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Aber irgendwie hatte Toby nie den Mut gefunden, den sicheren Hafen seiner Arbeit und den Schoß der Familie hinter sich zu lassen. Seine ehrgeizigen Träume waren erst wieder erwacht, als man ihm einen Tritt gegeben hatte… Und jetzt befand er sich hier auf Technos III, und er würde die verdammt beste Arbeit abliefern, die zu leisten er imstande war.

Es war seine große Chance, sich einen eigenen Namen zu machen und nicht länger im Schatten des alten Shreck zu stehen. Eine Gelegenheit, endlich ein wenig Selbstachtung zu gewinnen. Mutter Beatrice war bekannt dafür, daß sie keine Interviews gab. Die Presse nahm ihre Haltung ernst, seit sie einen Reporter, der versucht hatte, einen ihrer Freunde durch Erpressung zum Reden zu bringen, mit einem Fleischklopfer in der Hand übers Knie gelegt hatte. Doch Mutter Beatrice war höchstwahrscheinlich die einzige Person auf dem gesamten Planeten, die Toby die ganze Geschichte verraten konnte und wollte. Die ganze Wahrheit, und zur Hölle mit den Konsequenzen. Mutter Beatrice hatte sich einverstanden erklärt, mit ihm zu sprechen… Toby trat heftig gegen den Türrahmen.

»Flynn! Seid Ihr bald fertig?«

Die Tür schwang auf, und Flynn trat heraus. Er sah aus wie ein ganz gewöhnlicher Kameramann. Die Box ruhte auf seiner Schulter wie eine schlafende Eule. Flynn wirbelte vor Toby einmal um die eigene Achse und zeigte sich in seinen ausgebeulten Hosen und der Tarnjacke. »Nun? Kann ich so gehen?«

»Ihr habt immer noch Lippenstift am Mund«, tadelte Toby mit eisiger Ruhe.

Flynn zog ein Taschentuch hervor, wischte sich damit über die Lippen und grinste Flynn an. »Besser?«

»Unwesentlich. Laßt uns gehen, bevor Mutter Beatrice ihre Meinung ändert. Oder irgend jemand anderes das für sie tut.«

Schweigend gingen Toby und Flynn durch die engen Korridore und verharrten jedesmal, wenn sie glaubten, irgend etwas zu hören. Aber niemand war unterwegs. Die meisten Menschen schliefen und vertrauten darauf, daß die elektronische Überwachung und die Wachen ihr Bestes gaben, um für eine ungestörte Nachtruhe zu sorgen. Schließlich waren die Rebellen auch an ihren erfolgreichsten Tagen niemals auch nur in die Nähe der Wohnquartiere vorgedrungen, und niemand in der gesamten Fabrik traute sich, die Wachen zu verärgern. Als Reporter, der die Fertigungsanlage in einem guten Licht erscheinen lassen sollte, besaß Toby Sicherheitsausweise für praktisch jede Zone, und einige diskrete, aber beträchtliche Bestechungsgelder würden dafür sorgen, daß niemand von seiner nächtlichen Unternehmung erfuhr. Wenigstens hoffte er das.

Toby führte Flynn bis zum nächsten Durchgang zum äußeren Sektor und blieb davor stehen, um in die schweren Felle zu schlüpfen, die neben der Tür hingen. Selbst ein vorübergehender Aufenthalt im Winter von Technos III konnte ohne entsprechenden Schutz ein tödliches Ende nehmen. Toby und Flynn warfen sich ganze Bündel von Fell und Wolle über, bis sie kaum noch gehen konnten, und traten dann zum Ausgang. Toby warf einen Blick durch das Fenster neben der Tür und zuckte zusammen. Die Luft war dick von Schnee, der von einem böigen Wind hin und her gewirbelt wurde. Er sah nicht auf das Thermometer. Toby wollte gar nicht wissen, wie kalt es draußen war. Er zog die Fellkapuze tief in die Stirn, wickelte den Schal fest über Mund und Nase, fluchte einen Augenblick still in sich hinein und zwängte die schwere Tür auf. Sie schwang langsam nach innen und gab den Blick auf eine halbmeterhohe Schneewehe frei, die sich von außen gegen den Durchgang gelegt hatte. Toby und Flynn stapften hindurch und schlurften in den Winter hinaus. Die Tür krachte hinter ihnen zu, und sie waren allein in der Nacht.

Die Kälte traf sie wie ein Hammer. Im ersten Augenblick konnten beide nichts anderes tun, als sich gegenseitig zu stützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die bitterkalte Luft versengte ihre Lungen, und der Winter ließ ihre ungeschützten Augen tränen. Der Schnee lag gut dreißig Zentimeter hoch. Unermüdlich kämpften Maschinen dagegen an und bemühten sich, ein freies Feld rings um den Komplex zu schaffen, doch der Schnee fiel schneller, als die Maschinen ihn wegschaufeln konnten. Der Wind war so stark, daß er Toby von den Beinen zu reißen drohte, und er mußte sich dagegen stemmen, um nicht zu stürzen. Die gefrierende Luft verursachte Zahnschmerzen, selbst durch den dicken, mehrfach um Hals und Gesicht geschlungenen Schal hindurch. Toby verzog das Gesicht und zog die Schultern nach vorn, als der Wind erneut die Richtung änderte. Eine Stimme in seinem Innern drängte ihn zum Umkehren und zur Flucht vor diesem alptraumhaften Wetter, doch Toby wollte nicht auf sie hören. Er war jetzt ein Reporter und einer heißen Geschichte auf der Spur, und das reichte aus, um ihn innerlich warmzuhalten.

Toby blickte suchend in das dichte Schneegestöber ringsum.

Außerhalb der Leuchtweite der Scheinwerfer herrschte nur tiefe Finsternis. Es gab zwei kleine Monde und Sterne am Himmel, doch sie waren hinter dichten Wolken und heftigem Schneefall verborgen. Ein Stück weit draußen in der Nacht schimmerte aufsässig ein schwacher Lichtfleck rings um ein flaches Gebäude ohne Fenster. Toby klopfte Flynn auf den Arm und deutete in die Richtung, und die beiden Männer stapften durch den tiefen Schnee voran. Flynns Kamera schwankte geduckt tief hinter seinem Rücken, wo sie vor Wind und Schnee geschützt war.

Das flache Gebäude entpuppte sich als langgestrecktes Zelt aus metallischem Gewebe, auf dem das vertraute rote Kreuz der Barmherzigen Schwestern abgebildet war. Wie auf so vielen Schlachtfeldern im gesamten Imperium, so war das Zelt auch hier ein Hospital für alle, die es benötigten. Die Schwestern ergriffen keine Partei. Der Fabrikkomplex bot nur für eine kleine Krankenabteilung Raum, und lediglich Offiziere wurden dort versorgt. Die Fußsoldaten, Sicherheitsleute und Söldner waren auf das Erbarmen der Schwestern angewiesen. Die Offiziere hofften, ihren Männern auf diese Weise einen zusätzlichen Anreiz zu geben, sich nicht verwunden zu lassen.

Es war ein großes Zelt, und während Toby und Flynn durch den Schnee darauf zugingen, schien es stetig zu wachsen. Sie waren noch nicht weit gekommen, doch Tobys Oberschenkel schmerzten bereits vor Anstrengung vom ständigen Kampf gegen den unbeständigen Sturm und die hüfthohen Schneewehen. Schweiß rann ihm über die Stirn, gefror zum Teil in den ungeschützten Brauen und brannte ihm in den Augen. Toby hatte das Fluchen bereits vor einer Weile aufgegeben. Er benötigte seinen Atem noch.

Nach einigen Minuten hielt er am einen Ende des langgestreckten Zeltes an und fand sich vor einer recht stabil wirkenden Metalltür mit einer beschrifteten Klingel wieder. Er hämmerte mit der Faust auf den Knopf, weil er seine Finger nicht mehr spüren konnte, und ein Schirm in der Tür leuchtete auf.

Der verschleierte Kopf und die Schultern einer Schwester wurden sichtbar. Sie wirkte alles andere als erfreut, ihn zu sehen.

Toby griff in seine Felle, zog den Presseausweis hervor und hielt ihn so, daß sie ihn vom Schirm aus betrachten konnte. Die Schwester rümpfte die Nase, und der Schirm wurde dunkel.

Toby und Flynn wechselten einen unsicheren Blick. Jetzt nachdem sie sich nicht mehr angestrengt durch den Schnee vorankämpfen mußten, zitterten beide unkontrolliert vor Kälte.

Dann schwang die Tür nach innen, und Licht und Wärme ergossen sich nach draußen in die Nacht. Toby und Flynn beeilten sich, in das behagliche Innere zu treten, und die Tür krachte hinter ihnen zu.

Toby zog den Schal vom Mund und warf die Fellkapuze in den Nacken. Seine Augen tränten, während sie sich an das Licht und die Wärme gewöhnten. Gegenseitig klopften er und Flynn sich den Schnee von den Schultern, und dann wandte Toby sich zu der Schwester um, die ihn eingelassen hatte, und lächelte sie schmeichlerisch an. Es war nie verkehrt, freundlich zu einer Barmherzigen Schwester zu sein. Sie besaßen ein langes Gedächtnis, und man konnte nie wissen, ob man nicht eines Tages auf ihre Hilfe angewiesen sein mochte. Diese Schwester hier schien Ende Zwanzig zu sein, doch um Mund und Augen hatten sich bereits tiefe Linien gebildet. Der tägliche Umgang mit Tod und Leid, ohne ein absehbares Ende, verlangte eben seinen Tribut. Sie war bekleidet mit der üblichen schmucklosen weiße Robe und der Haube einer Schwester im Feld. Beides war mit alten und frischen Blutspritzern beschmutzt. Die Schwester schien kräftig genug, um einen herannahenden Panzer aufzuhalten, und sie funkelte die beiden Neuankömmlinge mit einem Blick an, der jeden entmutigt hätte, nur nicht einen Reporter. Flynn ging verstohlen hinter Toby in Deckung, nur für den Fall, und Toby versuchte erneut sein einschmeichelndes Lächeln.