Wir müssen verhindern, daß diese Fabrik den Betrieb aufnimmt. Es ist unsere einzige Hoffnung.«
»Klingt jedenfalls logisch«, sagte Ohnesorg rasch. »Dieses Vorgehen ist heutzutage zu einer bedauerlichen Gewohnheit im gesamten Imperium geworden, obwohl dieser Fall vielleicht ein wenig extremer ist als die meisten. Erzählt mir etwas über das Wetter. Nach meinen Informationen soll es recht ungewöhnlich sein.«
»So kann man es auch nennen«, sagte der Lange John. »Seit die Kyberratten vor inzwischen mehr als zweihundert Jahren die Wettersatelliten manipuliert haben, dauern die Jahreszeiten exakt zwei Tage. Die verschiedenen Besitzer von Technos III versuchen seit Jahrzehnten, die Satelliten zu reparieren, aber bisher hatten sie kein Glück. Der größte Teil des eingeborenen Lebens konnte sich nicht anpassen und ist ausgestorben. Das wenige, das überlebte, ist extrem hart und nicht weniger exzentrisch. Im Winter fällt alles mit einer Spur von Vernunft in Tiefschlaf. Im Frühling wacht alles mit explosiver Energie auf und pflanzt sich fort, Leben, Aufzucht und Revierkämpfe finden im Sommer statt. Im Herbst schließlich fressen sich alle rund und bauen Nester tief unter der Oberfläche, wo sie vor den Eisstürmen und Orkanen des Winters sicher sind. Im Winter fällt alles in Schlaf, und im nächsten Frühjahr beginnt der Kreislauf wieder von vorn. Das Leben hier hat keine Chance, wenn es nicht anpassungsfähig ist. Und es hat seit Jahrhunderten Übung darin.
Das ist Technos III, auf einen Nenner gebracht. Der perfekte Urlaubsort. Bringt die Kinder mit. Natürlich kümmert sich der Krieg einen Dreck um derlei Nebensächlichkeiten wie die Jahreszeiten. Er geht einen um den anderen Tag weiter, ganz gleich, wie das Wetter draußen gerade ist. Ihr seid zwischen Herbst und Winter eingetroffen; das kommt einer ruhigen Zeit am nächsten. Unsere Leute nehmen genauso wie die Söldner der Wolfs die Gelegenheit wahr, um Atem zu schöpfen, Rache zu planen und die Toten zu begraben. Aber glaubt nur nicht, Ihr könntet Euch entspannen. Ihr habt vielleicht zwei Stunden, bevor das Töten weitergeht. Also willkommen in der Hölle, meine werten Herren und verehrte Kopfgeldjägerin. Vielleicht können wir jetzt zu den wichtigen Fragen übergehen? Zum Beispiel, wann kommt der Rest von Euch? Wie viele Männer könnt Ihr uns schicken? Wie steht es mit Waffen?«
Sturm und Ruby Reise blickten Ohnesorg an. Jakob seufzte und begegnete dem Blick des einheimischen Rebellen so gelassen, wie er nur konnte. »Ich fürchte, es gibt keine Armee. Noch nicht jedenfalls. Der Untergrund versammelt auf Hunderten von Welten Freiwillige für die bevorstehende Revolution, aber das ist ein langwieriger Prozeß. Unsere ausgebildeten Männer sind über das gesamte Imperium verteilt, wo sie das meiste ausrichten können. Im Augenblick sind wir drei alles, was Ihr bekommt.«
»Ich glaube, ich höre nicht recht«, sagte der Lange John. Seine Stimme zitterte vor mühsam unterdrückter Wut. »Man hat uns kampferfahrene Soldaten versprochen, angeführt von dem legendären Berufsrebellen Jakob Ohnesorg. Und was schickt man uns statt dessen? Zwei alte Männer und eine professionelle Meuchelmörderin. Nennt mir einen einzigen guten Grund, warum ich Euch nicht auf der Stelle in die Kälte hinauswerfen soll, um zu erfrieren!«
Ohnesorg riß dem Langen John die Waffe aus der Hand, packte ihn mit der anderen am Kragen und hob ihn scheinbar mühelos von den Füßen. Dann hielt er ihm den Disruptor unters Kinn. Die Augen des Langen John drohten aus den Höhlen zu quellen, als er mit den Beinen vergeblich in der Luft zappelte. Bevor die herumstehenden Rebellen Zeit hatten zu reagieren, stellte Ohnesorg ihn wieder auf den Boden und gab ihm die Waffe zurück. Der Anführer nahm sie in einer automatischen Bewegung entgegen und blinzelte verwirrt. Die Rebellen warfen sich gegenseitig unsichere Blicke zu. Halsabschneider-Marie grinste breit. Ruby schniefte verächtlich.
»Die Schau ist zu Ende.«
Der Lange John gewann die Fassung zurück und nickte Ohnesorg mit einer knappen Geste zu. »Nicht schlecht für einen alten Mann.«
»Wir sind mehr, als der Augenschein vermuten läßt«, wiederholte Sturm mit sanfter Stimme Jakobs Worte.
»Das solltet Ihr besser auch«, meldete sich Halsabschneider-Marie zu Wort. »Nun gut. Wenn Ihr alles seid, was wir bekommen, dann müssen wir das Beste daraus machen. Kommt mit mir, und ich stelle Euch einigen unserer Strategen vor. Der Lumpen-Tom und die Gespenster-Alice werden sicher einige Ideen haben. Die beiden haben immer Ideen.«
»Interessante Namen benutzt Ihr hier«, sagte Sturm. »Ist das Konzept gewöhnlicher Familiennamen noch nicht bis hierher durchgedrungen?«
»Unsere Vorfahren waren eigens gezüchtete Arbeiter«, erwiderte der Lange John. »Sklaven ohne jeden Namen. Sie besaßen nur Nummern. Wir sind frei, also wählen wir unsere Namen selbst oder nehmen die an, die andere uns geben. Familiennamen sind etwas für Leute mit Familien und einer Zukunft.
Wir leben von einem Tag auf den anderen, und wir haben niemanden außer uns selbst. Auf Technos III gibt es keinen Platz für Luxus.«
In einem kleinen Turnraum innerhalb des großen Wohnkomplexes, der der Fabrik angeschlossen war, exerzierte Michael Wolf, der widerstrebende Ehemann Stephanies, am Barren.
Schweiß tropfte von seinen schwellenden Muskeln, während er sich durch die anstrengende Übung arbeitete, die seine Lektronen empfohlen hatten. Er grunzte und ächzte bei jeder Bewegung, die Augen zusammengepreßt, das Gesicht in einer Grimasse der Konzentration verzogen. Michael hatte seine Muskeln in einem Körperladen auf Golgatha gekauft, und normalerweise suchte er den Laden zu einer Überholung auf, wenn sie zu erschlaffen drohten – aber hier draußen in der Wildnis dieses Hinterweltplaneten, weitab jeder Zivilisation, hatte er seine Muskeln auf die harte Tour zu erhalten, ob es ihm paßte oder nicht. Michael haßte jede Minute seines Trainings. Es erinnerte viel zu sehr an harte Arbeit, und wenn er hart hätte arbeiten wollen, dann würde er keine Aristokratin geheiratet haben.
Michael sprang vom Barren und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Damals war ihm die Hochzeit als hervorragende Idee erschienen, doch inzwischen begann er sich zu wünschen, er wäre bei seinem Beruf als Buchhalter geblieben. Bei Zahlen wußte man stets, woran man mit ihnen war. Wenn man seine Arbeit vernünftig erledigte, dann addierten sie sich zu einer einzigen, nicht zu leugnenden Summe. Keine Argumente, keine Meinungen, kein Zwang, auf das Rücksicht zu nehmen, was irgend jemand anderes sagte. Das Leben in den Familien war da ganz anders.
Die Antwort auf jede Frage schien abhängig zu sein von demjenigen, mit dem man gerade sprach. Und der Himmel mochte einem helfen, wenn man etwas Falsches sagte. Oder schlimmer noch, sich einen Dreck darum scherte. Jeder intrigierte mit jedem, und wenn man sich für die falsche Seite entschied, war der Tod oftmals noch der einfachste Weg zu verlieren. Nicht, daß man sich für eine Seite hätte entscheiden können. Allein die Zugehörigkeit zu einem Clan führte bereits dazu, daß man Fehden, Streitigkeiten und Haß erbte, die oft Jahrhunderte zurückreichten. Michael seufzte und dachte an seine nächste Übung. Fünfzig Klappmesser. Zur Hölle damit. Sollte der Bauch halt erschlaffen. Er würde schnell genug merken, ob es ihn störte. Er seufzte erneut.
»Was ist los, Liebster?«, fragte Lily Wolf von der Tür her.
Michaels Kopf ruckte herum. Lily Wolf, die unfreiwillige Gattin Daniels, stand in ihrer Lieblingspose im offenen Eingang. Ein Bein vorgeschoben, die Brust herausgedrückt, den Kopf leicht nach hinten gelegt, wie geschaffen, seinen Blick auf ihren Körper zu ziehen, auf den großgewachsenen, geschmeidigen Leib, den gesamten Weg die sagenhaft langen Beine hinauf bis zu ihrem Schmollmund. Lily steckte in einem ihrer zahlreichen heidnischen Hexengewänder, alles wogende Seide und irdene Farben, die ihre vornehme Blässe noch betonen sollten. Sie hatte die gewohnte silberne Perücke gegen eine hellrote Lockenmähne getauscht, die nicht wirklich zu ihr paßte, aber wahrscheinlich dazu gedacht war, ihr ein zigeunerhaftes Flair zu verschaffen. Es spielte keine Rolle. Lily war wunderschön. Sie war immer wunderschön. Michael lächelte unwillkürlich. Jedesmal, wenn er sie erblickte, verliebte er sich aufs neue bis über beide Ohren in sie, auch wenn es genauso gefährlich war, als würde er eine scharfe Granate an seine Brust drücken. Jeder findet einmal in seinem Leben eine wahre Liebe. Jemanden, der die Tage erleuchtet und die Knochen weich macht wie Wachs, und so wahr Gott ihm half, Michaels große Liebe war Lily. Er griff nach einem Handtuch und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.