Mit jedem Schritt wurde es schwieriger, die Stiefel vom Boden zu heben, und bald bewegten die Soldaten sich nur noch durch die schiere Kraft der Servomotoren ihrer Anzüge weiter. Seltsame Lichter pulsierten in den Tunnelwänden, kamen und gingen in so rascher Folge, daß es unmöglich war, ihre Farbe zu bestimmen. Doch noch immer gab es nirgendwo ein Anzeichen von Apparaten oder anderen Dingen, die künstlich geschaffen worden waren, geschweige denn einen Hinweis auf die Besatzung des fremden Schiffs.
Plötzlich verengte sich der Tunnel zu einem schmalen Durchlaß, und die Männer mußten auf Händen und Knien einer hinter dem anderen weiterkriechen. Als sie auf der anderen Seite wieder aufrecht stehen konnten, befanden sie sich in einer gewaltigen, eiförmigen Kammer mit sanft schimmernden Wänden und hoher Decke. Dunkle Umrisse und eigenartige, sorgfältig geformte Dinge knospten aus Boden und Decke. Ihr Sinn blieb schleierhaft. Frost bellte eine Warnung, die Knospen auf keinen Fall zu berühren, was Schwejksam vollkommen überflüssig fand. Er hätte diese… Dinger nicht für alles Geld der Welt freiwillig berührt. Aus unerfindlichen Gründen gaukelte sein Bewußtsein Schwejksam immer wieder Bilder von sich selbst vor, wie er hilflos in einer der dunklen Knospen gefangen war, während langsam aggressive Verdauungssäfte in die große Kammer strömten. Er schwitzte in seinem Hartanzug, nicht zum ersten Mal und trotz der kühlen Luft, die darin zirkulierte.
Sorgfältig darauf achtend, nichts zu berühren, stapften die Menschen langsam durch die weite Kammer und verließen sie schließlich auf der gegenüberliegenden Seite durch einen weiteren beengten Gang. Dahinter setzte sich der Tunnel fort, öffnete sich vor und schloß sich hinter dem Landungstrupp, und sie kamen durch weitere Kammern voller seltsamer Knospen, deren Funktion sich dem menschlichen Verstand nicht erschloß. Schließlich landeten sie in einer kleinen Kammer, wo sie herausfanden, was mit der vermißten Besatzung von Gehenna-Basis geschehen war.
Die Kammer maß hundert Meter im Durchmesser. Die Wände waren von pockennarbigen Vertiefungen durchzogen. Eine dünne Schicht von Nebel waberte über dem Boden und schlug sich feucht auf den Anzügen nieder. Ein grelles, blauweißes Licht, das von überall und nirgends zu stammen schien, tauchte die Kammer in einen unbarmherzigen Schein. Lange, flache Gestelle aus unbekanntem Metall standen wirr verteilt herum, die kaum über den Nebel ragten, und auf diesen Gestellen, festgehalten von einer unsichtbaren Kraft, lagen die Überreste der menschlichen Besatzung von Gehenna. Einige waren nur noch einzelne Körperteile; Gliedmaßen, Organe, Gesichter. Ein Dutzend vollständiger Körper war auf das gründlichste vivisektiert worden, und aus dem Anblick der wenigen noch vorhandenen Schädel und dem Ausdruck auf den Gesichtern schloß Schwejksam, daß die Männer und Frauen noch gelebt hatten und bei vollem Bewußtsein gewesen waren, als die Vivisektion begann. An jedem anderen Ort wäre dem Kapitän der Unerschrocken sicherlich schlecht geworden, trotz all seiner Erfahrung; aber hier, an Bord des Schiffes der Fremden, hielt ihn eine besinnungslose Wut gepackt, und er war außerstande, darüber hinaus noch etwas anderes zu empfinden.
»Dafür werden sie alle sterben«, erklärte Frost mit eiskalter, beherrschter Stimme. »Jedes lebende Wesen an Bord dieses Schiffes wird mit seinem Blut dafür bezahlen.«
Die Marineinfanteristen blickten sich unbehaglich um und hielten die Waffen schußbereit. Kein Ziel war zu sehen.
Schwejksam wußte, wie sie sich fühlten, denn er konnte seine eigene Wut nur mühsam kontrollieren. »Ihr werdet die Fremden erst töten, wenn unsere Spezialisten jeden einzelnen Tropfen an Informationen aus ihnen herausgequetscht haben, Investigator. Und bis dahin will ich lebendige Gefangene, keine Leichen. Vergeßt Eure Befehle nicht, Männer. Nur unbedingt notwendige Gewalt, nicht mehr – es sei denn zur Selbstverteidigung. Benutzt Euer Urteilsvermögen, aber vergeßt nicht, daß Ihr später vielleicht dafür geradestehen müßt. Die Zeit der Rache wird kommen, doch im Augenblick benötigen wir die Informationen. Durchaus möglich, daß wir uns in Zukunft mit weiteren Schiffen dieser Art konfrontiert sehen.«
»Hört auf, mir Vorträge zu halten«, sagte Frost. »Ich kenne meine Pflichten.«
»Tut mir leid, Investigator. Ich habe für das Log gesprochen.
Hier können wir jedenfalls nichts mehr tun. Markiert die Position der Kammer in der automatischen Karte Eures Anzugs, dann gehen wir weiter. Wir werden später jemanden herschicken, um die Leichen zu bergen. Zuerst müssen wir die Brücke oder Zentrale oder was auch immer finden. Ich will, daß dieses Schiff tot und hilflos im All treibt, bevor es Reparaturen ausführen kann. Außerdem will ich einen genaueren Blick auf die Besatzung werfen, und ich bin von Minute zu Minute mehr davon überzeugt, daß das nur in der Zentrale geht. Die Fremden würden nicht wagen, ihre Zentrale zu räumen.«
Schwejksam übernahm die Führung. Er durchquerte die Kammer und vermied dabei sorgfältig, noch einen weiteren Blick auf die Gestelle mit den ausgeweideten, blutbesudelten Leichen zu werfen. So konnte er seine Wut leichter im Zaum halten. Eine Ewigkeit schienen zu vergehen, bevor er endlich die gegenüberliegende Wand und die Öffnung darin erreicht hatte, doch als er ankam, fiel ein Vorhang von massiven, dicht gepackten bleichen Strängen darüber. Der Kapitän der Unerschrocken bemühte sich mit Hilfe der Servomotoren, die Stränge auseinanderzuziehen. Sie gaben keinen Millimeter nach. Was Schwejksam im Grunde genommen auch nicht erwartet hatte. Er hämmerte wütend mit der Faust gegen den Vorhang, dann wandte er sich zu den anderen um. Seine Leute standen abwartend da, die Gesichter hinter glatten, stählernen Helmen verborgen. Langsam wurde es dunkler, und die Gestelle mit ihrer grausigen Last verschwanden allmählich im dichter werdenden, aufsteigenden Nebel. Schwejksam mußte seine Phantasie nicht sonderlich anstrengen, um sich auszumalen, wie sich die Besatzung des fremden Schiffs auf der anderen Seite des versperrten Ausgangs formierte.
»Soldaten, ich schätze, wir befinden uns nun in einer definitiv lebensbedrohlichen Situation. Schießt also auf alles, was sich bewegt und nicht zu uns gehört. Ich hätte allerdings immer noch gerne ein paar Gefangene, also laßt ein paar am Leben, wenn es sich einrichten läßt. Investigator, schafft uns einen Durchgang.«
Frost hob ihre gepanzerte Rechte und zielte auf den versperrten Durchgang. Der in den Arm eingebaute Disruptor brannte ein Loch mitten durch das dicht gepackte Gewebe. Fahles, grünes Licht ergoß sich aus dem zehn Meter weiten Loch in die Kammer. Alle wappneten sich gegen einen Angriff, der niemals kam. Schwejksam und Frost beugten sich vor und spähten durch die neu entstandene Öffnung. Auf allen Seiten und von der Decke herab baumelten lose Enden von Strängen, aber sie machten keinerlei Anstalten, sich wieder zusammenzufügen.
Die Stränge schleiften kraftlos über die Hartanzüge, ohne Schaden anzurichten, als die Menschen durch das Loch schritten. Hinter der Öffnung lag ein milchig weißer Tunnel mit glatten, schwach glühenden Wänden. Er maß kaum drei Meter im Durchmesser, gerade weit genug, um Schwejksam und seine Leute in den schwer gepanzerten Hartanzügen passieren zu lassen. Schwejksam fragte sich unwillkürlich, ob Absicht dahintersteckte. Noch immer war kein Zeichen vom Feind zu sehen.
»Ich gehe wieder voran«, sagte Frost. »Das hier ist eine Angelegenheit für einen Investigator.«
»Ganz Eurer Meinung«, erwiderte Schwejksam. »Nach Euch, Investigator.«
Frost betrat den engen Tunnel, die Handschuhe mit den eingebauten Waffen gerade nach vorn gestreckt. Schwejksam folgte ihr, und die Marineinfanteristen bildeten den Schluß. Der Boden wankte besorgniserregend unter ihrem Gewicht, als könnte er jeden Augenblick einbrechen und die gesamte Truppe in das stürzen, was auch immer darunter lauern mochte.