Schwejksam folgte ihr, und nach ihm die Marineinfanteristen, einer nach dem anderen, in einer langen Reihe gemächlich sinkender Gestalten. Die Schulterscheinwerfer ihrer Anzüge trieben die Dunkelheit zurück, doch es gab nicht viel zu sehen. Die Innenseite des Kraters bestand aus den gleichen dicken weißen Strängen, dicht an dicht und ineinander verdreht. Der kontrollierte Sturz schien eine Ewigkeit zu dauern, aber schließlich kam der Grund des Loches in Sicht. Frost kam als erste auf, kämpfte für den Bruchteil einer Sekunde um ihr Gleichgewicht und blickte sich rasch um, die eingebauten Waffen schußbereit.
Einen Augenblick später gesellte sich Schwejksam zu ihr. Die massiven Stränge unter seinen Füßen gaben keine Spur nach.
Sie wölbten sich ringsum empor wie Wellen in einem gefrorenen Meer. Die Marineinfanteristen sanken ringsum zu Boden wie große silberne Schneeflocken, die aus der Finsternis ins Licht schwebten. Die Soldaten landeten mit spielerischer Leichtigkeit und bildeten sofort einen Verteidigungsring um Schwejksam und Investigator Frost, die inzwischen nachdenklich den Boden untersucht hatte.
»Interessant«, erklärte sie schließlich. »Wir haben dieses Schiff mit allem beschossen, was wir haben. Als seine Schilde zusammenbrachen, bekam die Hülle – oder was auch immer das hier für ein Zeug ist – die volle Wirkung der Disruptorkanonen aus allerkürzester Distanz ab. Massiver Stahl wäre geschmolzen und zerlaufen wie Butter in der Sonne, wenn er nicht augenblicklich verdampft wäre. Aber ich finde keinerlei Spuren von Hitzeeinwirkung oder Beschädigungen überhaupt.«
»Selbstregenerierend?« fragte Schwejksam. Frost zuckte die Schultern.
»Vielleicht. Wenn, dann ist es viel weiter entwickelt als alles, was wir haben. Und warum haben sie dann nur die Wände repariert? Warum haben sie nicht gleich das Loch versiegelt?«
»Weil sie wußten, daß wir kommen würden. Weil sie kontrollieren wollten, wo wir auf dem Schiff landen«, erwiderte Schwejksam. »Das Wort Falle kommt mir unwillkürlich in den Sinn. Vorschläge?«
»Wir sprengen uns einen Weg frei«, antwortete Frost. »Ich habe genug Granaten mitgenommen, um einen Weg durch einen kleinen Mond zu sprengen. Wenn wir erst drinnen sind, können wir immer noch sehen, ob jemand kommt und sich wegen des Lärms beschwert.«
»Wenn Ihr anfangen wollt, mit Granaten um Euch zu werfen, nehme ich meine Männer und verschwinde von hier«, sagte Schwejksam entschlossen. »Ich habe noch nie einen Investigator gesehen, der das Konzept der Subtilität verstand, wenn es um Sprengstoffe ging.«
Plötzlich unterbrach er sich und musterte mißtrauisch die Wand. Zwei der dicken Stränge bogen sich langsam auseinander und gaben den Blick auf einen engen Tunnel frei, der tiefer in das Schiff hineinführte. Frost steckte vorsichtig den Kopf durch die Öffnung. Ihre Anzugscheinwerfer leuchteten den Gang aus, soweit es ging. Er schien vollkommen leer zu sein.
Schwejksam versuchte es mit seinen Sensoren, aber sie fingen keinerlei Signal auf. Soweit es die Sensoren betraf, existierte der Tunnel überhaupt nicht.
»Schwejksam an Unerschrocken, bitte melden. Könnt Ihr ein Signal empfangen?«
»Wir sind auf die Komm-Signale Eurer Anzüge aufgeschaltet, Kapitän«, murmelte Creutz’ Stimme in sein Ohr. »Wir sehen alles, was Ihr seht. Doch unsere Fernsensoren empfangen ebenfalls nichts. Wir haben bisher keinerlei Lebenszeichen entdecken können. Der Raumhafen von Golgatha hat sich in der Zwischenzeit gemeldet; sie sind noch immer viel zuviel mit sich selbst beschäftigt, um uns Unterstützung zu gewähren. Die gute Nachricht ist, das die sechs neuen Sternenkreuzer, die das Hadenmann-Schiff verfolgten, anscheinend den Kontakt mit ihm verloren haben. Sie befinden sich auf dem Rückweg und sollten in weniger als einer Stunde wieder hier sein.«
»Nun, das ist wenigstens etwas, würde ich sagen.« Schwejksam wandte sich an Frost. »Eure Entscheidung, Investigator.
Gehen wir hinein oder nicht?«
»In eine mögliche Falle, die vielleicht voller mordlustiger Fremdwesen steckt? Selbstverständlich gehen wir hinein, Kapitän. Wir gewinnen nichts, wenn wir nur hier herumstehen.«
»Ich habe gewußt, daß Ihr das sagen würdet. Also schön, Ihr geht voraus. Die Infanteristen bleiben dicht hinter uns. Haltet Euch bereit, auf alles zu feuern, was sich bewegt, Leute, aber seid vorsichtig. Es besteht noch immer die Möglichkeit, daß wir das vermißte Personal der Gehenna-Basis irgendwo hier drin finden. Ich würde die Leute gerne lebend nach Hause bringen, wenn das überhaupt möglich ist. Geht voraus, Investigator.«
Frost trat vorsichtig in den Tunnel und tastete sich Schritt für Schritt voran. Schwejksam und die Marineinfanteristen folgten ihr. Die Stränge, aus denen die Wände des Tunnels geformt waren, wirkten glatter, feiner und dünner als die im Krater, doch auch sie gaben keinen Millimeter nach. Dünne blaue Fäden zogen sich durch das strahlende Weiß wie Adern.
Schwejksam zoomte die Wand heran. Die Stränge pulsierten kaum wahrnehmbar, aber regelmäßig. Schwejksam schaltete die Vergrößerung wieder auf normal zurück und berührte einen Strang mit den Sensoren in seinen stählernen Handschuhen. Sie entdeckten keinerlei Wärme, aber eine gewisse Feuchtigkeit.
Die Wände des Tunnels waren bauchig wie die Decke oder der Boden, als würden Schwejksam und seine Leute durch die Eingeweide eines seltsamen Riesenwesens marschieren. Vielleicht kam das der Wahrheit sogar ziemlich nah. Schwejksam warf einen Blick über die Schulter nach hinten, um zu sehen, wie sich die Soldaten hielten, und bemerkte, daß der Gang sich hinter dem letzten seiner Leute wieder geschlossen hatte. Die Stränge hatten sich dicht und undurchdringlich aneinander geschmiegt. Schwejksam benachrichtigte die anderen. Sie wirbelten herum, um sich selbst ein Bild von der Situation zu machen. Frost stand im Begriff, nach hinten zu gehen und die Stränge mit ihrem Disruptor zu bearbeiten, doch Schwejksam gebot ihr Einhalt.
»Wir wollen zuerst dem Tunnel folgen und sehen, wohin er führt. Wir können später immer noch zurückkehren und uns einen Weg nach draußen freischießen. Unerschrocken, habt Ihr mitverfolgt, was hier geschehen ist?«
In seinen Ohren herrschte nichts als Stille.
»Hallo, Unerschrocken? Könnt Ihr mich empfangen?«
Schwejksam lauschte angestrengt, aber außer seinem eigenen rauhen Atem war nichts zu hören. »Investigator, versucht Ihr sie zu erreichen.«
Frost rief nach der Unerschrocken, dann die Soldaten – doch ohne Erfolg. Frost fluchte leise vor sich hin, bevor sie sich an Schwejksam wandte. »Der Fehler liegt nicht bei den Anzügen.
Die Diagnoseprogramme zeigen keine Fehlerfunktion an. Irgend etwas blockiert das Signal. Wir sind auf uns allein gestellt, Kapitän.«
»Das wäre nicht das erste Mal, Investigator. Macht weiter.
Ich denke nicht, daß uns die Eigentümer dieses Schiffes hergeführt haben, damit wir hier stehenbleiben. Ich denke… sie erwarten uns.«
Frost schniefte verächtlich und übernahm erneut die Führung.
Während der Landungstrupp tiefer in das fremde Schiff eindrang, öffneten sich die Stränge vor den Menschen und erweiterten den Tunnel. Hinter ihnen schlossen sie sich wieder und versperrten den Rückweg, so daß Schwejksam und seine Leute sich innerhalb einer wandernden Tasche durch das Schiff bewegten.
Die Dicke der Stränge variierte jetzt noch stärker, doch es gab auch noch andere Veränderungen. Die leichenblassen Stränge waren wirr und ohne jeden erkennbaren Sinn oder Zweck ineinander verschlungen. Einige von ihnen waren kaum dicker als ein kleiner Finger. Auch der Boden bildete keine Ausnahme. Mehr als je zuvor überkam Schwejksam das Gefühl, über ein Spinnennetz zu laufen, das rhythmische Signale über seinen derzeitigen Aufenthaltsort und seine Marschrichtung an die unsichtbare Besatzung des Schiffes weiterleitete.