»Darum geht es nicht. Sollen sie jemand anderen finden. Es gibt immer jemand anderen.«
»Dazu ist nicht genügend Zeit«, entgegnete Finlay. »Hast du nicht zugehört?«
»Verdammt, hör endlich auf, gegen mich zu kämpfen! Ich mache mir Sorgen um dich!«
»Ehrlich? Woher plötzlich dieser Sinneswandel?«
»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte! Ich weiß nicht einmal, was ich hier zu suchen habe. Aber Evangeline und ich, wir sind uns in letzter Zeit zu unser beider Überraschung ein ganzes Stück nähergekommen, und da sie ganz eindeutig weder dumm noch leicht zu beeindrucken ist, muß ich ihr wohl glauben, wenn sie sagt, daß du ein Held und Kämpfer bist. Du bist ein so guter Schauspieler, daß du auf einer Bühne stehen solltest, mein Lieber. Trotzdem. Über diesem Auftrag steht in großen Buchstaben ›Selbstmord‹ geschrieben. Du könntest genausogut ohne Waffen und mit einer Hand auf den Rücken gefesselt in die Arena marschieren! Geh nicht, Finlay! Ich will nicht, daß du stirbst, bevor ich eine Gelegenheit habe, dich wirklich kennenzulernen. Sag ihnen, sie sollen sich ihren Auftrag sonstwohin stecken. Es findet sich immer ein anderer Weg, wenn man sorgfältig genug danach sucht.«
»Du denkst, ich kann es nicht schaffen, was?« entgegnete Finlay. »Nun, du irrst dich, Addie. Ich kann hineinspringen, mir den Bastard schnappen und wieder verschwinden, bevor die Wachen auch nur wissen, wie ihnen geschieht. Ich bin ein Kämpfer, Adrienne, und zwar der verdammt beste Kämpfer, den du jemals gesehen hast.«
»Du willst nicht auf mich hören«, sagte Adrienne. »Aber das hast du ja nie getan. Rede du mit ihm, Evangeline!«
»Aber ich will, daß er geht«, erklärte Evangeline. »Bitte, Finlay! Tu es für mich. Ich will nicht in einem Gefängnis wie Silo Neun enden.«
»So weit wird es nicht kommen«, erwiderte Finlay. »Ich würde niemals zulassen, daß sie dich mitnehmen.«
»Selbst du wärst nicht imstande, mich vor den Kräften zu schützen, die Julian Skye in Bewegung setzen kann. Ich würde lieber sterben, als in Gefangenschaft zu geraten.«
»Ich würde eher jeden verdammten Soldaten und jede verdammte Wache im gesamten Imperium töten, bevor ich zulasse, daß dir etwas geschieht«, sagte Finlay. »Also schön, ich werde gehen. Aber wenn ich durch irgendein Wunder lebendig und halbwegs gesund aus diesem Schlamassel zurückkehre, habe ich einen Wunsch frei.« Er funkelte die Anführer der Esper an. »Habt Ihr das gehört, Ihr Bastarde?«
»Wir sind nicht überrascht«, sagte das Mandala und pulsierte gelassen. »Wie lautet dein Wunsch?«
»Ich will Valentin«, antwortete Finlay. Er grinste breit, doch in seinem Lächeln war keine Spur von Humor. »Ich will seinen Kopf auf einem Pfahl.«
Valentin Wolf war einst ein glühender Förderer des Untergrunds gewesen. Er hatte finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt und seinen Einfluß geltend gemacht, wo er nur konnte, ohne sich selbst zu kompromittieren. Aber dann hatte er eine überraschende und in höchstem Maße erfolgreiche Vendetta gegen den Clan der Feldglöcks inszeniert und war zum Oberhaupt seines eigenen Clans avanciert, als sein Vater beim Überfall auf den Feldglöck-Turm fiel. Als der neue Wolf hatte Valentin Zugang zu unbeschreiblichem Reichtum und Macht.
Seither hatte er scheinbar jegliches Interesse am Untergrund und der Rebellion verloren. Der Wolf erschien nicht länger zu den Treffen und ignorierte alle Versuche, mit ihm in Kontakt zu treten. Also hatte der Untergrund sich von ihm zurückgezogen. Valentin konnte ihnen allen eine Menge Schaden zufügen, wenn er wollte. Er kannte Namen und Gesichter, Pläne und Treffpunkte. Ein paar Vertreter der harten Linie, vor allem unter den Elfen, wollten seinen Tod, allein als Vorsichtsmaßnahme. Bisher hatten die Anführer nein gesagt. Valentin hatte geschwiegen, und niemand wollte andere Aristokraten alarmieren oder verärgern, die mit dem Untergrund zusammenarbeiteten.
Es wäre zumindest ein schlechter Präzedenzfall gewesen.
Obendrein war Valentin als der Wolf hervorragend abgeschirmt. Ein erfolgloser Mordversuch durch den Untergrund mochte sehr wohl genau die Enthüllungen nach sich ziehen, die alle so verzweifelt zu verhindern suchten.
Andererseits: Wenn sie Finlay auf Valentin losließen und er ihn zu töten versuchte, konnte man es als persönlichen Racheakt hinstellen. Nichts weiter als ein Feldglöck und ein Wolf, die es unter sich auskämpften. Es war ein verlockender Gedanke. Solange Valentin am Leben war, hingen die Informationen in seinem Kopf als Drohung über dem gesamten Untergrund.
Sein Wissen war zwar nicht so gefährlich wie das von Julian Skye, aber er konnte eine Menge Schaden anrichten, wenn er wollte. Außerdem stand die Frage im Raum, wieviel Einfluß der Hohe Lord Dram über Valentin besaß. Auch Dram war eine wichtige Figur im Untergrund gewesen, unter dem Decknamen Huth, doch er hatte die Esper und Klone während des Angriffs auf Silo Neun verraten und in eine Falle gelockt. Er war unmittelbar verantwortlich für die darauffolgenden Säuberungsaktionen und das Zersprengen der Organisation, wodurch Julian Skye überhaupt erst auf den Plan gerufen worden war.
Bisher hatte Dram noch keinen Versuch unternommen, mit Valentin Wolf in Kontakt zu treten oder ihn zu kontrollieren, aber die mögliche Bedrohung durch eine Erpressung war nicht von der Hand zu weisen.
Finlay wußte, daß in den Köpfen der Anführer diese und ähnliche Gedanken herumspukten. Dazu mußte er kein Telepath sein. Außerdem hatte Finlay schon oft mit ihnen über dieses Thema gesprochen. Sie hatten stets nein gesagt. Aber diesmal lagen die Dinge anders.
»Also schön«, sagte der Drache und wickelte sich fester um seinen Baum. Er fixierte Finlay mit seinen goldenen Augen und fuhr fort: »In dem unwahrscheinlichen Fall, daß Ihr erfolgreich und lebend von dieser Mission zurückkehrt, mögt Ihr Eure Vendetta gegen Valentin Wolf durchführen. Der Untergrund wird Euch weder behindern noch unterstützen, und Ihr werdet alle Konsequenzen alleine tragen. Wir werden Euch verleugnen und ausstoßen, wenn es sein muß – aber das ist wohl selbstverständlich.«
»Einverstanden«, erwiderte Finlay. »Ich wußte immer, woran ich bei Euch war.«
»Laßt uns über die bevorstehende Mission sprechen«, meldete sich das Mandala zu Wort. »Eure Aufgabe besteht darin, Julian Skye entweder zu befreien oder ihn zum Schweigen zu bringen, je nachdem, was Ihr aufgrund der Situation für das Beste haltet. Er darf unter gar keinen Umständen reden. Sobald wir Euch in sein Gefängnis teleportiert haben, seid Ihr auf Euch allein gestellt. Wir können Euch nicht unterstützen. Wir können Euch lediglich ein wenig im voraus helfen.«
Einer der Elfen trat vor und reichte Finlay ein kleines, flaches Kästchen. Das Gehäuse bestand aus blankem Stahl, und auf der Oberseite befand sich ein einzelner Knopf in dramatischem Rot. Finlay wog den Gegenstand nachdenklich in der Hand. Er hatte so etwas noch nie zuvor gesehen, doch er wußte, was es war, was es sein mußte. Eine Gedankenbombe. Eine Terrorwaffe, die im gesamten Imperium geächtet und verboten war.
Nach ihrer Aktivierung griff sie das Bewußtsein jedes Nicht-Espers an, verstümmelte die Gedanken und sorgte für vollständige Verwirrung ihrer Opfer. Halluzinationen und Wahnsinn waren die Folge und schließlich Katatonie. Es war eine bösartige Waffe, ein letztes Mittel der wirklich Verzweifelten, und sie ließ keine Gefangenen zu. Gedankenbomben waren äußerst selten, genau wie ESP-Blocker, und basierten auf dem Hirngewebe eines lebenden Espers. Es war undenkbar für die Anführer des Untergrunds, den Besitz einer derartigen Waffe zuzugeben, ganz zu schweigen davon, sie Finlay auszuhändigen.
Sie mußten fest davon überzeugt sein, daß er nicht zurückkehren und darüber reden würde. Finlay ertappte sich bei der Überlegung, ob das Hirngewebe von einem Freiwilligen stammte und noch immer auf irgendeine Art bewußt war oder dachte. Er unterdrückte ein Schaudern und schob das Kästchen in eine Tasche. Finlay nickte den Elfen respektvoll zu und salutierte den Anführern, womit er das Ende der Anhörung andeutete, soweit es ihn betraf. Dann nahm er Evangeline beim Arm und führte sie zur Seite. Adrienne folgte ihnen. Die Illusionen der Esper-Anführer lösten sich auf wie platzende Seifenblasen, und die Menge begann sich aufzulösen, während die Leute erregt diskutierten. Finlay hatte ihnen genug Material geliefert,