Frost trug trotz der Schiffsvorschriften einen Disruptor an der Hüfte, und auf ihrem Rücken hing ein langes Schwert. Selbst jetzt noch, wo sie gelassen und entspannt dastand, erweckte sie den Eindruck, es jederzeit mit einer Armee aufnehmen zu können. Und wer gegen Frost auf die Armee wettete, der hatte entweder zuviel Geld oder war ziemlich mutig. Sie war attraktiv, aber nicht wirklich schön, und wer sie ohne schriftliche Einladung anlächelte, war nicht mutig, sondern dumm. Frost lächelte nur, wenn sie tötete. Sie zog einen Stuhl heran, entfernte mit Daumen und Zeigefinger ein schmutziges T-Shirt und nahm unaufgefordert Schwejksam gegenüber Platz. Er hob eine Augenbraue. Frost besaß normalerweise ein makellos formelles Auftreten, selbst im Privaten.
»Was macht Ihr hier, Investigator?« erkundigte Schwejksam sich müde und bemerkte erfreut, daß seine Stimme nicht zitterte, wenngleich er Mühe hatte, deutlich zu sprechen.
Frost schniefte. »Ich dachte, wir hätten ausgemacht, daß Ihr zu trinken aufhört?«
»Ihr habt das allein ausgemacht. Ich war es leid, mit Euch zu streiten.«
»Es kann Euch aber nicht helfen, Kapitän.«
»Es kann aber auch nicht schaden«, entgegnete Schwejksam.
»Die Dinge stehen bereits so schlecht, daß es nicht mehr schlechter geht.«
»Es besteht immer die Möglichkeit, daß sich eine Situation
überraschend verbessert. Wir müssen unsere Sinne beisammenhalten, Kapitän. Wir müssen bereit sein, jeden Vorteil wahrzunehmen, der sich uns bietet.«
»Macht das, Investigator, macht das. Ich bin zu müde, und es kümmert mich nicht mehr. Außerdem – ganz egal, was auch geschehen mag, unsere Mission ist trotzdem schiefgelaufen.
Die Zivilisation wird untergehen, und meine Männer werden auch nicht mehr lebendig. Und es waren gute Männer. Sie folgten mir ins Labyrinth des Wahnsinns, weil ich es ihnen befahl.
Weil ich ihnen gesagt habe, es wäre sicher. Und als hätte das noch nicht gereicht, habe ich die Überlebenden auch noch gegen die Hadenmänner geschickt. Es wäre freundlicher gewesen, sie alle in den Rücken zu schießen. Aber das habe ich ja genaugenommen auch.« Schwejksam seufzte, als die vertrauten Selbstvorwürfe und Schuldgefühle über ihm zusammenschlugen. Er hatte auch früher Männer verloren, aber noch nie so wie diesmal. Er hatte auch früher Fehlschläge hinnehmen müssen, aber nicht so. »Und jetzt, wenn Ihr mich bitte entschuldigen würdet, Investigator – auf mich wartet noch eine Menge Wein.«
Schwejksam senkte den Blick in sein Glas, um Frost die Gelegenheit zu geben, sich würdevoll zu entfernen, aber als er den Blick wieder hob, saß sie noch immer an ihrem Platz und musterte ihn mit kalten Augen.
»Ich weiß, was in Euch vorgeht«, sagte sie tonlos. »Seit unseren Erfahrungen auf der Geisterwelt Unseeli seid Ihr… sind wir beide… auf eine seltsame Art und Weise miteinander verbunden. Nicht direkt Telepathie, aber so etwas Ähnliches. Ich habe es nicht weiter beachtet, genau wie Ihr. Wir wollten nicht, daß man uns für Esper hält. Aber dann betraten wir das Labyrinth des Wahnsinns, und die Verbindung wurde stärker. Ich kann sie nicht länger ignorieren. Wenn ich mich konzentriere, fühle ich, was Ihr fühlt, und weiß, was Ihr denkt. Manchmal geschieht es sogar, wenn ich es gar nicht will. Es ist wirklich sehr lästig. Für einen Imperialen Offizier ist Euer Verstand extrem unorganisiert. Eure Gefühle sind ebenso undiszipliniert wie Eure Gedanken, und mein Mund ist gegenwärtig voll vom Geschmack des Abfalls, den Ihr da trinkt. Das muß aufhören.«
»Ich kann Euch nicht fühlen, Investigator«, erwiderte Schwejksam. »Aber das ist ja auch gar nicht möglich, nicht wahr? Ihr seid Investigator, und ein Investigator hat keine Gefühle.«
»Mein Verstand ist jedenfalls diszipliniert«, entgegnete Frost gelassen. »Im Gegensatz zu Eurem. Ist das vielleicht der Grund, aus dem Ihr Euch so angestrengt bemüht, in eine Flasche zu klettern und darin zu ertrinken?«
Schwejksam funkelte Frost wütend an. »Für den Fall, daß es Euch entgangen ist, Investigator: Die Unerschrocken bringt uns nach Hause, damit wir der Imperatorin nicht nur vom Scheitern unseres Auftrags und dem Tod ihres Liebhabers und Obersten Kriegers berichten, sondern darüber hinaus auch von einer gewaltigen Rebellion, die zusammen mit einer ganzen Armee wiedererwachter Hadenmänner im Anmarsch ist. Die Herrscherin wird nicht erfreut sein über diese Neuigkeiten. Sie wird nicht erfreut sein über uns. Ganz und gar nicht. Wenn wir Glück haben, bringt sie uns an Ort und Stelle um. Aber wann hatten wir in letzter Zeit schon einmal Glück, Investigator?«
»Warum kehren wir dann überhaupt zurück?« erkundigte sich Frost.
Die Worte hingen schwer in der Luft. Schwejksam konnte sie nicht ignorieren. Er blickte in sein Glas, doch es hielt keine Antwort für ihn bereit. Er seufzte schwer und blickte Frost in die kalten blauen Augen.
»Weil es meine Pflicht ist. Ich mag alles andere in meinem Leben falsch gemacht haben, aber ich kenne meine Pflicht. Die Herrscherin muß gewarnt werden. Ich habe einen Eid auf meine Ehre geschworen, das Imperium zu schützen und ihm bis zu meinem letzten Blutstropfen zu dienen, und ich glaube noch immer daran, ganz egal, wer gerade auf dem Thron sitzt. Das Imperium ist es wert, erhalten zu werden, trotz seiner vielen Fehler. Die Alternativen sind allesamt schlimmer, von Barbarei über Massensterben durch Hungersnöte auf Tausenden von Welten, wenn das System zusammenbricht, bis hin zu allen möglichen Formen der Diktatur, wenn die Herrschaft der Eisernen Hexe erst zerbrochen ist. Die Rebellion bedeutet eine Gefahr für die Zivilisation selbst. Ich wage erst gar nicht daran zu denken, was geschieht, wenn diese verdammten KIs von Shub die Gelegenheit zu einem Angriff nutzen, während wir uns mit einer Rebellion herumschlagen müssen. Und was ist mit den Fremdrassigen? Ihr habt dieses Ding auf Unseeli mit seinem halb lebendigen Schiff gesehen. Löwenstein muß gewarnt werden, Investigator. Und wir müssen dafür sorgen, daß sie den Ernst der Lage begreift. Sie wird mir keinen Glauben schenken wollen, also wird sie einen Hirntech hinzuziehen, und ihm wird sie glauben müssen, ob sie will oder nicht. Deshalb kehre ich zurück, Frost. Aber Ihr müßt nicht mitkommen, wenn Ihr nicht wollt.«
Schwejksam nahm einen weiteren kräftigen Schluck. Seine Kehle fühlte sich trocken an. »Auch ich muß zurück, Kapitän«, erklärte Frost. »Das Imperium hat mich zum Investigator ausgebildet, und ich weiß nicht, was ich sonst tun sollte. Und selbst wenn, ich würde es nicht wollen. Mir gefällt, was ich bin. Es ist eine direkte, unkomplizierte Arbeit. Aber nur das Imperium hat Verwendung für einen Investigator, und ich hoffe sehr, daß zwischen hier und zu Hause irgend etwas geschieht, das uns vom Haken hilft.«
»Und wenn nicht?« erkundigte sich Schwejksam. »Falls ich fliehen sollte, später… Würdet Ihr mit mir kommen, Investigator?«
»Nein. Ich kann nicht. Ich muß sein, was sie aus mir gemacht haben.« Frost blickte ihm lange in die Augen. »Ich kann die Herrscherin warnen. Wir müssen nicht beide zu ihr. Und es macht ganz sicher keinen Sinn, wenn wir beide sterben.«
»Es geht nicht, Frost. Ich kann Euch nicht im Stich lassen.«
»Ich würde es tun, wenn ich könnte.«
»Das weiß ich.« Schwejksam grinste sie an. Sie lächelte nicht zurück, aber das kümmerte ihn nicht. Frost war Investigator.