»Ihr habt recht«, erwiderte Flynn. »Ich frage mich, was mit den Investigatoren geschehen soll, die sich nicht in eine Mannschaft einordnen können? Sie wurden ihr ganzes Leben lang ausgebildet, um als Individuen zu bestehen und zu handeln.
Zur Hölle, ich habe von Investigatoren gehört, die Kapitäne auf ihren eigenen Sternenschiffen herumkommandierten. Ich bin sicher, Löwenstein wird ihnen nicht erlauben, sich einfach zur Ruhe zu setzen. Könnt Ihr Euch einen Investigator vorstellen, der den Rest seiner Tage vor einem Kaminfeuer verbringt, während die Enkelkinder auf seinem Knie herumhüpfen?«
»Ein guter Punkt«, entgegnete Toby und blickte traurig auf das blutbesudelte Etwas, das einmal ein vollkommen blütenweißes Taschentuch gewesen war. »Ich habe den starken Verdacht, daß die Investigatoren lernen müssen, sich einzufügen.
Stirb in den Stiefeln oder unter dem Beil des Scharfrichters. Ich frage mich, wie die anderen Investigatoren das aufnehmen.«
»Wahrscheinlich werden sie es gutheißen. Sie sind ein kaltschnäuziger Haufen von Bastarden und sonst nichts. Außerdem werden sowieso nur wenige alt genug, um in den Ruhestand zu treten. Das liegt in der Natur ihrer Arbeit. Wahrscheinlich ziehen sie es vor, kämpfend zu sterben, wenn man ihnen die Wahl läßt.«
»Oder vielleicht ziehen sie es auch vor, jemanden mit sich zu nehmen«, erwiderte Toby. »Oder so viele wie nur irgendmöglich. Ich schätze, wir sollten in Zukunft einen äußerst respektvollen Abstand zu Investigator Klinge halten.«
»Verdammt richtig«, stimmte Flynn zu. Er blickte Toby nachdenklich an. »Ich habe gesehen, wie Ihr versucht habt, auf die Beine zu kommen und mir zu helfen. Habt Ihr Euch Sorgen gemacht, mich zu verlieren, oder war es nur deswegen, weil ich Euer einziger Kameramann bin?«
»Um ehrlich zu sein«, antwortete Toby, »ich habe mir Sorgen um meinen Ruf gemacht. Wenn Ihr umgebracht worden wärt, hätte man sicher auch die Spitzenunterwäsche gefunden, die Ihr unter Eurer Kleidung tragt. Ich habe schließlich an meine Reputation zu denken.«
Als die Besprechung im Hauptquartier der Wolfs endlich vorüber war, luden die Wolfs den Halben Mann und die drei Investigatoren zum Abendessen und einem anschließenden Umtrunk ein, doch alle lehnten mehr oder weniger höflich ab. Investigatoren waren keine geselligen Kreaturen, und der Halbe Mann haßte es, angestarrt zu werden. Für lange Zeit hatte er gehofft, sich eines Tages daran gewöhnen zu können, aber das war nie der Fall gewesen. Und die Wolfs waren nicht einmal sonderlich subtil, trotz all ihrer schönen Worte und des vielen Lächelns. Also begleitete der Halbe Mann die drei Investigatoren zu ihren Quartieren, wechselte ein paar private, aber dennoch einfühlsame Worte mit Klinge und ließ sich anschließend seine eigene Unterkunft zeigen.
Der Lakai, den die Wolfs abgestellt hatten, ihn zu seinem Zimmer zu bringen, hielt einen ziemlich großen Sicherheitsabstand zu dem Halben Mann ein und wartete erst gar nicht auf ein Trinkgeld.
Der Halbe Mann blickte sich in seinem Quartier um. Es war ein einzelnes Zimmer, und alles Notwendige war vorhanden.
Sogar ein wenig Luxus. Mehr jedenfalls als an Bord des Schiffes, das ihn in solcher Eile hergebracht hatte. Nicht, daß erden geringsten Dreck auf Luxus gegeben hätte. Er war hier, um zu arbeiten, und nicht, um Urlaub zu machen.
Der Halbe Mann setzte sich in den einzigen vorhandenen Sessel, schaltete dessen Massagefunktion ab und zog ihn an den Schreibtisch heran. Er aktivierte den eingebauten Bildschirm und griff auf die Lektronen der Fabrik zu. Dann rief er die Aufzeichnungen über die lokalen Truppen auf den Schirm.
Söldner von Hunderten verschiedener Welten, unter mehr als einem Dutzend Kompaniechefs, und die Sicherheitsleute der Wolfs bildeten die Oberaufseher. Die Akten der Söldner waren größtenteils in Ordnung, jedenfalls für die Zeit vor ihrer Ankunft auf Technos III. Die Berichte über ihre Kämpfe mit den eingeborenen Rebellen, den Ausgestoßenen, waren zwar interessant zu lesen, aber deprimierend. Keine der beiden Seiten schien eindeutige Vorteile für sich verbuchen zu können, doch allein dadurch, daß sie so lange standgehalten hatten, schienen die Rebellen nach und nach zu gewinnen. Die Gründe waren offensichtlich. Es war ihre Welt, und sie lebten und arbeiteten hier, während die Truppen der Wolfs Thermoanzüge benötigten und Panzer und Atemgeräte, um mit den wechselnden klimatischen Bedingungen fertig zu werden. Die technologischen Vorteile der Wolf-Truppen wurden vom Wetter vollständig ausgeglichen, und beide Seiten wußten das.
Die Wolfs hatten im Kampf mit den Rebellen sehr viele Männer verloren. Es gab keine Zahlen für die Verluste auf der Gegenseite, aber der Halbe Mann bezweifelte, daß sie auch nur annähernd halb so hoch waren. Die wenigen gefangengenommenen Ausgestoßenen hatten niemals geredet. Sie starben bei den Verhören, wenn sie es nicht schafften, sich vorher selbst zu töten. Und über all das hinaus schien es mit einemmal, daß die Rebellen neue Anführer hatten, die erst kürzlich von außerhalb eingetroffen zu sein schienen. Niemand Geringerer als der legendäre Jakob Ohnesorg persönlich, der Berufsrebell, wenn man den Berichten der Wolfs Glauben schenken wollte. Der Halbe Mann hatte die Karriere Jakob Ohnesorgs über die Jahre hinweg verfolgt. Er hatte immer gewußt, daß das Schicksal sie eines Tages zusammenführen würde. Die beiden großen Legenden der Gegenwart. Er runzelte leicht die halbe Stirn. Seinen letzten Informationen zufolge war Jakob Ohnesorg ein gebrochener alter Mann. Diese Berichte hier sprachen von einem viel jüngeren Mann, einem mächtigen Kämpfer. Vielleicht hatte irgendein Jüngerer den alten Namen angenommen. Der Halbe Mann seufzte und schaltete den Schirm ab. Als gäbe es in seinem Leben nicht bereits genug Probleme. Einschließlich und ganz besonders der drei Investigatoren, die die Herrscherin unter seinen Befehl gestellt hatte.
Der Halbe Mann hatte stets gewußt, daß Klinge eines Tages zu einem Problem werden würde. Der Mann war ein psychopathischer Killer, gewalttätig und renitent. In jedem anderen Beruf wäre sein Charakter ein ernsthaftes Problem gewesen, aber bei einem Investigator zählten diese Eigenschaften als positiver Bonus. Bis heute waren Klinges schlechtes Benehmen und all die bedauerlichen Zwischenfälle toleriert worden, weil er niemals in seiner Aufgabe versagt hatte. Aber nun wurde Klinge älter und langsamer, und seine Arbeit schien ihn hin und wieder zu überfordern, obwohl er das niemals zugegeben hätte. Er zeigte von Tag zu Tag weniger Selbstkontrolle, und er genoß ganz offensichtlich das Blut, das er bei seinen gewalttätigen Ausbrüchen vergoß. Der Mann war vollkommen unberechenbar. Man konnte nie vorhersagen, was ihn reizte. Er besaß keinerlei Freunde, und seine Feinde wagten nicht, Hand an einen Investigator zu legen.
Klinge war vernünftigen Argumenten gegenüber verschlossen, genau wie freundlichen Worten oder Disziplin. Wer ihn im Feld kontrollieren wollte, mußte zuerst und ständig beweisen, daß er der bessere Mann war, nötigenfalls mit brutaler Gewalt.
Derartige Qualitäten konnten bei einem aktiven Investigator toleriert werden, aber bei einem Mann kurz vor dem erzwungenen Ruhestand bedeuteten sie eine Gefahr für ihn selbst und jedermann in seiner Umgebung. Dem Halben Mann kam zustatten, daß Klinge von seinem Ruhm ein wenig eingeschüchtert war – doch andererseits, wer war das nicht?
Barrister war das genaue Gegenteil von Klinge. Ein Soldat durch und durch, leidenschaftlich und begierig auf Schlachten, dem Imperium und seiner Herrscherin verschworen. Ein gefährlicher Kämpfer mit jeder Art von Waffe und am glücklichsten mitten im dichtesten Kampfgetümmel – wahrscheinlich, weil auch ihm jedes soziale Gefühl abging. Barrister mochte die Menschen nicht. Zum Glück mochte er fremde Rassen noch weniger. Er war hier auf Technos III, weil man ihn herbefohlen hatte, und er würde kämpfen und töten und, wenn es sein mußte, auch sterben, um seine Befehle auszuführen. Jedenfalls hatte Barrister sich in der Vergangenheit stets so verhalten. Heute, da seine Imperatorin ganz offensichtlich das Vertrauen in seine Fähigkeiten verloren hatte und darüber nachdachte, ihn aus dem aktiven Dienst zu entfernen, mochte er möglicherweise damit anfangen, ein wenig anders über diese Dinge denken.