»Sektion evakuieren!« befahl Schwejksam. »Bringt so viele Leute raus, wie es geht, und dann versiegelt und isoliert diesen Teil des Schiffs! Stellt Schildprojektoren in den Korridoren auf. Unternehmt alles, um die Ausbreitung wenigstens zu verlangsamen. Frost, redet mit mir! Was ist das? Was macht es mit meinem Schiff?«
»Nach den Sensoren zu urteilen, handelt es sich um reine Energie, Sir«, antwortete Frost gelassen. »Sie besitzt bestimmte physische Eigenschaften. Möglicherweise handelt es sich um eine Art Plasmaenergiesuspension, aber zitiert mich nicht. Wir können sie nicht aufhalten, Kapitän. Und wenn ich den Instrumenten Glauben schenke, dann hat sie bereits begonnen, unsere Instrumente in jener Sektion zu infiltrieren. Sie umgeht die Kontrollmechanismen und übernimmt die Systeme!«
»Soeben haben wir die Sektoren H bis K verloren«, meldete Creutz. »Sie reagieren nicht länger auf die zentrale Systemsteuerung oder auf unsere Reservegeräte. Die Lebenserhaltungsfunktionen schalten sich in den betroffenen Sektoren ab, ohne daß wir daran etwas ändern könnten.«
»Sind alle Leute draußen?«
»Die meisten. Wer es nicht geschafft hat, für den ist es jetzt zu spät.«
»Evakuiert die angrenzenden Sektoren ebenfalls«, befahl Schwejksam. »Riegelt sie mit so vielen inneren Schilden ab, wie wir erzeugen können. Die Verletzten müssen selbst sehen, wie sie zur Krankenstation kommen. Alle anderen bleiben auf ihren Posten. Investigator, was schlagt Ihr vor?«
»Unsere Schilde werden die Energie nicht lange aufhalten können, Kapitän. Sämtliche Defensivmaßnahmen halten dem Ansturm nur kurz stand. Das läßt meiner Meinung nach nur einen Weg offen: Wir müssen zum Gegenangriff übergehen.
Falls das feindliche Schiff mit Schilden ausgerüstet ist, können meine Sensoren sie nicht orten. Ich bin von Minute zu Minute mehr davon überzeugt, daß unsere beste Chance darin liegt, sie mit allem zu treffen, was wir haben, und abzuwarten, was geschieht.«
»Ich hatte gehofft, wir könnten vorher noch etwas anderes versuchen«, sagte Schwejksam. »Ich mag es nicht, meinen besten Trumpf bereits so früh auszuspielen. Aber was sein muß, muß sein. Geschützoffizier, nehmt das feindliche Schiff unter Beschuß. Feuert so lange weiter, bis seine Schilde zusammenbrechen und wir ihm wirklich weh tun, dann brecht den Angriff ab und wartet auf neue Befehle.«
Die Disruptorbatterien der Unerschrocken eröffneten das Feuer. Eine Kanone nach der anderen, im Salventakt, schleuderte ihre zerstörerische Ladung auf das feindliche Schiff.
Plötzlich flammten seltsame Felder rings um den Riesenkokon auf. Die Strahlen aus den Disruptorkanonen schlugen auf die feindlichen Schilde ein, doch sie hielten.
An Bord der Unerschrocken breiteten sich die fremdartigen Energien immer weiter aus, und unaufhaltsam wurde ein essentielles System nach dem anderen infiltriert. Die Lebenserhaltung erlosch Sektor um Sektor. Besatzungsmitglieder starben auf ihren Posten oder rannten um ihr Leben.
Dann explodierte eine Konsole auf der Brücke, und der Mann, der an ihr Dienst verrichtet hatte, flog leblos und mit brennenden Haaren und Kleidern durch die Luft. Die fremdartigen Energien tanzten durch die Atmosphäre der Brücke wie heiße Blitzschläge in einem Gewitter. Schwejksam brüllte seine Leute an, sich von der brennenden Konsole fernzuhalten und auf den Posten zu bleiben.
Die Flammen aus der Konsole leckten bereits an einer Wand der Zentrale.
Die Disruptorbatterien feuerten unablässig weiter, und mit einemmal brach der Schild des Gegners zusammen. Große Fetzen des weißen Kokongewebes trudelten davon. Und genauso plötzlich verschwand auch die seltsame Energie, die an Bord der Unerschrocken gewütet hatte. Die Konsolen nahmen wieder ihre normale Arbeit auf, Notsysteme begannen sich um die Feuer überall an Bord zu kümmern, die Lebenserhaltung wurde wiederhergestellt, und der Kampf war vorüber.
Schwejksam befahl den Disruptorbatterien, das Feuer einzustellen und sich bereitzuhalten, falls ein weiterer Angriff notwendig wurde. Die Toten wurden davongetragen, die Verletzten versorgt und die Feuer gelöscht. Als die letzte Alarmglocke verstummte, herrschte mit einemmal eine merkwürdige Stille in der Zentrale.
»Schön, das hätten wir«, sagte Stelmach. »Und was tun wir jetzt?«
»Wir gehen an Bord des anderen Schiffs«, antwortete Frost.
»Wir haben ihnen einige Schäden zugefügt, aber niemand weiß, wieviel oder wie lange sie für die Reparaturen benötigen.
Also handeln wir besser jetzt, solange sie noch geschwächt sind.«
»Einverstanden«, erklärte Schwejksam. »Ich will das Schiff an einem Stück haben, damit unsere Techniker es auseinandernehmen und seine Funktionsweise untersuchen können. Ganz besonders die Schilde und Waffen. Es ist durchaus möglich, daß wir ihnen irgendwann wieder gegenüberstehen. Aber wenn ich den Zustand der Unerschrocken bedenke, dann können wir nur eine kleine Entermannschaft entbehren. Ihr, Investigator, ich selbst und ein Dutzend Infanteristen.«
»Klingt gut«, sagte Frost.
»Ihr könnt das Schiff jetzt nicht verlassen, Kapitän!« widersprach Stelmach. »Von überall an Bord gehen Schadensmeldungen ein!«
»Dann kümmert Ihr Euch darum. Ich werde woanders gebraucht, schon allein deswegen, weil ich einer der wenigen Leute bin, die bereits Fremden begegnet sind und lange genug überlebt haben, um davon zu berichten. Creutz, Ihr arbeitet mit Sicherheitsoffizier Stelmach zusammen. Seht zu, daß er alle Unterstützung bekommt, die er braucht.«
»Jawohl, Sir«, sagte Creutz. »Aber ich denke, ich sollte Euch darauf hinweisen, daß die Vorschriften in dieser Hinsicht eindeutig sind…«
»Schön, das habt Ihr hiermit getan. Und jetzt vergeßt es. Bei den ganzen Schwierigkeiten, in denen ich bereits stecke, sind ein paar übertretene Vorschriften meine geringste Sorge. Ihr braucht mich nicht an Bord, Creutz. Dieses Schiff schwimmt tot im Wasser. Achtet einfach darauf, daß es nicht untergeht und daß Stelmach unter seiner neuen Verantwortung nicht zusammenbricht. Falls jemand mit mir reden will – Ihr wißt, wo Ihr mich findet. Und jetzt laßt uns aufbrechen, Investigator. Ich will mir das Schiff aus der Nähe ansehen, das imstande ist, eine ganze Stadt und den dazugehörigen Raumhafen in Schutt und Asche zu legen, und das darüber hinaus auch noch beinahe einen Imperialen Sternenkreuzer abgeschossen hätte.«
»Richtig«, stimmte Frost zu. »Und mit ein wenig Glück bekommen wir sogar ein paar der Fremden vor unsere Waffen.«
»Vielleicht stellen sie sich tot«, warf Stelmach ein.
»Dann sollten sie lieber rasch damit aufhören, oder sie sind es wirklich«, entgegnete Schwejksam.
Die Unerschrocken manövrierte mit der wenigen verbliebenen Energie vorsichtig längsseits. Das fremde Schiff zeigte keine Reaktion. Die Sensoren fingen keine Energieströme oder sonstigen Lebenszeichen ein. Schwejksam wartete schweigend in seinem Hartanzug in einem der Torpedorohre und verfolgte über sein Komm-Implantat die eingehenden Meldungen. Er vertraute den Sensoren nicht, und in ihm regte sich der starke Verdacht, daß das fremde Schiff noch immer sehr wohl imstande war, seine Geheimnisse für sich zu behalten. Schwejksam bewegte sich unruhig, so gut es in der Enge ging. Er lag mit dem Gesicht nach unten im Rohr, und die Schultern seines Anzugs scheuerten an den Wänden. Es war so eng, daß er kaum mit den Fingern schnippen konnte, und eine Reaktion auf den Juckreiz, der sich mit bösartiger Langsamkeit zwischen seinen Schulterblättern ausbreitete, war vollkommen unmöglich. Normalerweise trug er höchsten vier- oder fünfmal im Jahr einen Hartanzug, aber das war jetzt schon das zweite Mal an einem einzigen Tag. Er seufzte tief und startete einmal mehr das in den Anzug eingebaute Diagnoseprogramm. Alles, um sich abzulenken. Sobald die Unerschrocken nahe genug war, würde man ihn aus dem Rohr in Richtung des fremden Schiffes schießen, und diese Aussicht stimmte Schwejksam nicht gerade fröhlich. Aber es war seine eigene Idee gewesen. Der Riesenkokon wies keine Luke auf, zu der man mit der Pinasse hätte übersetzen können, und ein Loch in das feindliche Schiff zu blasen, das groß genug war, um mit der Pinasse anzudocken, hätte alle möglichen Arten unangenehmer Konsequenzen nach sich ziehen können. Also war nur noch die Möglichkeit geblieben, in einen Hartanzug zu steigen und mit seiner Hilfe die Tür einzutreten.