Die beiden Parteien prallten aufeinander. Die Rebellen schossen zwischen den langsameren Wolf-Soldaten hindurch, umkreisten sie und suchten mit blitzenden Schwertern und Äxten die Schwachstellen ihrer Gegner. Es war nicht viel Platz zum Manövrieren in dem engen Tunnel. Statt dessen gab es ein ständiges Hin- und Herwogen einer kochenden Masse von Körpern, die gegeneinander brandeten und gerade eben lange genug auf einem Fleck stehenblieben, um einen Schlag gegen einen Gegner zu führen, bevor sie sofort wieder davonschlüpften. Wer fiel oder niedergetrampelt wurde, besaß kaum eine Chance, wieder auf die Beine zu kommen. Schwerter und Äxte prallten wirkungslos von den dicken Kampfpanzern der Wolf-Söldner ab, doch es gab auch Schwachstellen, verletzliche Gelenke und Verbindungen, wenn man wußte, wo man danach suchen mußte. Dennoch konnten die gepanzerten Söldner ein Dutzend Treffer einstecken und unverletzt weiter vorrücken, während ein einziger Schlag mit ihren servounterstützten Waffen einen Rebellen glatt in zwei Teile hieb. Und es gab weit mehr gepanzerte Soldaten als Rebellen.
Einer nach dem anderen fielen die Ausgestoßenen, und weiter und weiter wurden die Überlebenden in den Tunnel zurückgedrängt. Drei der Gepanzerten waren ebenfalls gefallen, außer Gefecht gesetzt von Treffern am Hals oder in die Augen, aber das waren erst drei von vielen. Die Ausgestoßenen kämpften verbissen weiter, fest entschlossen und unverzagt. Ihre lange Anpassung an die extremen Bedingungen von Technos III hatte sie zu mehr als einfachen Menschen gemacht, und sie waren weit besser an die Bedingungen unter der Erde gewöhnt. Sie umschwärmten die Gepanzerten, duckten sich mit beinahe unmenschlichem Geschick unter ihren Schlägen hinweg oder wichen zur Seite aus, und während der ganzen Zeit ließen sie niemals in ihren Angriffen nach. Und langsam, ganz langsam, Schritt um Schritt verlangsamte sich der Rückzug.
Mitten im dichtesten Gewühl stand Ruby Reise und schwang das Schwert mit beiden Händen. Ihre Klinge zischte in einem engen Bogen herum und durchtrennte sauber den Hals eines gepanzerten Soldaten. Der behelmte Kopf hüpfte über das Meer wogender Schultern davon, bevor er endlich zu Boden polterte. Auf dem blutigen Gesicht hinter dem Visier war noch immer der gefrorene Ausdruck des Erstaunens zu sehen. Ohnesorg lachte laut und brüllte seine Anerkennung hinaus. Er hieb mit dem Schwert nach einem Söldner, doch die Klinge prallte wirkungslos von seinem plötzlich hochgerissenen Arm ab. Die Wucht des Schlages prellte Ohnesorg das Schwert aus der Hand, und die Waffe verschwand im Chaos aus kämpfenden Leibern. Der Wolf-Söldner grinste und riß das Schwert zum tödlichen Streich hoch. Ruby sah es und schrie auf, aber sie war zu weit weg, um Jakob zu helfen. Blinde Wut flackerte in Ohnesorg auf, und er schlug seinem Gegenüber mit aller Kraft die geballte Faust gegen den Brustpanzer. Sie durchbrach die Platte und drang in die Brust des Mannes ein. Der Soldat schrie entsetzlich, als Ohnesorgs Hand sich um sein Herz schloß und es herausriß. Ohnesorg hielt das noch schlagende Herz triumphierend erhoben. Blut strömte über seinen Arm, während er laut schallend lachte.
Für einen kurzen Augenblick schien die Schlacht zu erlahmen. Jeder blieb wie angewurzelt an Ort und Stelle stehen, und alles blickte zu Ohnesorg. Dann ging es wieder weiter, doch diesmal waren es die Rebellen, die die Soldaten zurückdrängten. Ohnesorg und Ruby Reise stürmten unaufhaltsam vor, und die Ausgestoßenen faßten an ihrem Beispiel neuen Mut. Weitere Gepanzerte fielen und schrien. Einige wandten sich zur Flucht, aber in dem beengten Raum hatten sie nicht genügend Bewegungsfreiheit, und so kamen sie ihren eigenen Kameraden in den Weg. Gespenster-Alice krächzte vergnügt, während sie rittlings auf den Schultern eines Söldners saß und ihr blutiges Messer immer und immer wieder durch die Sichtblende seines Helms stach.
Nicht ein einziger Söldner kam davon.
Zerschmetterte Kampfanzüge bedeckten über Dutzende von Metern den Boden. Auch die Rebellen hatten Verluste, aber nicht annähernd so viele. Überall war Blut. Es tropfte an den Wänden herab und bildete große Lachen auf dem Boden. Ohnesorg und Ruby Reise grinsten sich an. Die Aus gestoßenen drängten sich um die beiden, gratulierten ihnen und klopften den beiden anerkennend auf die Schultern. Ohnesorg wischte mit einem Lappen das Blut von seinem Arm und nickte und lächelte jedermann zu, bis seine Augen die von Alexander Sturm trafen. Sein alter Freund hielt sich ein wenig abseits von den anderen. Auch Sturms Schwert und Kleider waren blutbesudelt. Nur wenig davon schien sein eigenes zu sein. Er atmete schwer, und das Schwert in seiner Hand zitterte. Sturm erwiderte Ohnesorgs Blick, als wäre Jakob ein Fremder. Ohnesorg ging zu ihm, doch als er die Kälte in Sturms Augen bemerkte, blieb er stehen.
»Wer bist du?« fragte Sturm. »Der Jakob Ohnesorg, den ich kannte, konnte so etwas nicht. Kein menschliches Wesen kann das.«
»Ich… ich habe mich verändert«, antwortete Jakob. »Ich bin mehr als früher. Aber ich bin immer noch derselbe.«
»Nein, bist du nicht«, entgegnete Sturm. »Ich weiß nicht mehr, wer du bist.«
Er wandte sich ab und ging ein Stück in den Tunnel hinein.
Ohnesorg ließ ihn ziehen. Es lag eine gewisse Wahrheit in dem, was sein alter Freund gesagt hatte. Jakob hob den Blick und bemerkte, daß die Gespenster-Alice ihn anstarrte. Er zuckte die Schultern, und sie erwiderte die Geste. Dann ging sie Sturm hinterher. In der Zwischenzeit hatte Ruby Reise sich schnarrend und fluchend ein wenig Freiraum geschaffen und war nun dabei, methodisch das Schwert mit etwas zu reinigen, das einmal ein feines seidenes Taschentuch gewesen war. Ruby hielt nicht viel von Kameraderie und überschwenglichen Glückwünschen. Sie würde wahrscheinlich auch keine Lust haben, jetzt mit Jakob zu reden. Ohnesorg zuckte erneut die Schultern. Er hatte nur das getan, was er hatte tun müssen, wie schon viele Male zuvor.
Jakob Ohnesorg konnte noch immer das Herz in der Hand spüren, wie es das letzte Stück seines Lebens herauspumpte, während er laut lachte. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Überhaupt nicht.
Ohnesorg schob den Gedanken beiseite, als ihm eine weitere Idee kam. Er fragte sich, ob die Rebellen nicht mit Absicht einen Weg ausgesucht hatten, auf dem sie mit gepanzerten Tunnelratten der Wolfs zusammentreffen mußten. Nur um zu sehen, wozu der legendäre Jakob Ohnesorg und seine Freunde imstande waren, wenn sie nicht eine Rebellenarmee im Rücken hatten. Es war die Art von Prüfung, wie Jakob sie ausgesucht hätte. Früher. Doch obwohl er stark beeindruckt war, wie die Rebellen sich geschlagen und bereitwillig ihr Leben riskiert hatten, nur um ihn zu prüfen, so war er doch betrübt, daß es keinerlei Gefangene gegeben hatte. Es würde eine Zeit kommen, wo der Haß nur dem endgültigen Sieg im Wege stand.
Am Ende gewann man stets mehr Schlachten, indem man die Kapitulation des Feindes akzeptierte, als daß man ihn bis zum letzten Mann erschlug. Oder ging der Haß so tief hier auf Technos III, daß keine Vernunft mehr möglich war?
Die Kirchentruppen, weithin unter dem Namen ›die Gläubigen‹ bekannt, trainierten auf der großen freien Fläche zwischen dem Fabrikkomplex und dem ersten Graben. Toby Shreck und sein Kameramann Flynn waren dort und nahmen alles auf. Niemand war über ihre Anwesenheit besonders glücklich, aber daran hatten sich Toby und Flynn inzwischen gewöhnt. Offiziell sollten die Truppen der Kirche von Christus dem Krieger und die harten Söldner der Wolfs inzwischen eine integrierte Streitmacht bilden, aber beide Seiten besaßen eine eigene jahrhundertelange Tradition, ganz zu schweigen von heißblütiger Feindschaft untereinander. Folglich entwickelte sich das, was als eine gemeinsame Drill- und Waffenübung gedacht und arrangiert worden war, rasch zu einem vollständigen Chaos, als die Söldner und die Gläubigen versuchten, einander in schierer Gewalttätigkeit zu übertreffen, wenn schon nicht in Geschick.