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Schwejksam drängte voran und bemühte sich, eine solche Vorstellung aus seinen Gedanken zu verdrängen. Er hatte längst jede Orientierung verloren, ohne sich wirklich zu verlaufen – natürlich nicht. Sein Anzug protokollierte automatisch den gesamten Weg und würde ihn mit Leichtigkeit zum Ausgangspunkt zurückführen. Trotzdem wußte Schwejksam nicht, wo im Innern des Schiffes er sich befand oder wie weit er sich vom Eingang entfernt hatte. Es blieb nur das unheimliche Gefühl, tiefer und tiefer ins Innere, in Richtung des dunklen Herzens des fremden Schiffs geführt zu werden. Schwejksam überprüfte seinen Luftvorrat, doch bisher hatte er ihn kaum angetastet.

Theoretisch reichte sein Sauerstoffvorrat locker für eine Woche. Unter normalen Umständen jedenfalls.

Der Kapitän betrachtete die Tunnel wände rechts und links.

Sie bestanden nicht mehr aus Strängen, sondern waren flach und glatt, eher wie Membranen. Sie pulsierten und schwankten aus keinem erkennbaren Grund. Wellen blasser Farben bewegten sich über das milchige Weiß der Oberfläche wie flüchtige Gedanken oder Träume. Der Durchgang verengte sich immer mehr, je weiter die Menschen vordrangen. Schwejksam benutzte die Anzugsensoren, um die Weite des Tunnels zu messen. Er runzelte die Stirn, als er das Ergebnis mit den Werten vom Eingang dieses Bereichs verglich. Der Kapitän überschlug, wie lange es noch dauern würde, bis der Tunnel zu eng werden würde, um weiter vorzudringen, und dieses Ergebnis gefiel ihm noch weniger. Vier Minuten und siebenunddreißig Sekunden.

Höchstens.

»Alles stehenbleiben!«

Die Gruppe gehorchte. Frost drehte sich nicht um, doch er wußte, daß sie ihn unter ihrem glatten Metallhelm beobachtete.

Schwejksam überprüfte den Tunneldurchmesser hinter sich und war nicht überrascht festzustellen, daß er bereits zu eng geworden war, um auf dem gleichen Weg zurückzukehren.

»Ich frage mich bereits seit einiger Zeit, wann es Euch endlich auffällt«, sagte Frost. »Sieht ganz danach aus, als hätten die Fremden uns dort, wo sie uns haben wollen. Soll ich den Durchgang sprengen?«

»Zur Hölle, ja«, erwiderte Schwejksam. »Im Zweifel soll man Krach schlagen. Gebt Bescheid, daß wir hier sind… und nicht im geringsten darüber glücklich.«

Frost richtete ihre eingebauten Disruptoren auf den enger werdenden Tunnel vor sich… …und die milchig weißen Wände teilten sich an Hunderten Stellen zugleich, als zahllose Insektenwesen aus ihren Verstecken hervorbrachen und den Landungstrupp angriffen. Die Angreifer variierten in der Größe von faustgroßen vielbeinigen Käfern, die über die gepanzerten Anzüge Schwejksams und seiner Leute auf der Suche nach Schwachstellen ausschwärmten, durch die sie eindringen und die Träger angreifen konnten, bis hin zu riesigen, bösartigen Kreaturen, die ihren eigenen Panzer trugen und mit häßlichen Kneifzangen ausgestattet waren. Einige Augenblicke beherrschte das Blitzen der Disruptoren die Szene, doch als die Waffen verstummten, verschwanden die Soldaten unter einer wogenden Masse von Insektenleibern. Winzige Kreaturen blockierten die Sensoren. Schwejksam war mit einem Schlag taub und blind. Er versuchte, die Insekten mit Hilfe der bärenstarken Servos in den stählernen Händen wegzuwischen, doch es waren einfach zu viele. Warnleuchten blinkten vor seinen Augen auf, als ätzende Säuren sich einen Weg in die gepanzerten Gelenke fraßen und die Dichtigkeit des Anzugs bedrohten. Schreie erklangen in Schwejksams Ohren, als Insekten in den Hartanzug eines der Marineinfanteristen eindrangen und den Mann bei lebendigem Leib zu fressen begannen. Andere Soldaten fielen in das Schreien ein.

»Frost!« rief Schwejksam. »Habt Ihr Eure Granaten noch?«

»Genug, um uns alle zur Hölle zu schicken, wenn Ihr das meint.«

»Ich dachte mehr daran, lediglich die Insekten zu töten, ohne unsere Anzüge zu beschädigen.«

»Kein Problem, Kapitän. Aufgepaßt!«

Die Explosion war so heftig, daß auf Schwejksams Kontrollanzeigen für kurze Zeit ein Dutzend Warnlichter aufflackerte.

Doch der Anzug blieb unbeschädigt, und die roten Lichter verloschen eins nach dem anderen wieder. Schwejksam klopfte sich unsicher ab. Sicht und Gehör kehrten zurück, als tote Insekten von ihm abfielen und die Sensoren wieder frei waren.

Der Tunnel ringsum hing in Fetzen, und dahinter lag das Geheimnis des fremden Schiffes offen vor Schwejksam und seinen Leuten: der schwere, gewaltige Leib der Königin des fremden Insektenvolks.

Sie füllte den gesamten Raum hinter dem Tunnel aus, ein riesiger, aufgeblähter Sack lebenden Gewebes, Dutzende von Metern lang, lebendige Mauern aus blassem, pulsierendem Fleisch, aus dem hier und dort schwarze, lidlose Facettenaugen blickten. Unglaublich kleine, verkümmerte Gliedmaßen ragten an verschiedenen Stellen aus dem deformierten Körper, Überbleibsel eines lang vergessenen früheren Lebens. Metallene Instrumente und glänzende Kabel drangen überall in den mächtigen Körper ein, als wäre die Königin in das Schiff eingebaut worden oder als wäre das Schiff um sie herum gewachsen.

Schwejksam mußte sich zwingen, den Blick von der fremden Königin abzuwenden. Er sah sich um. Die schwärmenden Insektenmassen waren vom Druck der Explosion zerfetzt worden. Überall lagen tote und verletzte Fremdwesen; einige zuckten noch wie rasend. Schwejksam zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß weitere Angreifer unterwegs waren. Acht seiner Soldaten standen noch und warteten benommen auf weitere Befehle. Frost hatte nur Augen für die Königin. Schwejksam untersuchte die vier gefallenen Marineinfanteristen, obwohl er bereits vorher wußte, was er finden würde. Ihre Anzüge waren durch den Säureangriff der Insekten schon so weit beschädigt gewesen, daß sie dem Druck der Explosion nicht mehr standgehalten hatten. Vier weitere gute Männer, die auf das Konto der Fremden gingen. Schwejksams Kopf ruckte hoch, als die Sensoren kriechende und krabbelnde Geräusche auffingen, die sich näherten.

»Investigator, weitere Angreifer sind unterwegs. Irgendwelche Empfehlungen?«

»Erledigt die Königin. Sie ist Herz und Verstand der Fremden.«

»Ihr habt Investigator Frost gehört, Männer. Greift die Königin mit allem an, was Ihr habt.«

Strahlendes Licht schoß aus den Disruptoren und sengte große Mengen Gewebe aus dem Leib der Königin, doch er versiegelte sich augenblicklich wieder. Die fremde Königin war einfach zu groß, um mit den Energiewaffen ernsthaft verletzt zu werden. Sie ragte über den Männern auf wie ein gewaltiger monolithischer Block, und mit einemmal drangen von allen Seiten weitere Angreifer in das vor, was von dem Tunnel übriggeblieben war. Die lebendige Wand schien kein Ende nehmen zu wollen. Schwejksam erkannte, daß dieses Mal keine Waffe ausreichen würde, um sie aufzuhalten. Die Insekten würden immer weiter anstürmen, ohne Rücksicht auf eigene Verluste, bis ihre schiere Zahl auch den letzten seiner Männer überwältigt hätte. Wenn er Glück hatte, würde er bei dem Angriff sterben.

Verdammt. Noch mehr gute Männer. Frost. Ich wünschte…

Und dann änderte sich schlagartig alles. Das rätselhafte Geschenk, das das Labyrinth des Wahnsinns ihm mitgegeben hatte, leuchtete hell in Schwejksams Verstand, und einmal mehr vereinte sich sein Bewußtsein mit dem Frosts. Ein Verstand, eine Seele. Ein lautes, unverständliches Brüllen erfüllte ihre Köpfe – die fremdartigen Gedanken von Millionen Insekten.

Und durch das Brüllen hindurch, wie donnernder Herzschlag, die Kommandos der fremden Königin. Es dauerte nur einen Augenblick, bis Frost und Schwejksam sich in das Tosen des Massenbewußtseins eingeklinkt, die Kontrolle übernommen und ihre eigenen Befehle übermittelt hatten. Die Insektenwelle wandte sich von ihrer menschlichen Beute ab und fiel die eigene Königin an. Die lebende Mauer schwärmte auf dem gewaltigen Leib der Königin aus und begann, sie bei lebendigem Leib zu fressen. Das letzte, was Schwejksam und Frost hörten, bevor ihre Verbindung wieder abbrach und jeder sich allein in seinem eigenen Kopf wiederfand, war das verzweifelte Kreischen der Königin. Beide grinsten wild.