Schwejksam seufzte erneut und wünschte sich, vorher noch einmal auf die Toilette gegangen zu sein. Die sanitären Einrichtungen des Anzugs waren zweckmäßig, aber einfach. Auf der Innenseite seines Helms war nichts zu sehen außer den Innenwänden des Torpedorohrs und den üblichen zahlreichen Diagrammen und Sensoranzeigen. Schwejksam hatte das Gefühl, als steckte er bereits seit Stunden in dem Rohr, doch das Chronometer des Anzugs, das aufreizend langsam links in seinem Blickfeld blinkte, bestand darauf, daß erst zwanzig Minuten vergangen waren. So sieht es im Innern eines Sarges aus, dachte Schwejksam träge und verfluchte sich insgeheim sofort dafür.
»Kapitän, die Unerschrocken ist in Position«, meldete die Stimme des Ersten Offiziers plötzlich. »Wir werden Euch jetzt hinausschießen.«
In Schwejksam regte sich der beinahe übermächtige Wunsch zu sagen: Nein, halt, ich habe mir die Sache anders überlegt!
Dann schien die Außendruckanzeige zu explodieren, und er schoß aus dem Rohr in die Schwärze des Alls. Tiefe Dunkelheit umgab ihn, nur durchbrochen von grell schimmernden Sternen. Sie wirbelten in schwindelerregenden Kreisen um Schwejksam herum, bis der Hartanzug seine Taumelbewegung regelte und die eingebauten Rechner das feindliche Schiff anpeilten. Der Rückstoßantrieb auf seinem Rücken schaltete sich ein und setzte ihn mit einer Reihe sorgfältig bemessener Schübe in Bewegung. Der große weiße Ball hing schweigend und rätselhaft vor ihm. Aus der Nähe betrachtet sahen die Stränge, aus denen der Kokon bestand, mehr nach dicken, verdrehten Kabeln aus. Die gesamte Konstruktion wirkte besorgniserregend organisch. Lebendig. Und nicht annähernd so stark beschädigt, wie sie zu sein vorgab.
Schwejksam konnte die Stellen mit wachsender Deutlichkeit erkennen, an denen das Disruptorfeuer der Unerschrocken eingeschlagen war. Weite ausgefranste Löcher in der weißen Oberfläche, die tief in das Schiff hineinreichten, zu tief, um selbst mit Hilfe der Sichtverstärker des Hartanzugs den Boden zu erkennen. Die gezackten Enden der zerrissenen Kabel hingen schlaff und reglos an den Seitenwänden. Schwejksam bildete sich ein, daß einige von ihnen sich am Rand seines Gesichtsfelds bewegten, doch wenn er den Blick in ihre Richtung wandte, war keine Regung zu erkennen.
Schwejksam erblickte Frost, die langsam neben ihm heranschwebte, und seine Sensoren verrieten ihm, daß die Marineinfanteristen ringsum in einem engen Halbkreis verteilt waren.
Ihre Gegenwart gab ihm augenblicklich ein Gefühl von Sicherheit, und sein Atem beruhigte sich ein wenig. Schwejksam hatte seit seinen Tagen auf der Kadettenakademie nicht viel Zeit im Weltraum verbracht, und er hatte völlig vergessen, wie kalt und einsam es hier draußen sein konnte. Unter ihm lag Golgatha, groß und golden. Der Planet gab Schwejksam zumindest eine gewisse Orientierung für Oben und Unten – doch die unendliche Weite des Alls war schrecklich einschüchternd. So schön die Sterne auch anzusehen waren – es war höllisch weit bis zu ihnen. Es war auch höllisch weit nach unten, und Schwejksam gab sich die größte Mühe, nicht weiter darüber nachzudenken. Falls sein Anzug irgendwie versagte, gab es eine ganze Reihe unangenehmer Möglichkeiten zu sterben.
Aber der Anzug würde nicht versagen. Die Kontrollen zeigten, daß alles so funktionierte, wie es sollte. Die eingebauten Steuerungsrechner würden Schwejksam viel sicherer zu dem feindlichen Schiff bringen, als er es manuell hätte bewerkstelligen können. Dort schließlich würde er ganz ohne Zweifel ein paar wirklich unangenehmen fremden Lebensformen begegnen, die nur allzu bereit waren, ihn auf noch unangenehmere Weise zu töten. Kommt zur Imperialen Flotte und seht das Universum.
Schwejksam mußte unwillkürlich grinsen. Es war ihm wesentlich lieber, persönlich das Unternehmen zu leiten, als auf der Brücke festzustecken und sich darüber Gedanken zu machen, was Frost und die Marineinfanteristen erwartete.
Schwejksam konzentrierte sich auf das fremde Schiff, das stetig in seinem Blickfeld wuchs. Es war inzwischen so groß wie ein Planet, und noch immer trieb er der Hülle weiter entgegen. Die weißen Stränge waren dicker als ein Landungsfahrzeug, unglaublich lang, und sie erstreckten sich in jede Richtung. Sie waren mit kleinen und großen Löchern übersät, als hätte etwas oder jemand an ihnen genagt. Der Gedanke beunruhigte Schwejksam. Was, zur Hölle, konnte während der weiten Reise durch die Dunkelwüste versucht haben, das fremde Raumschiff aufzufressen! Schwejksam verdrängte den Gedanken aus seinem Bewußtsein und konzentrierte sich statt dessen auf die bevorstehende Landung.
Langsam trieb die Gruppe der Oberfläche des Raumschiffs entgegen wie Flugsamen einem Waldboden. Schließlich sammelten sie sich am Rand eines der Krater, die die Disruptorkanonen der Unerschrocken in die Außenhaut des fremden Schiffes gebrannt hatten. Er maß gut zehn Meter im Durchmesser und war mindestens dreißig Meter tief. Weiter reichten die Sensoren der Hartanzüge eigenartigerweise nicht, obwohl sie durchaus dazu in der Lage gewesen wären. Schwejksam überprüfte seine anderen Instrumente. Keine Umgebungswärme strahlte aus dem Loch, keine Radioaktivität, keine Magnetfelder und nur geringe Spuren von Gravitation. Höchstens ein Zehntel des menschlichen Standards. Welche Geheimnisse das fremde Schiff auch immer barg, es behielt sie sorgsam für sich.
Schwejksam aktivierte sein Komm-Implantat.
» Unerschrocken, hier spricht der Kapitän. Könnt Ihr mich hören?«
»Laut und deutlich, Kapitän«, meldete sich Creutz ohne Verzögerung. »Unsere Sensoren sind auf Euren Standort gerichtet, und wir erhalten vollständige Daten von Euren Anzügen. Wir sind in der Lage, Eure Bewegungen mitzuverfolgen und Euch zu helfen, wo Ihr auch immer hingeht.«
»Ich fühle mich bereits ein gutes Stück sicherer«, brummte Frost. »Haltet die Kanonen schußbereit, Creutz. Ganz egal, was auch geschieht – dieses Schiff darf unter gar keinen Umständen entkommen. Ihr werdet eine Flucht mit allen Euch zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern. Ist das klar?«
»Kapitän?« fragte Creutz unsicher.
»Tut, was der Investigator gesagt hat«, antwortete Schwejksam tonlos. »Sie ist die Expertin in dieser Angelegenheit.
Wenn es hart auf hart kommt, sind wir alle entbehrlich. Investigator Frost und ich wahrscheinlich sogar entbehrlicher als die anderen. Wir gehen jetzt rein. Laßt uns alle dicht beisammen bleiben, Leute. Was auch immer wir im Innern dieses Schiffes finden, laßt Euch nicht ablenken. Ich brauche Informationen und keine toten Helden. Investigator, wenn Ihr bitte vorausgehen würdet, dann kann die Schau beginnen.«
»Selbstverständlich, Kapitän.«
Frost trat über den Rand des Einschußkanals und sank langsam in das tiefe Loch hinab, das die Unerschrocken in den Rumpf des fremden Schiffes gebrannt hatte. Kurze Stöße aus den Antriebseinheiten ihres Anzugs steuerten Frosts Fall.