Schwejksam hatte da seine Zweifel. Es gab bereits zu viele unbeantwortete Fragen in bezug auf Gehenna, und die Signalboje war nur die letzte davon. Der Kapitän rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her, aber bequemer wurde es dadurch nicht. Der Hartanzug verhinderte es. Schwejksam hatte ihn wie jeder andere auch angelegt, bevor er an Bord des kleinen Schiffes gegangen war. Er benötigte ihn erst, wenn die Pinasse gelandet war, aber einen Hartanzug überzuziehen war schon schwierig genug, wenn man ringsum viel Freiraum hatte.
In dem beengten Abteil der Pinasse wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, sich umzuziehen.
Der Hartanzug war zum Teil Raumanzug, zum Teil Schutzpanzer und mit Waffen ausgerüstet. Er war konstruiert, seinen Benutzer am Leben zu halten, egal, wie lebensfeindlich die Umgebung auch sein mochte. Wenn erst alle Systeme liefen, kühlte oder wärmte er seinen Träger, gleichgültig, was draußen geschah. Hartanzüge waren sperrig, und in ihnen war man ungefähr so gelenkig und flink wie ein Kieselstein, aber sie erfüllten ihren Zweck. Ihre Panzerung war transportablen Schutzschildern unterlegen, aber es gab keinen Ersatz, wenn es darum ging, eigenhändige Untersuchungen vorzunehmen. Diese Anzüge waren strahlungssicher, schützten perfekt gegen Umwelteinflüsse, waren härter als Stahl und überstanden beinahe alles – wenn es nicht gerade ein Disruptorstrahl aus unmittelbarer Nähe war. Ursprünglich als gepanzerte Kampfanzüge für Extremsituationen entworfen, hatten sie sich für diesen Zweck als zu schwer und unhandlich erwiesen, und so hatte die Flotte sie zu Allzweckschutzanzügen umfunktioniert. Jeder an Bord der Pinasse schien sich in seinem Anzug mit gewissen Einschränkungen wohl zu fühlen. Bis auf Schwejksam. Der Kapitän hatte das Gefühl, in ein erstarrendes Teerfaß gefallen zu sein.
Schweißperlen traten auf Schwejksams Stirn, doch er konnte den gepanzerten Arm nicht weit genug heben, um sie abzuwischen. Es hätte nicht so heiß sein dürfen. Die Lebenserhaltungssysteme der Pinasse hielten automatisch eine angenehme Innentemperatur aufrecht. Aber man konnte nicht an die unglaubliche Hitze dort draußen denken, ohne etwas zu spüren, und wenn es nur Einbildung war. Die sechs Marineinfanteristen ließen eine Flasche kreisen, doch die Servomechanismen ihrer Anzüge bewirkten, daß sie das meiste verschütteten.
Schwejksam wünschte sich insgeheim, daß sie die verdammte Flasche in seine Richtung reichen würden, aber er durfte seine Soldaten nicht darum bitten. Es würde keinen guten Eindruck hinterlassen. Schwäche. Es war wichtig, daß er bei seinen Leuten einen starken, selbstsicheren Eindruck hinterließ. Ganz besonders nach dem, was beim letzten Landungsunternehmen geschehen war.
Schwejksam wandte den Blick ab. Stelmach saß allein in seiner Ecke, ein schweigsamer, unergründlicher Mann, anonym wie ein Beamter. Er starrte geradeaus, und es war offensichtlich; daß er lieber woanders gewesen wäre. Egal, wo. Frost runzelte geistesabwesend die Stirn, die Augen in weite Ferne gerichtet. Zeiten wie diese waren es, wofür sie lebte. Das und die Aussicht auf ein wenig Chaos. Und die Gehenna-Basis versprach ein faszinierendes Problem und die Möglichkeit, vielleicht jemanden töten zu können. Noch ein wenig mehr, und Frost würde wahrscheinlich vor Glück explodieren. Schwejksam wurde bewußt, daß sie vielleicht die Geschehnisse außerhalb des Schiffes verfolgte, und er benutzte ein weiteres Mal das Komm-Implantat, um sich auf die Außensensoren aufzuschalten. Er wollte sehen, was Frost sah.
Vor seinen Augen entstand das Bild sengend heißer Flammen, als die Schottenwände der Pinasse durchsichtig zu werden schienen. Wohin er auch blickte, überall war Feuer. Hin und wieder erwischte Schwejksam einen Ausblick auf die schwarze, hartgebrannte Oberfläche Gehennas tief unten. Sonst nichts. Es gab sonst nichts. Nichts lebte auf diesem Planeten.
Jedenfalls, soweit man wußte. Die einzigen noch existierenden Bauwerke lagen tief unter der Oberfläche. Das wäre auch für die Basis der vernünftigste Platz gewesen, aber Löwenstein hatte darauf bestanden, sie an der Oberfläche zu errichten. Für die Eiserne Hexe war es eine Frage des Prinzips gewesen: Sie hatte beweisen wollen, daß das Imperium eine Basis mitten im Herzen der Hölle errichten und aufrechterhalten konnte, an einem Ort, wo niemand sonst dazu in der Lage war. Die Basis sollte noch immer intakt sein, wenn ihr Schild noch arbeitete.
Und wenn der Schild noch arbeitete, dann sollte auch das Personal noch wohlauf sein. Der Schild konnte alles aushalten, was diese Welt auf ihn zu werfen vermochte. Und selbst wenn der Schild zusammengebrochen war, aus welchem Grund auch immer, so hätte die Basis selbst ebenfalls die Hitze des Planeten aushalten müssen. Sie war speziell dazu konstruiert worden. Schwejksam versuchte sich in Optimismus. Es war harte Arbeit. Gehenna war eine unversöhnliche Welt, immer auf der Lauer nach dem kleinsten Fehler oder Versehen.
»Wir setzen gleich zur Landung an, Kapitän«, meldete Creutz. »Schnallt Euch lieber an, Sir. Es ist eine Weile her, daß ich hier ein Schiff landen mußte.«
Schwejksam schaltete die Sensorübertragung ab, und die Außenwände der Pinasse wurden wieder undurchsichtig: Ihm war noch heißer als zuvor. Der Kapitän bemerkte, daß die anderen sich in ihren Sitzen so weit herumgedreht hatten, daß sie ihn beobachten konnten. Vielleicht warteten sie auf ein paar letzte zuversichtliche Worte aus seinem Mund. Er atmete tief durch, und als er zu sprechen ansetzte, klang seine Stimme ruhig und selbstsicher wie immer.
»Wir landen, Männer. Schaltet alle Systeme ein, und macht Euch bereit, die Helme aufzusetzen. Vergeßt nicht – der Hartanzug kann Euch bis zu einer Woche am Leben halten, falls erforderlich, aber seid trotzdem vorsichtig. Der Planet wird Euch töten, wenn Ihr ihm nur die geringste Chance dazu gebt.
Vergeßt nicht, Euren Energiepegel im Auge zu behalten. Die Anzüge verbrauchen eine Menge davon, selbst wenn man sich nicht bewegt.
Sobald wir unten sind, wird Investigator Frost als erste das Schiff verlassen. Sie wird eine rasche Lagebeurteilung vornehmen und entscheiden, ob wir weitermachen. Vorausgesetzt, wir sind nicht mitten in einem Kampfgebiet gelandet, werden die Infanteristen folgen und einen defensiven Ring bilden.
Creutz, Stelmach und ich folgen zum Schluß. Vergeßt nicht, Leute: Das hier ist eine Rettungsaktion, keine Invasion. Wer auf jemanden schießt, ohne daß es absolut notwendig ist, bekommt es mit mir zu tun. Ich will Überlebende, die mir Antworten geben können, keine Leichen mit großen Löchern darin.
Gut, das war alles. Helme überziehen. Creutz, landet die Pinasse.«
Schwejksam nahm seinen Helm aus dem Schoß, eine konturlose Stahlkonstruktion, die perfekt auf das Joch an der Schulter paßte. Einen Augenblick lang herrschte tiefste Finsternis, während die Verbindungen des Anzugs aufgebaut wurden. Dann schalteten sich die Sensoren auf sein Kommimplantat und verschafften ihm einen freien Rundumblick. Es war ein Gefühl, als hätte der Helm sich plötzlich in Luft aufgelöst, doch Schwejksam konnte das Gewicht noch immer auf den Schultern spüren. Der Rest der Mannschaft sah aus wie blind, was den Anblick von Creutz an den Kontrollen nicht gerade beruhigend wirken ließ. Dann krachte die Pinasse auf die Oberfläche und rutschte mit kaum verminderter Geschwindigkeit über den Boden. Schwejksam und die anderen klammerten sich an ihren Armlehnen fest, und nur die schweren Sicherheitsnetze verhinderten, daß sie in den Gang geschleudert oder gegen die Kabinenwände geworfen wurden. Das Schiff schüttelte die Insassen von oben bis unten durch. Dann kam es zu einem plötzlichen Halt, als wäre es gegen ein Hindernis gestoßen.
Schwejksam löste den Verschluß seines Netzes und kam unsicher auf die Beine. Das Summen der Servomechanismen, als sie seine Körperbewegungen in Bewegungen des Anzugs umsetzten, klang laut in seinen Ohren. Der Kapitän stapfte den Gang entlang zur Luftschleuse, wo Frost ihn bereits erwartete.