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»Ich weiß, was Ihr wollt, Hazel«, erwiderte Owen ein wenig gereizt. »Ihr seid der Meinung, daß wir alle, die wir durch das Labyrinth des Wahnsinns gegangen sind, unsere neuen Fähigkeiten dazu nutzen sollten, um uns einen blutigen Weg direkt in das Herz des Imperiums und nach Golgatha zu bahnen, damit Ihr die Imperatorin Löwenstein in ihrem Palast stellen könnt. Nun, das könnt Ihr getrost vergessen. In dem Augenblick, in dem wir uns zeigen, wird Löwenstein auf uns losgehen… selbst wenn sie dazu ihre halbe Flotte braucht. Wir sind weder Götter noch Supermenschen, Hazel. Wir besitzen ein paar neue Fähigkeiten, das ist alles. Sehr nützliche Fähigkeiten, wie ich zugebe, aber nur, wenn wir sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort einsetzen.«

»Du verstehst überhaupt keinen Spaß«, beschwerte sich Hazel. »Was denken die anderen? Ich schätze, sie waren wie du dafür, ängstlich herumzuschleichen?«

Owen runzelte die Stirn. »Giles wollte die nächsten paar Jahre damit verbringen, die Geschehnisse aus sicherer Entfernung zu beobachten und im gesamten Imperium versteckte Basen zu errichten, bevor wir das Risiko eingehen, Löwensteins Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Hätten wir auf Giles gehört, würden wir in zwanzig Jahren noch immer auf unseren Hintern sitzen und darüber nachdenken, ob der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Er ist nicht mehr der alte, seit er Dram getötet hat.

Er ist übervorsichtig und unverbindlich geworden. Jakob Ohnesorg wollte eine Armee aufstellen, allein mit Hilfe seines berühmten Namens, und dem Imperium Welt für Welt entreißen, wie in alten Zeiten. Wir mußten ihn ziemlich nachdrücklich daran erinnern, daß es schon damals nicht funktioniert hat und heute erst recht nicht funktionieren würde. Ruby Reise wollte einfach nur jemanden umbringen, so schnell wie möglich und egal, wen. Und der Wolfling… Er wollte in Ruhe gelassen werden. Also traf ich schlußendlich die meisten Entscheidungen selbst, weil alle anderen viel zu sehr mit Schmollen beschäftigt waren.«

»Vielleicht hätte ich mich wirklich mehr darum kümmern sollen«, sinnierte Hazel.

»Wir haben Euch immer und immer wieder darum gebeten, Hazel. Aber Ihr wart stets irgendwo unterwegs und mit Euren eigenen Angelegenheiten beschäftigt… Was auch immer das gewesen sein mag. Schießübungen mit Euren neuen Spielzeugen vielleicht oder auch das Verführen eines Hadenmanns.«

»Ich habe die neuen Fähigkeiten ausprobiert, die mir das Labyrinth des Wahnsinns verlieh«, rechtfertigte sich Hazel. »Du magst vielleicht Angst haben vor dem, was es aus uns gemacht hat – ich jedenfalls nicht. Wir alle sind stärker, schneller und ausdauernder als zuvor, doch dahinter steckt noch eine Menge mehr. Zwischen uns existiert jetzt eine Verbindung, ein mentales Band auf irgendeiner tiefen, fundamentalen Ebene. Es ist nicht wie ESP. Ich kann weder deine Gedanken lesen noch die von irgend jemand anderem. Aber wir sind… auf eine einzigartige Weise miteinander verbunden. Bewußtsein mit Bewußtsein, Seele mit Seele, Körper mit Körper. Ich kann alles, was du kannst, und umgekehrt. Zum Beispiel habe ich jetzt den Zorn. Genau wie du!«

Owen blickte sie scharf an. Der Zorn war sowohl Gabe als auch Fluch der Todtsteltzer. Owen konnte sich für kurze Zeit in einen richtigen Supermann verwandeln, übermenschlich schnell, stark und unschlagbar mit der Waffe in der Hand. Der Zorn war eine Kombination aus mentalem Training, genetisch manipulierten Drüsen und geheimen chemischen Depots tief in seinem Körper, und er war ein sorgfältig gehütetes Geheimnis des Todtsteltzer-Clans. Der Zorn war außerdem verführerischer als eine Droge und machte stärker abhängig, als Drogen es je vermocht hätten. Owen hatte lernen müssen, seinen Zorn nur gezielt und selten einzusetzen. Eine Kerze, die doppelt so hell leuchtet, brennt schließlich auch nur halb so lange. Zuviel Zorn würde ihn im wahrsten Sinne des Wortes ausbrennen lassen.

Hazel wußte bereits einiges darüber, aber gewiß nicht alles und mit Sicherheit nicht halb so viel, wie sie zu wissen vermeinte.

Owen achtete sorgfältig darauf, seine Stimme ruhig zu halten, als er zu einer Antwort ansetzte.

»Ihr müßt Euch irren, Hazel. Der Zorn ist kein ESP-Phänomen. Er ist das Ergebnis vererbter Anlagen, physischer Veränderungen im Körper und eines wahrhaft höllischen Trainings.«

»Und ich habe ihn.« Hazel grinste triumphierend. »Ich habe mit dem Zorn geübt. Du hast mir nie gesagt, wie gut es sich anfühlt, Todtsteltzer. Ich hatte nicht an die physischen Veränderungen gedacht, die damit verbunden sind, aber du hast wahrscheinlich recht. Na und? Es bedeutet lediglich, daß mein Körper sich von alleine angepaßt hat. Interessant. Ich frage mich allmählich, welche anderen Veränderungen noch in mir vorgegangen sind. Allein der Gedanke daran…«

Owen beugte sich vor und blickte Hazel direkt in die Augen.

»Ihr begebt Euch in gefährliches Wasser, Hazel D’Ark. Wir wissen nicht genug über das, was mit uns geschehen ist, um einfach drauflos zu experimentieren. Ihr springt in den Abgrund, ohne daß Ihr eine Vorstellung davon habt, wie tief es hinuntergeht. Wir sollten vorsichtig sein. Immer schön einen Schritt nach dem anderen, unter sorgfältig kontrollierten Bedingungen.«

»Du hast nur Angst vor deiner eigenen Courage!«

»Verdammt richtig, das habe ich! Und das solltet Ihr besser auch! Das Labyrinth war ein fremdrassiger Artefakt, oder habt Ihr das bereits vergessen? Von fremden Mächten zu einem fremden Zweck geschaffen. Die letzten Menschen, die vor uns hindurchgegangen sind, haben am Ende die Hadenmänner geschaffen. Ihr riskiert jedesmal Eure Menschlichkeit, wenn Ihr einfach blind drauflos experimentiert, Hazel! Es ist von allergrößter Wichtigkeit, daß wir die Sache langsam und vorsichtig angehen.«

»Dazu haben wir aber nicht die Zeit! Die Rebellion braucht uns, und zwar jetzt! Du bist doch derjenige, der von unserer Verantwortung gesprochen hat und der immer wieder betont, wie wichtig diese Mission ist. Wenn wir diese Sache überleben wollen und das, was noch kommt, dann werden wir jeden Vorteil ausnutzen müssen, der sich uns bietet. Wenn du nicht vorbereitet bist, um uns anzuführen, dann tritt beiseite und laß es einen anderen machen. Aber keine Angst, Aristo: Wenn ich erst all meine Fähigkeiten entdeckt habe und der Supermensch geworden bin, der zu sein du dich fürchtest, dann werde ich die Rebellion anführen, und du kannst dich wieder hinter deinen Büchern verkriechen. Du bist zu weich, um ein wirklicher Krieger zu sein, Todtsteltzer. Du warst immer schon zu weich.

Du träumst noch immer von dem Kind, das du auf Nebelwelt verkrüppelt hast. Hör endlich auf damit. Sie hätte dich umgebracht, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.«

»Das spielt keine Rolle«, erwiderte Owen. Er sah Hazel weiterhin in die Augen. »Sie war noch ein Kind, und ich habe sie niedergestochen, ohne mich daran zu stören. Einfach so, weil mich der Rausch des Kampfes gepackt hatte. Ich werde so etwas nie wieder tun. Wenn ich schon ein Kämpfer sein muß, dann auf die Art und Weise, die ich mir aussuche, und nicht so, wie meine Familie es vielleicht gerne sehen würde. Und ich werde auf gar keinen Fall meine Menschlichkeit aus reiner Zweckmäßigkeit aufgeben, Hazel.

Ich treffe die Entscheidungen bei unserer Rebellion, weil ich der einzige bin, der die Kriege und Erhebungen der Vergangenheit studiert hat und weiß, wie sie gewonnen oder verloren wurden. Wir werden das Imperium durch Sabotage und Täuschung bekämpfen und indem wir die Herzen der Menschen gewinnen. Kein einziger Unschuldiger darf durch unsere Hand sterben. Und wenn Ihr meint, die Leute würden sich darum drängen, einem fremdartigen, übermenschlichen Superhelden zu folgen, dann irrt Ihr Euch, Hazel. Ihr irrt Euch sogar gewaltig. Sie würden das Imperium um Hilfe anflehen, Euch zu jagen und zu erledigen, damit sie keine Angst mehr vor Euch haben müßten. Wir werden das Hauptquartier der Steuerbehörde angreifen, genau wie geplant, und damit basta. Es wird ein Zeichen für eine neue Art von Rebellion sein, für eine neue Art von Krieg… ein Krieg, in dem niemand sterben muß, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.«