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Bevor er mit seinem Bericht begann, blickte Finlay nach hinten zu der Zuschauermenge, die dem Treffen beiwohnte. Seine Berichte zogen stets Zuschauer an. Er lächelte ihnen freundlich zu, und sie lächelten zurück und verneigten sich respektvoll vor ihm. Einige applaudierten sogar. Die übliche Mischung aus Elfen in Leder und Ketten, aus Klonen mit identischen Gesichtern und verschiedenen Sympathisanten wie Finlay selbst, toleriert von den Anführern, weil sie auf die eine oder andere Weise nützlich waren, hatte sich versammelt. Neben der erwartungsvollen Menge kamen und gingen andere Leute geschäftig ein und aus, lieferten Berichte ab oder lauschten einfach in der Hoffnung, etwas Nützliches zu erfahren. Der Untergrund lebte vom Klatsch.

Und dann klappte Finlays Kinnlade herunter, und sein Blick blieb an zwei Gestalten in den vordersten Reihen der Versammlung hängen, die er niemals nebeneinander zu sehen erwartet hätte. Erst recht nicht hier, im Untergrund. Adrienne Feldglöck und Evangeline Shreck. Seine Frau und seine Geliebte. Die beiden Frauen schwatzten fröhlich miteinander und schienen sich ganz offensichtlich sympathisch zu finden. Finlays erster Gedanke war, daß es sich um eine Art Illusion durch einen der Esper handelte, einen üblen Scherz oder Trick, um Finlay aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber außer ihm wußte kein Mensch Bescheid über die beiden Frauen in seinem Leben. Also mußten sie es wohl selbst sein. Hier. Zusammen.

Finlay blickte sich suchend nach dem nächstgelegenen Ausgang um. Bericht oder nicht Bericht, er mußte von hier verschwinden, und zwar so schnell wie möglich. Es gab Dinge, die konnte kein Mann ertragen. Vielleicht, wenn er sich umdrehte und einfach losrannte…

»Finlay Feldglöck, so hört uns denn«, sagte das Mandala mit lauter, durchdringender Stimme, die schmerzhaft in Finlays Kopf dröhnte. Soviel also zum Weglaufen. Anscheinend war die Stimme nicht allein in Finlays Kopf erklungen, denn plötzlich blickte jedermann auf ihn. Finlay seufzte resigniert und trat vor. Er nickte den Anführern des Untergrunds zu und blieb in ausreichender Entfernung stehen. Die Illusionen hatten etwas an sich, das Finlay Respekt einjagte. Er salutierte militärisch, mehr für die Zuschauer, doch er machte sich nicht die Mühe, in Habachtstellung zu gehen. Wenn sie einen Soldaten benötigten, dann sollten sie sich jemand anderen aussuchen. Finlay war nur ein Saboteur und Attentäter auf hohem Niveau, und er hatte einen Ruf zu verteidigen.

»Könnt Ihr Euer Farbenspiel ein wenig verlangsamen?« fragte er das Mandala steif. »Ich werde allmählich seekrank. Außerdem weiß ich überhaupt nicht, warum Ihr Euch immer noch die Mühe der Illusion macht. Ich bin bereits seit einer ganzen Weile nicht mehr beeindruckt. Vertraut Ihr mir nicht, nach allem, was ich für Euch getan habe?«

»Das ist keine Frage des Vertrauens«, erwiderte Mister Perfekt mit seiner angenehmen, charismatischen Stimme. »Was Ihr nicht wißt, kann niemand Euch entreißen. Sicherheit ist lebenswichtig, heute mehr denn je.«

Finlay schniefte laut und vermied sorgfältig, in Adriennes und Evangelines Richtung zu blicken. Er konnte spüren, wie kalter Schweiß auf seine Stirn trat. »Ich nehme an, Ihr wollt meinen Bericht. Also schön. Ich habe Lord William Saint John getötet, wie Ihr mir aufgetragen habt, zusammen mit einer ganzen Reihe seiner Leute. Dann habe ich seinen persönlichen Flieger gestohlen und bin damit entkommen. Ende der Durchsage. Kann ich jetzt bitte gehen? Ich will in meine Unterkunft, wo eine Flasche laut und mit wachsender Ungeduld meinen Namen ruft.«

Finlay ignorierte das enttäuschte Gemurmel der Menge und blickte unverwandt zu Mister Perfekt, der ihn am wenigsten von allen drei Anführern verunsicherte. Die Farben des Mandalas zerflossen plötzlich. Finlay wollte hinsehen, aber er konnte seinen Blick nicht fixieren. Dann donnerte die Stimme der Illusion laut durch den weiten Raum. »Normalerweise würden wir jetzt auf einem detaillierteren Bericht bestehen, Finlay Feldglöck, doch dazu ist keine Zeit. Wir brauchen dich für einen weiteren Auftrag. Ohne Verzögerung.«

Finlay starrte die Anführer an. Für einen Augenblick verschlug es ihm die Sprache. »Was sagt Ihr da? Ich bin eben erst zurückgekommen, verdammt! Man hat mich beschossen und ist mit dem Schwert auf mich losgegangen, und ich wurde auf meinem verzierten Schlitten zwischen den Pastelltürmen hindurch bis zur Hölle und wieder zurück gejagt, und ich bin nur durch Glück in einem Stück entkommen, und Ihr wollt, daß ich direkt wieder losziehe? Kennt Ihr das Zitat: Steckt es Euch dahin, wo die Sonne nie scheint! Seid Ihr vollkommen verrückt geworden, oder habt Ihr plötzlich Todessehnsucht? Weil ich nämlich, wenn Ihr Eure Meinung wegen dieser neuen Mission nicht schleunigst ändert, herausfinden werde, was sich hinter Euren drei hübschen Illusionen verbirgt, um Euch in dünne Scheiben zu schneiden! Ich bin müde, verletzt und verstehe im Augenblick überhaupt keinen Spaß. Und nein, ich habe auch keinen Sinn für Loyalität oder Ehre. Ich bin ein verdammter Aristokrat, habt Ihr das bereits vergessen? Ich werde nirgendwo hingehen, bevor ich nicht ein ausgiebiges heißes Bad, eine üppige Mahlzeit mit mindestens drei oder vier Nachschlägen und ein verdammt langes, ungestörtes Nickerchen hinter mir habe. Ich bin wie ein Disruptor. Ich brauche Zeit, um meine Kristalle nach einem Einsatz wieder aufzuladen. Zur Zeit sitzen meine Kristalle in einer Ecke und weinen sich die Augen aus, und mein Mut ist aufgestanden und gegangen, ohne eine Nachsendeadresse zu hinterlassen. Mit anderen Worten: Ich werde verdammt noch mal nicht gehen!«

Die Menge applaudierte. Das war es, was die Leute hören wollten. Finlay blickte erwartungsvoll zu den Anführern. Das alles hatten sie bereits bei früheren Gelegenheiten von ihm gehört, und sie schienen nicht im mindesten beeindruckt. Mister Perfekt ließ seine Muskeln spielen und blickte Finlay streng in die Augen.

»Dieser Auftrag ist lebenswichtig. Die Sicherheit der gesamten Bewegung steht auf dem Spiel. Während Eurer Abwesenheit hat eine bis zu diesem Zeitpunkt unbekannte Gruppe von Rebellen die Hauptstadt angegriffen. Die Rebellen sind in das Gebäude der Steuerbehörde eingedrungen und haben die Lektronensysteme mit großer Sorgfalt und Effektivität zerstört.

Anschließend flohen sie in einem Schiff der Hadenmänner.

Unsere früheren Beziehungen zu den Hadenmännern waren gespannt, aber zusammen mit den anderen Rebellen haben sich unsere neuen Verbündeten als sehr machtvoll und subtil erwiesen. Außerdem brachten sie uns Nachrichten von großer Bedeutung. Jakob Ohnesorg ist aus seinem Versteck aufgetaucht und führt sie an.«

Die Menge applaudierte ausgelassen und begann aufregend zu schnattern. Finlay schloß sich nicht an. Er hatte von dem Berufsrebellen gehört, wie jeder andere auch, aber der Mann mußte inzwischen in die Jahre gekommen sein. Und Finlay vertraute Legenden nicht länger. Nicht, seit er selbst zu einer geworden war.

»Was hat das alles mit meiner neuen Mission zu tun, die ich nicht annehmen werde?« erkundigte er sich laut, und der Applaus der Menge verstummte. Jeder blickte interessiert zu den Anführern und wartete auf ihre Antwort. Das war es, weswegen sie Finlays Meldungen so sehr liebten. Er zog immer eine phantastische Schau ab.

Mister Perfekt sah Finlay in die Augen. »Dank unserer neuen Freunde befinden sich die Verteidigungseinrichtungen und die Sicherheitskräfte von Golgatha zur Zeit in einem desolaten Zustand. Im Augenblick sind Dinge möglich, die vorher nicht möglich waren. Ihr werdet Euch an Julian Skye erinnern. Ihm allein haben wir es zu verdanken, daß die Untergrundbewegung nach dem Debakel mit Silo Neun so rasch neu organisiert werden konnte. Skye wurde gefangengenommen. Sie haben ihn noch nicht lange in ihrer Gewalt, aber es ist von allergrößter Bedeutung, daß er nicht redet. Er kennt sämtliche Namen, Paßwörter und Orte, die unsere Reorganisation ermöglicht haben. Wir haben Blocks und Verteidigungsmechanismen in seinen Verstand eingepflanzt, doch sie werden nicht sehr lange halten, wenn die Imperialen Hirntechs sich ernsthaft mit ihm beschäftigen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätten wir hilflos zusehen müssen, aber im augenblicklichen Chaos? Niemand weiß, was ein einzelner entschlossener Mann erreichen kann.«