Die Kämpfe wurden zu langsamen, absurden Angelegenheiten, aber noch immer wurde Blut vergossen, und weder die Toten noch die Verwundeten erkannten den Irrsinn dieses Krieges.
Und schließlich brach wieder der Winter an, Schnee, Eis, Stürme und die mörderische Kälte. Die Sicherheitsleute der Wolfs trugen spezielle Thermoanzüge. Die Rebellen benötigten keine. Genausowenig wie Ohnesorg und Ruby Reise. Sie hatten sich angepaßt. Beide Seiten trugen dicke Schutzbrillen, um die Augen vor dem peitschenden Schnee zu schützen. Das Niemandsland zwischen den Gräben wurde zu einer blendend weißen Hölle, in welcher kleine Gruppen bewaffneter Männer und Frauen langsam und beinahe lautlos gegeneinander zogen und die Augen bis zum Tränen anstrengten, um den Feind rechtzeitig zu erspähen. Blut befleckte den Schnee, Rot auf Weiß. Krieger stürzten zu Boden und rührten sich nicht wieder.
Jakob Ohnesorg und Ruby Reise kämpften weiter, traten immer und immer wieder an, ohne Rücksicht auf das Wetter oder welche Gruppe gerade an der Reihe war. Die Ausgestoßenen brüllten ihre Namen als Schlachtruf und folgten ihnen gegen jede Übermacht. Die Kälte brannte in ihren Lungen und brachte das Blut in ihren Adern zum Stocken, doch ihre Wut war stärker als jede Kälte, die der Winter ihnen entgegenwerfen konnte. Zwei Tage vergingen, und der Winter wich dem Frühling. Alles begann von vorn. Und so verging ein Jahr nach dem anderen auf Technos III.
Und während der gesamten Zeit, trotz des Wetters und des Hasses und des Mordens, drängte immer nur eine Seite nach vorn. Schritt um Schritt, Meter um Meter trieben die Ausgestoßenen die Sicherheitskräfte der Wolfs zurück, schoben sie das Niemandsland dichter und dichter hin zu dem Fabrikkomplex.
Graben um Graben fiel und wurde von den Rebellen eingenommen. Jakob Ohnesorg und Ruby Reise schienen überall zu sein, inspirierten die Rebellen jedesmal aufs neue zu neuen Standards von Mut und Grimmigkeit und jagten selbst den hartgesottensten Söldnern der Wolfs eine Heidenangst ein.
Weder das Wetter noch der Feind konnten ihnen etwas anhaben oder sie auch nur verlangsamen. Der Name des legendären Rebellen wurde inzwischen auf beiden Seiten oft genannt, genau wie der seiner tödlichen neuen Begleiterin – die alte Legende und die neue, unaufhaltsam und zielstrebig. Und tief unten in den Tunnels der Rebellen arbeitete Alexander Sturm, der einst selbst keine kleine Legende gewesen war, konstant und unermüdlich und plante ständig neue Strategien, organisierte Überfälle und Vormärsche und hielt die Korridore frei von räuberischen Eindringlingen, die nicht wußten, daß ein Krieg im Gange war. In den wenigen Augenblicken, die Alexander für sich selbst hatte, gab er sich alle Mühe, nicht daran zu denken, daß er ein alter Mann war und sein langjähriger Freund Jakob Ohnesorg nicht.
Draußen im Niemandsland fühlte sich Jakob Ohnesorg jünger und stärker als je zuvor. Sein Schwertarm schien niemals ermüden zu wollen. Er fühlte sich wieder wie er selbst, der legendäre Held, bei dessen Namen selbst der Eiserne Thron zu wanken begann. Und wenn er ein wenig jünger aussah als zuvor, dann fiel es niemandem außer Ruby Reise auf. Und Ruby behielt es für sich. Die Ausgestoßenen riefen ihre Namen und rückten vor. Sie witterten den Sieg.
Gute Männer und Frauen starben genau wie die bösen, und die Barmherzigen Schwestern taten, was sie konnten, um das Leid der Verwundeten zu mildern.
Der Krieg ging weiter.
Daniel und Stephanie Wolf warteten ungeduldig in dem Raum, der die Empfangshalle des Fabrikkomplexes darstellen sollte.
Genaugenommen war es nichts weiter als eine große Lagerhalle, aber irgendeine unverzagte Seele hatte sich die Mühe gemacht, die Umgebung mit Hilfe von Teppichen und ein paar Blumen hier und da aufzuhellen. Der Teppich war bereits ein wenig durchgelaufen, doch die Blumen blühten freundlich, trotz der künstlich kontrollierten Atmosphäre innerhalb des Komplexes und obwohl sie manchmal tagelang weder Wasser noch Dünger erhielten. Sie waren an ein viel rauheres Leben in der Welt draußen gewöhnt.
Daniel zog ein grimmiges Gesicht und tappte ungeduldig mit dem Fuß, während er die Arme um sich schlang und sich zur Ruhe zu zwingen versuchte. Die Dinge waren in letzter Zeit nicht sonderlich gut für die Wolfs gelaufen, und das bevorstehende Treffen bot reichlich Potential für einen größeren Zwischenfall. Ein einziges unbedachtes Wort, und Daniel konnte von Glück reden, wenn er nur in Ungnade zurück nach Hause geschickt wurde. Stephanie stand an seiner Seite, kühl, gelassen und äußerst beherrscht. Und wenn nur deswegen, weil wenigstens einer von ihnen beiden kühl, gelassen und beherrscht bleiben mußte. Eigentlich hätten Lily und Michael ebenfalls anwesend sein müssen, um einen so wichtigen Neuankömmling zu begrüßen, aber Stephanie hatte bereits sehr früh entschieden, daß man nicht auf ein korrektes Benehmen der beiden vertrauen konnte. Also hatte sie ihnen Schlafmittel ins Essen gegeben und die beiden in ihren Quartieren einsperren lassen. Nur für den Fall. Offiziell waren sie einfach indisponiert, was der Wahrheit schließlich nahe genug kam. Und die Anwesenheit von Kardinal Kassar war ebenfalls nicht verlangt worden. Er hatte alles versucht, bis hin zu kaum verhohlenen Drohungen, um die Geschwister zu einer Einladung zu überreden, doch Stephanie hatte nicht die Absicht, sich von ihm die Schau stehlen zu lassen. Das hier war eine Angelegenheit, die nur die Wolfs etwas anging, und der Neuankömmling war ihr Gast.
Kassar konnte sich später immer noch mit ihm treffen. Viel später, um genau zu sein.
Die beiden einzigen Leute, die Stephanie nicht hatte fernhalten können, waren Toby Shreck und sein Kameramann Flynn.
Die Imperatorin persönlich hatte verlautbaren lassen, daß sie den Empfang des Gastes live im Holofernsehen übertragen wünschte, und obwohl sie sich nicht dazu herabgelassen hatte, einen Grund dafür zu nennen, bekam Löwenstein immer genau das, was Löwenstein wollte. Zumindest dann, wenn man gerne atmete. Also stellten Toby und Flynn ihre Scheinwerfer auf, zogen sich so weit in den Hintergrund zurück, wie sie nur konnten, und gaben sich alle nur erdenkliche Mühe, unbemerkt zu bleiben. Dies hier war eine Schau, die sie sich nicht entgehen lassen würden. Dazu waren beide fest entschlossen.
Schließlich bekam man nicht alle Tage eine Gelegenheit, den legendären Halben Mann persönlich zu filmen – oder das, was von seinem Körper noch übriggeblieben war.
Es gab nur wenige Menschen im Imperium, die noch nie von dem grausamen und schrecklichen Schicksal des Halben Mannes gehört hatten. Vor wenig mehr als zweihundert Jahren war er einer Rasse von fremden Wesen entschieden zu nahe gekommen, die bis heute weder identifiziert noch seither jemals wieder gesehen worden war. Man hatte ihn direkt aus dem Kommandosessel seines eigenen Sternenkreuzers heraus entführt. Er war vor den Augen der ganzen Brückenbesatzung der Beowulf einfach verschwunden. Es hatte keinerlei Warnung gegeben und nicht die geringste Spur eines fremden Schiffes in der Umgebung. Von einer Minute auf die andere war der Halbe Mann einfach verschwunden.
Die Fremden hatten ihn drei lange Jahre festgehalten und Experimente an ihm durchgeführt, an die er sich nur noch zum Teil erinnerte. In seinen schlimmsten Alpträumen. Meistens schrie er dabei. Dann hatten die Fremden ihn zurückgeschickt, ihn aus dem Nichts heraus wieder auf der Brücke der Beowulf abgesetzt, obwohl sich das Schiff in der Zwischenzeit auf der entgegengesetzten Seite des Imperiums befunden hatte. Und da hatte der Alptraum erst richtig begonnen. Die Fremden hatten nur die Hälfte von ihm zurückgeschickt. Die linke Hälfte. Er war genau in der Mitte gespalten worden, vom Kopf bis zum Schritt hinunter, und seine rechte Hälfte war durch eine Konstruktion aus reiner Energie von nur annähernd menschlicher Gestalt ersetzt worden.