Der damalige Imperator hatte den Halben Mann von den besten Wissenschaftlern und Ärzten jener Zeit untersuchen lassen, aber kein einziger der Spezialisten hatte auch nur eine halbwegs vernünftige Erklärung gefunden. Sie konnten sich nicht einmal darauf einigen, wieso der Halbe Mann noch immer lebte, ganz zu schweigen über das, was mit ihm geschehen war. Seine rechte Hälfte bestand aus einem Energiefeld, das alle Eigenschaften von Materie aufwies, aber dennoch ganz eindeutig keine Materie war, sondern Energie – wenn auch in einer Form, der das Imperium noch nie zuvor begegnet war.
Das gesamte Imperium wurde für mehr als ein Jahr in höchste Alarmbereitschaft versetzt, für den Fall, daß sich die Fremden erneut zeigen würden. Aber sie zeigten sich nicht, und schließlich wurde die Alarmbereitschaft wieder aufgehoben. Alles beruhigte sich ein wenig. Der Halbe Mann, wie die Boulevardnachrichten ihn beinahe vom ersten Tag nach seinem Wiederauftauchen genannt hatten, wurde zu einem der wichtigsten Berater des Herrschers in Angelegenheiten, die Fremdrassen betrafen, und er behielt diese Position über all die Jahre hinweg. Imperatoren starben, doch die menschliche Hälfte des Halben Mannes alterte nicht einen einzigen Tag. Heute wie damals war Halber Mann in großem Maße für die Fremdenpolitik des Imperiums verantwortlich, und wenn jemandem danach war, ihm zu widersprechen, mußte derjenige nur einen genauen Blick auf den Halben Mann und das werfen, was die Fremden ihm angetan hatten, um seine Meinung zu ändern.
Der Halbe Mann war auch verantwortlich für die Entstehung der Investigatoren. Er hatte das Gefühl, das Imperium brauchte eine Truppe von Männern und Frauen, die besonders qualifiziert waren im Umgang mit Fremden und den von ihnen ausgehenden Bedrohungen. Er bildete die Investigatoren alle persönlich aus, damals wie heute, und brachte ihnen jede nur erdenkliche Methode bei, um Fremde zu verstehen, zu kontrollieren und sie zu töten. Die Investigatoren beteten ihn an. Was nach der Überlieferung während all der Jahre für eine nicht unbeträchtliche Unruhe bei den verschiedenen Inhabern des Eisernen Thrones gesorgt hatte. Aber niemand konnte leugnen, daß die Investigatoren notwendig waren und daß sie ihre Arbeit äußerst erfolgreich erledigten. Doch wenn sie sich jemals vereinigen würden, möglicherweise gar noch unter einem Anführer wie dem Halben Mann, dann war es höchst zweifelhaft, ob irgendeine Macht innerhalb des Imperiums ihnen widerstehen konnte. Aber zum Glück für alle Betroffenen waren Investigatoren von Natur aus einzelgängerisch veranlagt und legten keinen Wert auf gegenseitige Gesellschaft. Die einzige Gemeinsamkeit, die sie besaßen, war der Halbe Mann. Für ihn würden sie jederzeit sterben. Oder für ihn töten. Und genau aus diesem Grund war der Halbe Mann nach Technos III gekommen.
Toby Shreck war von dem Halben Mann fasziniert. Genau wie Flynn, obwohl beide sich jede nur erdenkliche Mühe gaben, sich nichts anmerken zu lassen. Der Halbe Mann hatte nach seiner Rückkehr von den Fremden keinerlei Freude über das Interesse der Öffentlichkeit gezeigt, ganz besonders nicht nach der Treibjagd, die die Boulevardnachrichten auf ihn veranstaltet hatten, und er hatte sich für Dekaden aus dem Scheinwerferlicht der Medien zurückgezogen und war kaum jemals in der Öffentlichkeit aufgetreten, es sei denn, der jeweilige Herrscher hatte es ausdrücklich von ihm verlangt. Als Ergebnis war die Berichterstattung über den Halben Mann mehr als dürftig, und jeder Reporter mit neuem Material konnte praktisch ganz allein den Preis bestimmen. Der Empfang würde live und ohne Verzögerung ausgestrahlt werden, aber Toby bezweifelte nicht einen Augenblick, daß sich hinterher nicht eine Gelegenheit für ein paar Meter zusätzlichen Materials ergeben würde. Vielleicht konnte er sogar ein Interview bekommen. Wenn der Halbe Mann ihn nicht allein wegen der Frage auf der Stelle töten würde. Es gab entsprechende Gerüchte.
Alle Köpfe wandten sich um, als das Geräusch sich nähernder Schritte aus dem Korridor draußen vor der Halle erklang.
Genauer gesagt, das Geräusch eines einzelnen Fußes auf dem metallenen Boden. Alle rissen sich zusammen und gaben sich Mühe, so vorteilhaft wie möglich auszusehen, und jedermann wappnete sich unbewußt gegen den bevorstehenden Anblick.
Die Tür schwang auf, und der Halbe Mann trat ein. Tobys erster Gedanke war: So schlimm ist es doch gar nicht. Ich kann es aushalten. Er war nicht sicher gewesen, wie er auf einen derart entsetzlichen Anblick reagieren würde. Aber die menschliche Hälfte sah menschlich genug aus, und die andere Hälfte bestand eben nur aus leuchtender Energie, weiter nichts.
Die menschliche Hälfte war von durchschnittlicher Größe, konservativ gekleidet und gepflegt. Das halbe Gesicht wirkte auf subtile Weise beunruhigend, doch die Haare waren von ganz gewöhnlichem Braun, genau wie das Auge, und der halbe Mund war fest und wohlgeformt. Toby konnte keinerlei Emotionen in dem halben Gesicht erkennen. Es lieferte einfach nicht genügend Information. Er konnte nicht einmal sagen, ob der Halbe Mann einmal attraktiv gewesen war oder nicht. Die Energiehälfte besaß völlig menschliche Proportionen, obwohl sie unaufhörlich knisterte und Funken versprühte. Toby hatte das dumpfe Gefühl, als würden diese Proportionen nicht einmal annähernd zur menschlichen Hälfte passen. Sie besaß keinerlei Farbe – oder vielleicht auch alle Farben zusammen. Und es war nicht allein die Helligkeit, die es schwermachte, sie anzusehen.
Toby zwang sich dazu, den Blick vom Halben Mann abzuwenden, und überzeugte sich rasch, daß all seine Scheinwerfer an den richtigen Positionen aufgebaut waren. Er und Flynn hatten die Belichtung abschätzen müssen. Toby schielte zu Flynn hinüber und bemerkte erleichtert, daß die Kamera auf der Schulter des Mannes bereits leise aufzeichnete. Milliarden von Menschen allein in diesem Sektor beobachteten dieses Treffen live auf ihren Schirmen, und wenn er die Sache nicht vollständig vermasselte, könnte Toby Shreck sich endlich auf dem Weg befinden, als richtiger Reporter akzeptiert zu werden.
Die beiden Wolfs traten vor, um den Halben Mann offiziell zu begrüßen, und blieben abrupt stehen, als drei weitere Neuankömmlinge in den blausilbernen Umhängen der Investigatoren leise durch die offene Tür traten. Stephanie und Daniel gafften mit aufgerissenen Mündern. Toby drohte das Blut in den Adern zu gefrieren. Drei Investigatoren zusammen im gleichen Raum? Das war unerhört! Niemand hatte etwas davon gesagt. Toby starrte zu Flynn und überzeugte sich einmal mehr, daß er filmte. Diese Sache war noch viel größer, als er ursprünglich angenommen hatte.
»Daniel und Stephanie Wolf«, sagte der Halbe Mann mit vollkommen normaler Stimme. »Erlaubt mir, Euch meine drei Begleiter vorzustellen. Es sind die Investigatoren Klinge, Barrister und Klipp.«
Jeder der Investigatoren verbeugte sich knapp, als sein Name genannt wurde. Klinge war ein großer, schlanker Mann in den Fünfzigern. Sein längliches Gesicht lief in einem spitzen Kinn aus, und seine Augen standen etwas zu weit auseinander und waren etwas zu hell. Sein leicht verzogenes Gesicht drückte offene Verachtung aus. Barrister stand da wie ein Soldat, jeder einzelne Muskel angespannt, kurz und breit wie eine Bulldogge. Er war schon in den Sechzigern und trug das metallgraue Haar ganz kurz geschnitten. Er sah ganz danach aus, als wartete er nur auf den Befehl, jemanden umzubringen. Klipp war die jüngste der drei, eine mittelgroße, kompakt gebaute Frau Ende Vierzig mit einer Igelfrisur aus schwarzem Haar und einem kühlen Blick in den Augen. Toby glaubte, ein Grinsen in einer Ecke ihres großzügigen Mundes zu erkennen, aber da sie Investigator war, täuschte er sich wahrscheinlich. Jeder wußte, daß Investigatoren nur dann lächelten, wenn sie töteten. Vorzugsweise ganze Rassen von Fremden. Dann erblickte Klinge die Holokamera, und von da an lief nichts mehr wie geplant.