Schließt die Tür bitte leise, wenn Ihr geht.«
»Und du stimmst ihr zu?« fragte Gregor seine Tochter. »Du wendest dich gegen deinen eigenen Vater, der dich über alles liebt?«
»Was du mit mir machst, hat mit Liebe nicht das geringste zu tun, Papa. Du hast mich angelogen. Ich möchte, daß du jetzt gehst, bitte. Und komm nie wieder ohne anzuklopfen herein.«
»Ihr beide meint wohl, ihr wärt unglaublich schlau, was?« sagte der Shreck, und sein feistes, heimtückisches Gesicht lief rot an vor Wut. »Ihr meint, ihr wärt schlauer als ich. Aber Ihr, liebe Adrienne, Ihr sollt wissen, daß auch Ihr nicht die ganze Wahrheit kennt. Meine kleine Evie hat ihr größtes Geheimnis nämlich für sich behalten. Sie würde es nicht wagen, darüber zu sprechen. Also wirst du dieser Feldglöck-Hexe jetzt artig sagen, daß sie verschwinden soll, Evie, oder ich werde ihr sagen, was du in Wirklichkeit bist.«
»Das ist nicht notwendig, Papa. Ich werde es selbst tun.«
Evangeline atmete tief durch und blickte Adrienne mit einer Mischung aus Herausforderung und Flehen an. »Ich bin ein Klon. Vater hat mich geschaffen, damit ich die Tochter ersetze, die er ermordet hat. Das ist das Geheimnis, weswegen er mich die ganze Zeit kontrolliert hat. Dachte er jedenfalls. Aber du hast nicht gewußt, daß ich zur Untergrundbewegung gehöre, lieber Papa, nicht wahr? Nein, ich erkenne es an deinem Gesicht, daß du keine Ahnung hattest. Drohe mir, und der Untergrund wird dich töten. Erzähle jemandem von mir, und ich verschwinde im Untergrund. Ich bin nur deswegen geblieben, weil ich Finlay versprach, seine Familie zu schützen. Du hast keine Gewalt mehr über mich, alter Mann. Du hattest nie wirklich Gewalt über mich, wenn ich meine eigene Furcht einmal außer acht lasse. Du hast immer gesagt, ich wäre dein Eigentum, und ich habe dir geglaubt. Aber das ist jetzt ein für allemal vorbei.«
»Schön, das zu hören, Kleine«, sagte Adrienne. Sie warf dem Shreck einen triumphierenden Blick zu. »Verschwindet aus unseren Augen, Ihr kleines ekelhaftes Ungeheuer.«
Gregor Shreck blickte die beiden Frauen nacheinander an und suchte verzweifelt nach Worten. Dann wandte er sich abrupt um und ging. Die Tür fiel mit lautem Knall hinter ihm ins Schloß. Adrienne stieß hörbar die Luft aus und ließ sich in ihren Sessel zurückfallen. Evangeline blieb stehen, wo sie war.
»Nun?« erkundigte sie sich leise. »Was haltet Ihr jetzt von mir, wo Ihr wißt, daß ich nur ein Klon bin?«
»Meine Liebe, nach allem, was wir beide durchgemacht haben, ist das noch das Geringste. Ehrlich gesagt, ich bin sogar fasziniert. Ich habe noch nie jemand aus dem Untergrund kennengelernt. Außer Finlay natürlich, und ich denke, wir stimmen darin überein, daß ich ihn nie wirklich kannte.«
»Und wie steht es damit, daß ich zu den Rebellen gehöre?«
»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte. Das alles kam ein wenig zu plötzlich, selbst für jemanden wie mich. Ich vermute, ich sollte schockiert oder aufgebracht sein, doch ich habe zum letzten Mal die Fassung verloren, als ich vierzehn war, und ich bin emotional viel zu erschöpft, um mich aufzuregen.
Ihr seid ein Klon, und ich bin eine Hexe, und das Imperium hat für keine von uns beiden Verwendung. Also zur Hölle mit ihnen allen, und lang lebe der Untergrund. Habt Ihr eine Schlachthymne? Mir ist danach, ein lautes und trotziges Lied anzustimmen.«
Der Schirm auf Evangelines Kommode summte. Die Frauen schraken zusammen. Dann grinsten sie sich an, und Evangeline ging, um den Anruf entgegenzunehmen. Adrienne erhob sich und trat rasch aus dem Aufnahmebereich der Kamera. »Besser, wenn niemand erfährt, daß ich bei Euch bin, Evie.«
Evangeline nickte, nahm vor der Kommode Platz und schaltete den Apparat auf Empfang. Der Spiegel verschwand, und sie nickte, als ein vertrautes Gesicht erschien. Es war Klaus Griffin, ihr Kontaktmann aus dem Untergrund. Soweit es die Außenwelt betraf, war er ihr Schneider. Zum ersten Mal lächelte er nicht, als er sich meldete. Evangeline spannte sich ein wenig.
»Seid Ihr allein, Evangeline?«
»Natürlich. Gibt es ein Problem?«
»Die Leitung ist abgeschirmt. Wir können frei sprechen. Ihr müßt herkommen, Evangeline, und mit Finlay sprechen. Es ist dringend. Könnt Ihr Euch freimachen?«
»Wenn es sein muß. Was ist mit Finlay? Ist er verletzt?«
»Nein. Aber es ist von größter Bedeutung, daß er eine bestimmte Aufgabe erfüllt, und wir brauchen Euch, um ihn davon zu überzeugen.«
»Warum sollte er sich weigern?«
»Weil er diesmal beinahe sicher dabei stirbt.«
»Und Ihr erwartet, daß ich ihn dazu überrede? Seid Ihr verrückt?«
»Wir brauchen Euch, Evangeline. Wir brauchen ihn. Die Sicherheit der gesamten Untergrundbewegung steht auf dem Spiel.
Finlay ist unsere einzige Hoffnung. Werdet Ihr kommen?«
»Ich werde kommen. Aber ich kann nichts versprechen. Finlay hat bereits genug für uns alle getan. Niemand hat das Recht, noch mehr von ihm zu verlangen. Und wagt ja nicht, ihn zu überreden, bevor ich da bin. Er wird nirgendwo hingehen, bis ich mit ihm gesprochen habe, und vielleicht auch dann nicht. Verdammt, Klaus, wir haben schon so viel für den Untergrund getan. Findet endlich jemand anderen.«
»Es muß Finlay sein. Wie lange dauert es, bis Ihr hiersein könnt?«
»Gebt mir eine Stunde.« Evangeline unterbrach die Verbindung und starrte in den Spiegel. »Bastarde. Ob sie wirklich glauben, ich würde Finlay verraten, selbst für den Untergrund?«
»Das wird ja von Minute zu Minute aufregender«, sagte Adrienne und trat neben ihre neue Freundin. »Der liebe Finlay, die letzte Hoffnung des Untergrunds? Allmählich denke ich, Ihr habt wirklich recht mit Eurer Bemerkung, daß ich ihn niemals richtig gekannt habe. Und da Ihr ihn offensichtlich besser kennt als jeder andere, was meint Ihr? Würde er ein Selbstmordkommando annehmen, wenn der Grund wichtig genug ist?«
»O ja. Deswegen mache ich mir ja so große Sorgen. Die meisten seiner Missionen hätten für jeden anderen Selbstmord bedeutet. Finlay besitzt keinen gesunden Menschenverstand, wenn es um die Einschätzung von Gefahren geht, und seit er seine Familie verloren hat, wird er zunehmend unbesonnen. Er fühlt sich schuldig, weil er überlebt hat und so viele starben.
Wenn diese Mission so gefährlich ist, daß selbst Finlay zögern würde, dann muß es wirklich schlimm stehen. Ich muß zu ihm, Adrienne. Ich danke Euch sehr für Eure Hilfe, und ich wünschte, ich könnte etwas für Euch tun.«
»Das könnt Ihr«, erwiderte Adrienne rasch. »Nehmt mich mit.
Ich bin hier nirgendwo mehr sicher, nachdem ich mir Euren Vater zum Feind gemacht habe. Wenn ich Schutz für meine Kinder finden will, dann bleiben wohl nur noch die Leute vom Untergrund übrig, an die ich mich wenden kann. Obwohl Gott allein weiß, womit ich sie bezahlen soll. Vielleicht mit Klatsch. Ich kenne mehr Geheimnisse über mehr Leute als der halbe Hof zusammen. Ein Teil davon gäbe sicher ganz hervorragendes Erpressungsmaterial ab. Außerdem werdet Ihr meine Hilfe benötigen, wie auch immer Ihr Euch am Ende entschließen mögt. Ich war schon immer hervorragend darin, Finlay von etwas zu überzeugen. Ich kann ihm alles einreden. Und ich denke, es wird mir Freude bereiten, zum Untergrund zu gehören.«
»Was macht Euch so sicher, daß sie Euch akzeptieren werden?«
»Was läßt Euch denken, sie hätten eine Wahl? Ich kann sehr entschlossen sein, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe. Außerdem bin ich wirklich gespannt, diesen vollkommen neuen Finlay kennenzulernen. Ich habe so ein Gefühl, daß ich ihn viel besser leiden kann als den alten. Wollen wir gehen?«