Выбрать главу

Ein wahrer Charakter, jemand, der alle und alles kannte, der mitten im Geschehen stand und dennoch fähig war, das große Ganze im Blick zu behalten. Natürlich half es, daß Beatrice nicht sehr nach Nonne aussah, und das Glas in ihrer Hand trug ebenfalls seinen Teil dazu bei. Die Zuschauer mochten es nicht, wenn ihre Heiligen allzu vollkommen erschienen. Beatrice’ Hand zitterte leicht, als sie das Glas an die Lippen hob, und Toby fühlte sich plötzlich auf unerklärliche Art und Weise beschämt. Nichts von dem, was er in seinem Leben bereits gesehen und gehört hatte, berührte ihn so, wie es ganz offensichtlich Beatrice berührte. Sie sorgte sich um andere, und er war nichts weiter als ein gefühlloses, berichtendes Auge. Genau wie Flynns Kamera. Toby versuchte sich einzureden, daß er so sein mußte, weil seine Arbeit es verlangte, doch es klang nicht halb so überzeugend wie früher. Er zwang sich dazu, seine Konzentration wieder auf Beatrice zu richten, als die Schwester das beinahe leere Glas absetzte.

»Gott, ist das ein schreckliches Zeug«, sagte sie leise. »Aber ohne das könnte ich hier nicht arbeiten. Zwei der Schwestern werfen Amphetamine ein, und einer der Chirurgen ist ernsthaft drogenabhängig. Ich halte den Mund, solange sie noch arbeiten können. Wir alle brauchen irgend etwas, um den Tag zu überstehen. Und die Nacht. Die Nächte sind am schlimmsten. In der Nacht sterben die meisten unserer Patienten. In den frühen Stunden nach Mitternacht, wenn die Dämmerung am weitesten entfernt scheint. Ich weiß nicht, wie lange ich die Situation noch ertragen kann. Es macht einen fertig, wenn man um jedes Leben kämpfen muß, selbst bei den leichtesten Wunden. Nichts ist einfach hier. Nicht einmal dieses verdammte Zelt. Es ist das stärkste, das die Schwesternschaft zur Verfügung stellen konnte, doch mit dem Wetter auf Technos III wird es nicht fertig. Im Sommer ist es so drückend heiß, daß man sich kaum bewegen kann. Im Winter… Ich habe gesehen, wie de Chirurgen mitten in einer Operation eine Pause eingelegt und ihre Hände in den dampfenden Eingeweiden des Patienten auf ihrem Tisch gewärmt haben.

Wir alle haben uns verändert, seit wir auf Technos III angekommen sind. Ich wollte niemals eine Nonne werden, wißt Ihr?

Ich floh zur Schwesternschaft, um einer Hochzeit mit Valentin Wolf zu entgehen. Und jetzt bin ich trotzdem von der Gnade der Wolfs abhängig. Ich war nie besonders religiös. Ich benutzte die Schwesternschaft lediglich als eine Art Machtbasis, wie so viele vor mir auch. Und ich bin nur aus dem Grund hergekommen, weil ich mich langweilte. Aber hier in der Hölle, da fand ich plötzlich meinen Glauben wieder. Im Angesicht von so viel Bösem muß man einfach an Gott glauben. Nur Gott kann einem Kraft genug geben, um weiterzumachen.«

Zu Tobys und Flynns Überraschung erhob Beatrice sich unvermittelt. Sie leerte den Rest ihres Glases und stellte es hart auf dem Schreibtisch ab. »Genug geredet. Ich werde Euch herumführen, dann könnt Ihr sehen, mit welcher Art von Wunden wir uns hier befassen. Einige der Patienten werden vielleicht sogar mit Euch sprechen. Aber Ihr müßt die Obszönitäten herausschneiden.«

Sie verließen den privaten Bereich und folgten Beatrice den Gang zwischen den Betten hindurch zurück. Flynn filmte ununterbrochen. Seine Kamera schwenkte hierhin und dorthin. Im Zelt herrschte noch immer eine fast unheimliche Stille, und niemand wollte mit den beiden Besuchern sprechen. Toby vermutete, daß die Verwundeten einfach nicht genügend Kraft aufbrachten, um über ihre Schmerzen zu klagen. Die anderen Schwestern bewegten sich leise zwischen den Betten, überprüften Verbände und maßen Fieber oder legten, wenn es sonst nichts zu tun gab, einfach eine kühlende Hand auf eine heiße Stirn. Auch Toby schwieg. Die Szene bedurfte keines Kommentars, und er hatte keine Fragen mehr. Die Antworten waren zu offensichtlich. Zu seiner Überraschung spürte er, wie Wut in ihm aufstieg. Dinge wie diese hier durften einfach nicht geschehen. Nicht in diesen Tagen und in diesem Zeitalter. Toby hatte selbst viele Ungerechtigkeiten verheimlicht und gedeckt in seiner Zeit bei Gregor Shreck, aber niemals etwas wie das hier. Die Armee einer Familie starb, um ihre Schande zu verbergen. Toby redete sich ununterbrochen ein, daß ihn die Sache nichts anging. Daß es nur eine gute Geschichte war… und stellte überrascht fest, wie nahe er daran war, vor Frustration und Wut zu weinen.

»Filmt nur, soviel Ihr mögt«, sagte Mutter Beatrice. »Die Chancen stehen nicht schlecht, daß niemand jemals etwas davon zu Gesicht bekommt. Ich versuche ständig, Berichte nach draußen zu bringen, doch die Wolfs hindern mich daran. Sie können es sich nicht leisten zuzugeben, daß sie den Kampf um Technos III zu verlieren drohen. Die Imperatorin könnte ihnen den Planeten und die Fabrik wegnehmen.«

»Aber einige Nachrichten sind nach außen gedrungen«, erwiderte Toby. »Von Schiffsbesatzungen und so weiter. Zum Beispiel über die Heilige von Technos III, die ihre aristokratische Abstammung vergaß, um den Verwundeten und den Sterbenden zu helfen. Das ist genau der Grund, aus dem wir hier sind.«

»Ich bin keine Heilige«, widersprach Beatrice. »Das würde jeder tun, der gesehen hat, was ich gesehen habe.«

»Wir werden den Bericht nach draußen bringen. Irgendwie werden wir es schaffen«, versprach Toby. »Und wenn ich die Filmkassetten in meinem Hintern verstecken muß.«

Beatrice grinste plötzlich. »Sicher«, meinte sie schelmisch, »ich habe schon immer gesagt, daß die Wolfs wie Hämorrhoiden sind.«

Jakob Ohnesorg, Ruby Reise und Alexander Sturm folgten ihren Führern durch ein Labyrinth aus Tunnels, weg von den offenen Gräben und der Gewalt des aufkommenden Schneesharms. Die Tunnel verliefen steil nach unten, und ihre Wände enthüllten die vielen Schichten aus Abfall und Metallschrott, die die Geschichte der Planetenoberfläche erzählten. Die Luft war wärmer hier unten, doch die drei Neuankömmlinge zitterten noch immer. Laternen an der Decke verbreiteten ein trübes Licht, ein bleicher gelblicher Schein, der in ihren unangepaßten Augen schmerzte. Ringsum hasteten Menschen geschäftig hin und her, während die drei tiefer hinabstiegen. Alle waren viel zu sehr in Eile, um mehr zu tun, als herüberzustarren oder einen gelegentlichen Gruß zu nicken. Es waren muskelbepackte Gestalten, und nur wenig Fett verhüllte ihre Umrisse. Ihre Augen wirkten hart und auf die jeweilige Aufgabe konzentriert, und niemand lächelte oder verschwendete ein einziges unnötiges Wort. Der Lange Tom und die Halsabschneider-Marie führten die drei Rebellen schweigend nach unten. Ohnesorg, Ruby und Sturm blieben dicht beisammen, nicht nur wegen der Temperaturen, sondern auch, um sich gegenseitig Mut zu machen.

»Wie, zur Hölle, haben sie nur all diese Tunnel und Gräben anlegen können?« fragte Ruby und starrte auf die Metallwände.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Gegner einem Waffenstillstand zugestimmt hat, um den Rebellen das Heranschaffen von Minenausrüstung zu erlauben.«

»Wahrscheinlich haben sie erbeutete Energiewaffen eingesetzt, um die ursprünglichen Tunnel aus dem Schrott zu schneiden. Im Lauf der Jahre wurden sie dann von Hand erweitert«, mutmaßte Ohnesorg. »Wir sehen das Resultat jahrelanger Arbeit vor uns. Vielleicht hat es noch länger gedauert.«

»Verdammt richtig«, bestätigte der Lange John, ohne sich umzublicken. »Die ersten Arbeiten fanden vor so langer Zeit statt, daß sich niemand mehr auch nur an die Namen derer erinnert, die sie ausführten. Wir bauen seit Jahrhunderten an unseren Tunnels. Jede Generation fügt hinzu, was gerade benötigt wird. Wir müssen unter der Erde leben. Uns bleibt keine andere Wahl. In den alten Tagen gab es militärische Satelliten mit Ortungssystemen und schweren Waffen. Heute ist es das Wetter. Außerdem besitzt die Fabrik einen eigenen Schutzschild.

Wir wußten stets, daß der einzige Weg am Schild vorbei unter ihm hindurch führte. Die Wolfs wissen es auch. Deswegen lassen sie ihre eigenen Leute ebenfalls Tunnels anlegen.«