»Dann waren diese Aufnahmen von den Klonen in der Fabrik echt?«
Toby blickte Flynn fest in die Augen. »Ich weiß es nicht. Gesetzt den Fall, die Bilder waren echt – dann könnt Ihr sicher sein, daß die Wolfs uns auf der Stelle getötet hätten, wenn wir dabei erwischt worden wären, wie wir wegen eines Exklusivberichts herumschleichen. Es gibt Grenzen, wie man Menschen behandeln kann…, selbst wenn es nur Klone sind. Löwenstein muß diesen neuen Antrieb wirklich dringend benötigen.«
»Also haben wir die Geschichte einfach ignoriert?«
»Seit wann seid Ihr denn so idealistisch? Jeden Tag sterben Menschen im ganzen Imperium. Es gibt nichts, was wir daran
ändern könnten. Hin und wieder bietet sich eine Gelegenheit, eine kleinere Sache zurechtzurücken, zum Beispiel Schwester Beatrice’ Hospital, aber laßt Euch das ja nicht zu Kopf steigen.
Selbst wenn wir es fertigbrächten, Filmmaterial über die Klone bei der Arbeit zu beschaffen, stehen die Chancen gut, daß es niemals gesendet würde. Nicht heute. Und ich gehe jede Wette ein, daß die Imperialen Nachrichten uns auf der Stelle feuern würden. Ihr müßt lernen, Euch mit kleinen Siegen zufriedenzugeben, Flynn. Das heißt, wenn Ihr Euren Kopf gerne auf den Schultern behalten wollt.«
Toby und Flynn standen schweigend eine Weile beisammen, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Schließlich rührte sich Flynn als erster. »Wenn Jakob Ohnesorg hier gewinnt, dann könnte das der Beginn der ganz großen Rebellion werden.«
»Gott, wie ich mir das erhoffe«, erwiderte Toby. »So ein Krieg liefert Unmengen von erstklassigem Material. Auf dem Schlachtfeld kann man über Nacht berühmt werden.«
»Sprecht nur für Euch selbst«, sagte Flynn. »In dem Augenblick, wo das Schießen beginnt, tauche ich in Deckung und halte den Kopf unten, und Ihr könnt alleine filmen.«
»Das Schwierige an Euch«, erklärte Toby, als sie sich den Abhang hinunter in Richtung Fabrik in Bewegung setzten, »ist, daß Ihr keinerlei Ehrgeiz besitzt.«
»Mein Ehrgeiz ist es, hundertdrei Jahre alt zu werden«, erwiderte Flynn fest. »Und dann, so hoffe ich, von einer eifersüchtigen Ehefrau erschossen zu werden.«
»Manchmal wundere ich mich über Euch, Flynn«, sagte Toby. »Und manchmal bin ich mir ganz sicher.«
In den frühen Morgenstunden, wenn es traditionellerweise am ruhigsten war, stiegen Jakob Ohnesorg, der professionelle Rebell, und Ruby Reise, die berühmteste Kopfgeldjägerin ihrer Tage (nach ihren eigenen Worten), aus dem vordersten Rebellengraben. Sie setzten sich auf die Kante des Metallfeldes und blickten zu dem gewaltigen Fabrikkomplex hinüber, dessen Silhouette von der aufgehenden Sonne angestrahlt wurde. Die Streitkräfte der Wolfs waren kürzlich weit zurückgetrieben worden und im Augenblick zu sehr mit dem Errichten einer neuen Front beschäftigt, um eine Gefahr darzustellen. Sie waren bisher nicht einmal dazu gekommen, Heckenschützen zu postieren. Ohnesorg und Reise hätten gewußt, wenn welche auf der Lauer gelegen hätten. So also saßen sie lässig nebeneinander und genossen das fremdartige und lebendige Schauspiel des Sonnenaufgangs.
Es war der erste Tag des Sommers, und obwohl die Sonne kaum hinter dem Horizont hervorgekrochen war, wurde es bereits ungemütlich heiß. Ohnesorg und Ruby Reise waren vorgeblich nach oben gegangen, um das Gelände für den täglichen Angriff in Augenschein zu nehmen, aber in Wirklichkeit suchten sie lediglich ein wenig Zeit in der Gesellschaft des anderen.
Unter der Erde war es drangvoll eng, oftmals klaustrophobisch, und nach einer Weile konnten einem selbst die wohlmeinendsten Leute auf die Nerven gehen. Die Ausgestoßenen hatten begonnen, beide wie legendäre Helden zu feiern, Heilsbringer und Retter, die die Rebellen zum unausweichlichen Sieg über die Mächte des Bösen führen würden. Weder Jakob Ohnesorg noch Ruby Reise waren besonders glücklich darüber.
»Ich wollte nie eine Heldin werden«, sagte Ruby entschieden. »Die Bezahlung ist lausig, und die Arbeitsbedingungen sind einfach erbärmlich. Ich wurde zu einer Rebellin, weil man mir einen Löwenanteil an der Beute versprochen hat, wenn das Imperium erst auseinanderfällt. Und weil diese Kuh von Löwenstein ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt hat. Wenn man sieht, wie mich einige dieser Rebellen anstarren, könnte man meinen, ich hätte mit einer Hand den Trick mit den drei Karten ausgeführt, während ich übers Wasser gegangen bin. In mir keimt der entsetzliche Verdacht, daß sie mich demnächst um ein Autogramm bitten.«
»Es liegt in der Natur der Menschen, sich Helden zu suchen«, erwiderte Ohnesorg. »Jemanden, dem man folgen kann und der die harten Entscheidungen für einen trifft. Sie machen uns größer, als wir in Wirklichkeit sind, heften all ihre Träume und Sehnsüchte an uns und werden dann gemein, wenn sich herausstellt, daß wir nicht mehr und nicht weniger menschlich sind als sie selbst. Ich habe all das schon früher erlebt, Ruby. Es ist einer der Gründe, warum ich meinen Beruf als Rebell an den Nagel gehängt habe und davongerannt bin, um mich auf Nebelwelt zu verstecken. Ich wurde es langsam satt, jedermanns Hoffnungen und Erwartungen auf den Schultern zu tragen. Sie waren niemals breit genug dazu. Ich verbrachte die meiste Zeit meines Lebens mit dem Versuch, die Leute dazu zu bringen, selbst die Verantwortung für ihr Leben in die Hand zu nehmen.
Es war eine Sisyphusarbeit. Viel zu oft jubeln sie lieber einem Anführer zu, irgendeinem lächelnden charismatischen Bastard, der ihnen einredet, daß sie viel mehr erreichen können, als sie gedacht haben. Manchmal glaube ich, sie würden Löwenstein nur zu gern vom Thron stoßen und sie gegen den ersten schön redenden Helden austauschen, der ihnen über den Weg läuft.
Sogar mich.«
»Imperator Jakob«, sagte Ruby. »Mir gefällt’s. Du würdest die Dinge in Bewegung bringen.«
»Ich hasse allein schon den Gedanken«, entgegnete Jakob.
»Niemand darf so viel Macht in Händen halten. Nicht einmal ich. Die Versuchung ist zu groß. Ich habe gesehen, wie Macht korrumpiert, selbst wenn Menschen mit den besten Absichten antreten… vielleicht ganz besonders bei Menschen mit den besten Absichten. Es gibt nichts Gefährlicheres auf der Welt als einen Mann, der weiß, daß er recht hat. Am Ende opfert er unzählige Menschen im Namen seiner Überzeugung, gleich, ob Feind oder Freund. Nach meiner Erfahrung darf man keinem einzelnen Menschen trauen, wenn es um Macht geht.
Demokratie funktioniert, weil eine Menge Menschen der gleichen Meinung sind. Im großen und ganzen betrachtet sind die Menschen stets besser beraten, wenn sie einen Anführer absetzen können, der eines Tages anfängt, seinen eigenen Pressemitteilungen zu glauben.«
Für eine Weile blickten Ruby und Jakob schweigend in die Metall wüste hinaus. Der frühe Morgen war eigenartig still nach dem Gebrüll der Schlacht wenige Stunden zuvor. Hier und da brannten Feuer, und an manchen Stellen lagen, durchsiebt von Disruptorfeuer, funkensprühend und verdreht, Imperiale Kriegsmaschinen herum, verlassen, wo sie gefallen waren, und träumten vom Töten. Der Fabrikkomplex war ein dunkler, furchteinflößender Schatten voller dunkler, rötlicher Schimmer, die kamen und gingen wie sich unablässig öffnende und schließende Türen der Hölle. Das schwache Leuchten des Schutzschildes war im heller werdenden Licht des Morgens kaum zu sehen. Wie das Schloß eines Ogers, geschützt durch Magie, angetrieben von Haß und Gewalt und das Blut Unschuldiger verzehrend.
»Was ist nur mit Sturm los?« erkundigte sich Ruby. »Er benimmt sich in letzter Zeit so eigenartig in deiner Gegenwart.
Ich dachte, er wäre dein Freund?«
»Ist er auch«, antwortete Ohnesorg. »Wir kennen uns von Jugend an. Wir haben nebeneinander in mehr Schlachten gekämpft, als ich zählen kann. Du hättest ihn damals sehen sollen, Ruby. Attraktiv, stürmisch, tödlich mit der Klinge in der Hand. Ich war derjenige, über den die Menschen Lieder sangen, aber er war der, dem die Frauen hinterherliefen. Alex war meine rechte Hand und der einzige, auf den ich mich in einem sich ständig ändernden Universum verlassen konnte. Aber jetzt… Ich verändere mich, und er kommt nicht damit klar.«