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»Nun?« sagte Adrienne. »Wollt Ihr mich nicht hereinbitten?

Wir haben über vieles zu reden.«

»Zur Hölle«, erwiderte Evangeline. »Ich habe keine Zeit dafür.«

»Es muß aber sein.«

»Ich bin wirklich in Eile. Ich… ich erwarte Besuch. Könntet Ihr nicht zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen?«

»Das bezweifle ich«, entgegnete Adrienne und lächelte schwach. »Eure Sicherheitsleute wollten mich gar nicht hereinlassen. Ich mußte ein ernstes Wort mit ihnen reden. Trotzdem versuchten sie weiter, mich abzuweisen, bis ich eine Leibesvisitation forderte. Da beruhigten sie sich ein wenig. Ich mag zwar in Ungnade gefallen sein, aber ich bin noch immer eine Feldglöck und von adliger Geburt. Wenn sie einem Vorgesetzten berichten, daß sie eine Aristokratin einer Leibesvisitation unterzogen haben, werden sie in Zukunft bei der Imperatorin arbeiten und ihr die schlechten Nachrichten überbringen. Soweit ich weiß, gibt es dort jede Menge freier Stellen. Sie stolperten fast übereinander, als sie sich zu entschuldigen versuchten und mich einließen, die armen Bastarde.«

»Was haben wir uns denn zu sagen?« beendete Evangeline Adriennes weitschweifige Einleitung.

»Wenn ich das wüßte«, erwiderte Adrienne. »Aber es gibt zumindest eine Sache, die wir gemeinsam haben, meine Liebe.

Oder besser gesagt, eine Person. Habt Ihr Neuigkeiten von Finlay?«

»Zur Hölle! Kommt besser herein. Aber Ihr könnt nicht lange bleiben.«

Evangeline trat einen Schritt zurück und öffnete die Tür weit.

Adrienne Feldglöck betrat das Appartement, als wäre es ihr eigenes. So war sie eben. Es war ihr Markenzeichen. Evangeline bemerkte, daß sie noch immer die schwere Schere in der Hand hielt, und warf die improvisierte Waffe auf einen nahegelegenen Stuhl. Sie wollte nicht in Versuchung geraten. Adrienne sah sich mit leicht erhobenen Augenbrauen in Evangelines Wohnung um. In ihrem Blick stand deutlich zu lesen, daß sie schon geschmackvollere Einrichtungen gesehen hatte, aber zu gut erzogen war, um darüber zu sprechen. Mit untrüglichem Instinkt suchte sie sich den bequemsten Sessel aus und sank mit einer graziösen Bewegung hinein. Sie lächelte großzügig und wartete geduldig, während Evangeline einen Stuhl heranzog und ihr gegenüber Platz nahm. Adriennes Gebaren hatte etwas von einer Imperatorin an sich, die einen ihrer Untertanen besucht, doch Evangeline nahm es nicht persönlich. So war Adrienne eben. Sie mochte in Ungnade gefallen sein, aber sie war nicht tief gefallen. Evangeline verspürte noch immer das Bedürfnis, ihr eine Ohrfeige zu geben, und wenn es nur aus Prinzip war. Ein Kichern drang über ihre Lippen, doch sie beherrschte sich rasch. Jetzt war nicht die Zeit für hysterische Anfälle. Evangeline rückte ihren Stuhl zurecht und blickte Adrienne kühl und gelassen in die Augen.

»Finlay hat Euch nie geliebt«, begann sie tonlos. »Das müßt Ihr doch wissen.«

»Oh, natürlich weiß ich das. Ich habe ihn ebenfalls nie geliebt. Unsere Heirat wurde aus familiären und geschäftlichen Gründen arrangiert. Damals erschien es allen Beteiligten als gute Idee. Wir hätten es vielleicht schaffen können, aber wir stritten bereits, als wir die Kirche verließen, und danach wurde es nur noch schlimmer. Finlay hatte seine Frauen, und ich hatte meine Männer, und wir nahmen es beide sehr gefaßt hin. Ihr seht schockiert aus, meine Liebe. Ihr habt doch nicht ernsthaft geglaubt, daß Ihr seine erste Liebe wart?«

»Nein. Finlay hat zwar nie über die anderen Frauen gesprochen, aber ich wußte Bescheid. Es spielte keine Rolle. Er hat sie nie geliebt, jedenfalls nicht auf die Art und Weise, wie er mich liebt. Ich bin lediglich überrascht, weil Ihr zugebt, daß auch Ihr Eure Liebhaber hattet. Ich hätte nicht gedacht, daß Ihr überhaupt lieben könnt

»Oh, auch ich hatte meine schwachen Augenblicke, liebe Evangeline. Ihr wärt überrascht, wenn Ihr wüßtet, wie viele Männer eine geheime Schwäche für starke Frauen besitzen. In mehr als einer Hinsicht, meine ich.«

»Warum seid Ihr hergekommen, Adrienne?«

»Ich… ich muß mit Euch reden. Wegen Finlay. Ich hätte geschworen, daß Finlay sich nicht mehr um mich sorgt als ich mich um ihn. Bis zu dem Tag, an dem die Wolfs uns die Vendetta erklärten und unseren Clan bei einem Familientreffen überfielen. Als ich schwer verletzt war und in Lebensgefahr schwebte, hat er sein eigenes Leben riskiert, um mich zu retten.

Er hat mich sogar hierher zu Euch gebracht, wo ich Schutz fand. Ich frage mich nur, ob… ob Ihr den Grund dafür kennt?«

Evangeline nickte zögernd. »Er hat gesagt, daß Ihr sehr tapfer wart. Daß man Euch verwundete, als ihr gekämpft habt, um den Clan zu schützen. Er achtet Euer Verhalten.«

»Der Finlay, den ich kannte, war ein Stutzer und Tunichtgut«, sagte Adrienne. »Er trug zwar ein Schwert, aber ich habe nie gesehen, daß er es gezogen hätte. Er ist nie mit mir in die Arena gegangen. Er hat erzählt, daß er beim Anblick von Blut in Ohnmacht fallen würde. Aber als die Wolfs den Feldglöck-Turm überfielen, ist er mit Schwert und Pistole zwischen sie gefahren, als hätte er in seinem ganzen Leben nichts anderes getan. Um mich zu retten, hat er gegen ein ganzes Dutzend Verfolger gekämpft, alles ausgebildete Kämpfer, und sie besiegt. Und jetzt habe ich gehört, daß er trotz aller Sicherheitsmaßnahmen und Wachen den berüchtigten Saint John getötet hat und entkommen ist. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das Gefühl, daß es noch einen anderen Finlay gibt – einen, den ich niemals kennengelernt habe.«

»Ihr habt recht. Es gibt einen anderen.«

»Könnt Ihr mir mehr darüber verraten?«

»Ich denke nicht, daß ich sein Geheimnis preisgeben darf. Ihr werdet Finlay selbst fragen müssen. Nur sovieclass="underline" Finlay ist der tapferste und mutigste Mann, den ich jemals getroffen habe.

Der Stutzer war nur eine Maske, die er trug, um Leute wie Euch auf Distanz zu halten. Um zu verhindern, daß jemand den wirklichen Finlay erkannte.«

»All die Jahre mit ihm verheiratet, und ich habe ihn niemals wirklich gekannt.« Adrienne lächelte schwach. »Andererseits habe ich mich auch niemals wirklich mit ihm beschäftigt.«

»Er war Euch egal.«

»Auch das. Doch das hat sich geändert.«

Evangeline blickte Adrienne fest in die Augen. »Warum? Was ist geschehen? Was ist passiert, daß Ihr zu mir kommt und mir Fragen über Finlay stellt?«

Zum ersten Mal senkte Adrienne den Blick, doch ihre Stimme blieb fest. »Ich brauche Hilfe, und ich kann sonst nirgends hin. Meint Ihr allen Ernstes, ich würde zu Euch kommen, wenn ich einen anderen Weg wüßte? Robert hat mich und die Kinder beschützt, aber er wurde auf ein Schiff versetzt. Euer Vater hat es arrangiert. Er beginnt, Druck auszuüben. Er bedroht mich und meine Kinder. Ich kann mich selbst wehren, doch die Kinder müssen geschützt werden. Ich brauche Hilfe. Eine Waffe, die ich einsetzen kann, um mich und die Meinen zu verteidigen. Die Tatsache, daß ich mich an Euch wende, sollte Euch zeigen, wie verzweifelt meine Lage ist. Ihr liebt Finlay, und ich bin mit ihm verheiratet. Er ist ein Teil unserer beider Leben, und wir haben eine Menge wegen ihm durchgemacht, auf die eine oder andere Weise. Vielleicht finden wir eine Gemeinsamkeit. Es tut mir leid, wenn ich Euch sagen mußte, welche Rolle Euer Vater in dieser Sache spielt. Ich weiß, daß Ihr ihm sehr nahesteht, aber…«