh nach, was uns draußen erwartet.«
Ruby schnallte sich los, salutierte zackig vor Ohnesorg und stapfte über den schiefen Boden zu der einzigen Schleuse. Ohnesorg befreite sich langsam aus seinen Gurten und zuckte mehrmals zusammen, als alte und neue Prellungen sich meldeten. Dann ging er zu Sturm, um seinen Freund davon zu überzeugen, daß er jetzt die Augen öffnen konnte. Ruby brach die Versiegelung der Schleuse und stieß die Tür nach draußen. Das Metall widerstand ihren Bemühungen für einige Sekunden, bevor es nachgab. Ein Schwall eisiger Luft und wirbelnden Schnees fuhr in die Kammer, zusammen mit ausreichend Licht, um die düstere Notbeleuchtung noch düsterer wirken zu lassen.
Sturm öffnete endlich die Augen.
»Oh, wunderbar«, sagte er. »Wir sind mitten in einer Geburtstagstorte gelandet.«
»Halt die Klappe, Alex. Ruby, wie sieht’s draußen aus?«
»Kalt«, erwiderte Ruby fröhlich. »Und es schneit heftig genug, um eine ganze Armee von Schneemännern zu bauen. Was ich persönlich gar nicht einmal so schlecht fände. Nirgendwo ein Anzeichen von einem Empfangskomitee.«
Ohnesorg legte die Stirn in Falten. »Nach den wenigen noch funktionierenden Instrumenten zu urteilen, sind wir an der richtigen Stelle gelandet, mehr oder weniger jedenfalls. Zweifellos werden unsere Kontaktleute bald hier sein. Sie müssen unsere Landung gesehen haben. Beeilung, Alex, schwing das Tanzbein. Wir haben eine Revolution zu organisieren.«
»Mir hat die Arbeit vor Ort nie sonderlich gefallen«, murrte Sturm und bewegte sich ächzend in Richtung Schleuse. »Verdeckte Operationen sind eine Angelegenheit für jüngere Leute.
Üblicherweise jüngere Leute, die man nicht zu sehr vermißt, wenn sie auffliegen.«
»Heul nicht gleich los«, sagte Ohnesorg und schob Sturm halb durch die Schleuse. »Man könnte glatt meinen, du wärst nicht glücklich darüber, hier zu sein und für Frieden und Freiheit zu kämpfen.«
»Damit hätte man verdammt recht«, erwiderte Sturm und verstummte, als die Kälte ihn mit voller Wucht traf.
Die drei Rebellen suchten im Windschatten der Rettungskapsel Zuflucht vor dem Orkan. Der Boden verschwand bereits unter einer dicken Schneeschicht, und der Sturm wurde von Minute zu Minute stärker. Sie drehten die Heizelemente ihrer Anzüge auf maximale Leistung und drängten sich eng aneinander. Die Kälte war bitter genug, um ihnen die Luft zu rauben.
Ihr Atem kondensierte schwer vor ihren Gesichtern. Es schneite so heftig, daß der Himmel nicht mehr zu sehen war. Angeblich war hier erst Mittag, doch es gab kaum genug Licht, um die Hand vor Augen zu sehen. Ohne sorg spürte, wie Sturm neben ihm vor Kälte zitterte, und er begann sich Sorgen zu machen. Sturms alte Knochen würden diese Temperaturen nicht lange aushalten. Ohnesorg machte das Klima nicht so sehr zu schaffen, aber schließlich war er auch im Labyrinth des Wahnsinns gewesen.
»Unterbrich mich, wenn ich etwas Dummes sage«, begann Sturm, »aber warum können wir nicht im Innern der Kapsel warten? Es ist viel wärmer als hier.«