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Sie und Finlay besaßen mit Ausnahme ihrer beiden Kinder überhaupt keine Gemeinsamkeiten, und bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen ihrer beider persönliche Anwesenheit erforderlich gewesen war, hatte es jedesmal keine fünf Minuten gedauert, bis sie sich gegenseitig schnippische Bemerkungen an den Kopf geworfen hatten. Danach war ihre Begegnung mit schöner Regelmäßigkeit eskaliert, und es hatte immer damit geendet, daß sie sich angeschrien und mit Gegenständen um sich geworfen hatten.

Natürlich war Adriennes Hochzeit mit Finlay eine arrangierte Heirat gewesen. Weder er noch sie hatten ein Wort mitreden dürfen. Adrienne hatte insgeheim immer angenommen, Finlay sei mental gestört, mit seiner schrecklichen Leidenschaft für immer neue Kleider und Moden. Seine neuerlichen ›Heldentaten‹ schienen das nur zu bestätigen. Aber würde er wirklich dabeistehen und unbeteiligt zusehen, wie seine Frau zu Tode gefoltert wurde? Würde sie es tun, im umgekehrten Fall? Nun ja, wahrscheinlich. Adrienne hatte immer gewußt, daß sie tief im Innern eine verdammt harte Hexe war. Aber… Finlay hatte sein Leben riskiert, um sie zu retten, als sie während des Angriffs der Wolfs schwer verletzt worden war und zu verbluten drohte. Hätte er sie nicht rechtzeitig zu seiner Regenerationsmaschine gebracht, wäre sie längst tot. Adrienne konnte noch immer spüren, wie das Schwert durch ihre Bauchdecke drang und an ihrem Rücken wieder austrat. Manchmal träumte sie, wie sie hilflos auf dem Gravschlitten in ihrer eigenen Blutlache lag, während Finlay verzweifelt darum kämpfte, die Verfolger abzuschütteln. Sie erwachte jedesmal schweißgebadet und fand keinen Schlaf mehr, bis die tröstende Morgendämmerung einsetzte. Finlay hatte ihr das Leben gerettet, obwohl er es nicht mußte. Aber es war typisch für diesen Bastard, daß er es auf eine Weise getan hatte, die sie erniedrigte und beleidigte.

Damals hatte Adrienne noch nichts von ihm und Evangeline Shreck gewußt. Sie wußte zwar, daß es in Finlays Leben eine Frau gab, die ihm mehr bedeutete, als Adrienne ihm jemals bedeutet hatte, aber sie hatte nicht gewußt, wer diese Person war – bis zu dem Zeitpunkt, als sie in der Regenerationsmaschine in Evangelines Appartement im Shreck-Turm wieder erwacht war. Robert und seine Leute standen Wache und beschützten sie. Finlay und Evangeline waren längst verschwunden. Robert hatte Adrienne in Sicherheit gebracht. Evangeline tauchte irgendwann wieder auf, frei von Schuldgefühlen und ohne ein Wort über Finlay zu verlieren. Adrienne hatte niemals den Mut gefunden, mit ihr zu sprechen.

Sie seufzte und blickte sich in ihrer beengten Wohnung um.

Es war eigentlich Roberts ehemalige Junggesellenbude, wo er seine unregelmäßige Freizeit verbringen konnte. Seit Jahren hatte sich hier nichts mehr verändert. Vielleicht war allein die Aussicht, aus dieser Bruchbude ausziehen zu können, bereits den Handel mit dem verdammten Shreck wert. Adrienne hatte Jakuzzis besessen, die größer waren. Und es war eine rein männliche Umgebung, ohne jede Phantasie und ohne wirklichen Komfort. Adrienne juckte es in den Fingern, die Wohnung nach ihrem Geschmack umzugestalten, aber erstens besaß sie dazu nicht das nötige Geld, und zweitens würde Robert wahrscheinlich der Schlag treffen. Er mochte seine Wohnung so, wie sie war. Männer! Bestimmt wusch er seine Unterwäsche im Handwaschbecken und schnitt seine Fußnägel ins Bidet. Robert überließ Adrienne so viel Geld, wie er entbehren konnte, doch es war nicht viel. Der verdammte Wolf-Clan besaß nun das gesamte Feldglöck-Vermögen, mochten die Bastarde in der Hölle schmoren. Adrienne hatte allen Schmuck verkauft, der ihr geblieben war, Stück um Stück, um sich über Wasser zu halten. Inzwischen besaß sie kaum noch etwas. Man hatte ihr nicht viel Geld für den Schmuck geboten, natürlich nicht, und sie konnte ihn längst nicht anbieten, wo sie wollte.

Ihre ›alten Freunde‹ kannten sie mit einemmal nicht mehr, und Geschäftspartner hatten Angst, sich Feinde unter denen in der Gesellschaft zu machen, die sich offen an Adriennes Sturz ergötzten. Wie es schien, hatte sie mit ihrem vorlauten Mundwerk praktisch jeden zur einen oder anderen Zeit einmal beleidigt oder verärgert. Adrienne schniefte. Zur Hölle mit diesen Schwächlingen, wenn sie keine Spaß vertragen konnten.

Falls sie sich entschließen sollte, mit dem Shreck zusammenzuarbeiten und Finlay zu verraten, würde der Shreck vermutlich ihren Preis akzeptieren. Adrienne könnte wieder reich sein und Teil der Gesellschaft, und sie könnte all denen ins Gesicht lachen, die sie geächtet hatten…

Ein Klopfen an der Tür ließ sie aufschrecken. Adrienne wirbelte mit rotem Kopf herum, als hätte man sie bei etwas Falschem ertappt. Als könnte, wer auch immer es war, ihre Gedanken lesen. Sie zwang sich, ruhig zu atmen, und starrte zur Tür. Zwei Leute an einem Tag. Anscheinend wurde sie populär. Adrienne bemühte sich um einen ruhigen und gelassenen Klang in ihrer Stimme, als sie den Besucher aufforderte, sich zu identifizieren, und sie spannte sich erneut, als sie den Besucher als Robert Feldglöck erkannte. Er hatte von Anfang an klar zum Ausdruck gebracht, daß er sie nicht oft besuchen würde. Es gab eine Grenze, die er nicht überschreiten durfte.

Wenn er ihr zu sehr half, riskierte er seine Karriere. Und nicht nur das. Adrienne hatte verstanden. Wenn Robert jetzt zu ihr kam, gab es einen wichtigen Grund dafür. Sie errötete von neuem. Robert konnte unmöglich bereits vom Angebot des alten Shreck wissen. Vollkommen unmöglich. Sie gab der Tür den Befehl zum Öffnen, und Robert schneite in voller Flottenuniform herein, einen Seesack über der Schulter. Er nickte, lächelte Adrienne zu und ließ den Seesack zu Boden gleiten. Dann blickte er sich in seinem Appartement um.

»Ich fürchte, ich bin nur auf der Durchreise, liebe Adrienne.

Mein Marschbefehl kam heute morgen. Ich wurde an Bord eines der neuen E-Klasse-Schiffe versetzt. Die Dauerhaft. Ein verdammtes Ungetüm von einem Schiff. Doppelte Bewaffnung als bisher üblich und neuer Hyperraumantrieb. Wir starten morgen zu einem zweiwöchigen Erprobungsflug. Danach geht es auf eine sechsmonatige Patrouille am Abgrund. Und das bedeutet nicht nur, daß ich dich nicht länger schützen kann, sondern auch, daß die Flotte dieses Quartier für jemand anderen geräumt haben will. Es tut mir leid, daß ich dich so plötzlich damit überfalle, aber ich wurde selbst davon überrascht.

Ich habe ein paar Freunde hier in der Stadt, die versuchen werden, sich um dich zu kümmern, doch ich weiß nicht, wie es um ihre Loyalität steht, wenn jemand sie unter Druck setzt.«

»Ich verstehe«, sagte Adrienne, und das tat sie wirklich. Die Kontakte des alten Shreck zur Flotte hatten bereits zu arbeiten begonnen und arrangierten die Dinge nach seinem Geschmack.

Er versperrte ihr einen Ausweg nach dem anderen, bis Adrienne keine Wahl mehr blieb, als sich mit Gregor Shreck zusammenzutun.

»Es gibt jemanden, der dir vielleicht weiterhelfen kann«, fuhr Robert fort. »Aber es wird dir nicht gefallen. Ich habe mit Evangeline Shreck gesprochen. Sie war – und ist – Finlays Geliebte, aber sie ist nicht verkehrt, jedenfalls für eine Shreck.

Für Finlay wird sie alles tun. Sogar deinen Schutz übernehmen.

Geh und sprich mit ihr, Adrienne. Du wirst rasch herausfinden, daß ihr mehr Gemeinsamkeiten besitzt, als du glaubst. Ich muß jetzt gehen. Ich werde auf der Dauerhaft erwartet. Ich will versuchen, mit dir in Kontakt zu bleiben. Auf Wiedersehen, Adrienne, und viel Glück.«

Robert griff nach seinem Seesack, gab seiner Cousine einen flüchtigen Kuß auf die Wange und ging hinaus. Leise zog er die Tür hinter sich ins Schloß. Adrienne blickte ihm wütend hinterher, die Fäuste in die Seiten gestemmt. Sie hatte immer gewußt, daß sie nur auf Zeit in ihrem Unterschlupf bleiben konnte. Trotzdem kam die Nachricht, so plötzlich den Haien vorgeworfen zu werden, wie ein Schock für sie. Die Frage war: Wußte Evangeline von den Plänen ihres Vaters? War sie – vielleicht sogar unwissend – ein Teil davon? Wenn Adrienne sie deswegen warnte, würde Evangeline in ihrer Schuld stehen.