Finlay blickte den Korridor hinauf und hinunter, und er verfluchte sich dafür, daß er vergessen hatte, eine Karte mitzunehmen. Die Wände bestanden aus nacktem, blankem Stahl, ohne jedes Hinweiszeichen. In regelmäßigen Abständen führten schmale Türen in Verhörzellen. Solide Stahltüren mit elektronisch gesicherten Schlössern. Zu den Seiten herrschte tiefe, undurchdringliche Finsternis, und in der Luft lag der unverkennbare Geruch von Desinfektionsmitteln, ohne den durchdringenden Gestank anderer, ekelhafterer Dinge ganz zu überdecken. Irgendwo hier befand sich Julian Skye, doch wo genau, das wußte niemand. Der Untergrund hatte sich richtige Mühe gegeben, Finlay nicht direkt neben das Signal Skyes zu teleportieren. Niemand hatte es für eine gute Idee gehalten, am wenigsten Finlay selbst, wenn er direkt in einer verschlossenen Zelle herausgekommen wäre, wo alles mögliche ihn erwarten konnte. Also hatten sie den am nächsten gelegenen freien Raum lokalisiert und ihn dort abgesetzt. Finlay blickte sich unsicher um, hob das Schwert, und weil ihm nichts Besseres einfiel, trat er zur nächstgelegenen Tür. Ein kleiner Bildschirm saß in dem massiven Stahl. Finlay aktivierte ihn, und auf dem Schirm erschien das Innere der Zelle.
Ein Mann lag mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf einem Metallgestell. Er war von einem Fachmann gehäutet worden. Kein einziger Quadratzentimeter seiner Haut war geblieben, und trotzdem lebte er noch. Er bewegte sich zuckend und kämpfte gegen unsichtbare Fesseln. Rohes Muskelfleisch glänzte feucht, und nackte Augen quollen aus lidlosen Höhlen.
Der Mann blutete stark. Die Flüssigkeit wurde in Rinnen aufgefangen, die in das Metall eingelassen waren, und von dort in einen Eimer geleitet. Neues Blut kam aus einem intravenösen Tropf und verschwand in einer pulsierenden Ader. Finlay deaktivierte den Schirm und lehnte die Stirn gegen das kalte Metall der Zellentür.
Er konnte nichts unternehmen. Er konnte unmöglich alle zur gleichen Zeit retten. Dazu war keine Zeit. Finlay mußte Skye finden, bevor er irgend etwas Wichtiges verraten konnte. Finlay atmete tief ein und aus. Zur Hölle mit diesen Bastarden und zur Hölle mit dem gesamten Imperium! Er wollte verdammt sein, wenn er zuließ, daß derartige Obszönitäten ungestraft weitergingen. Finlay benutzte den Störmechanismus, den man ihm mitgegeben hatte, und öffnete die Verriegelung der Zellentür. Leise schwang sie auf, und Finlay schlüpfte hinein. Der Mann auf dem Tisch zuckte in Erwartung neuer Qualen winselnd zusammen. Finlay beugte sich über ihn und gab leise, beruhigende Worte von sich. Der Gefangene verstummte. Erst da bemerkte Finlay, daß der Gefolterte mit Hilfe von Stahlnägeln, die man ihm durch Arme und Beine getrieben hatte, förmlich an den Tisch genagelt worden war. Es gab Dutzende davon. Finlay hatte keine Möglichkeit, sie zu entfernen, außer einen nach dem anderen herauszuhebeln, und allein der Schock hätte das Leben des armen Schweins mit Sicherheit beendet.
Dennoch konnte Finlay den Mann nicht einfach so weiterleiden lassen. Finlay stand einen Augenblick still. Sein Verstand raste, als er nach Alternativen suchte, doch am Ende lief es immer wieder auf das gleiche hinaus. Er konnte nichts mehr für den Mann tun. Finlay lächelte den nackten, hoffnungsvollen Augen beruhigend zu und schob die Spitze seines Schwertes durch das freiliegende, schlagende Herz. Ein kurzes Aufspritzen von Blut, und der gehäutete Mann zuckte ein letztes Mal, bevor er die Augen verdrehte und zu atmen aufhörte. Finlay trat voller Frustration gegen den Tisch und verließ die Zelle.
Er stapfte durch den Korridor, öffnete eine Tür nach der anderen, befreite die Gefangenen, die er befreien konnte, und tötete den Rest. Einige von ihnen bettelten sogar darum, daß er sie endlich erlöste. Die Überlebenden strömten in den Korridor hinaus, drängten sich um ihn und versuchten mit Stimmen, die heiser vom Schreien waren, ihren Dank auszudrücken. Finlay bewaffnete einige der weniger stark Verletzten mit Waffen, die er den getöteten Wachen abgenommen hatte, und bedeutete ihnen, sich auf eigene Faust durchzuschlagen. Jedenfalls wollte er das.
Doch das Geräusch trampelnder Stiefel unterbrach ihn. Eine ganze Kompanie von Wachen bog um die Ecke am anderen Ende des Korridors. Als sie ihn sahen, stürmten sie vor. Finlay lächelte. Das war schon eher eine Aufgabe. Dann ertönte weiteres Stiefeltrampeln, und hinter ihm bog eine weitere Kompanie um die Ecke. Die befreiten Gefangenen drängten sich um Finlay zusammen. Er seufzte bedauernd. Es wäre ein interessanter Kampf geworden, aber er kannte seine Grenzen. Außerdem mußte er auf die Gefangenen Rücksicht nehmen. Finlay zog die Gedankenbombe aus der Tasche und drückte auf den großen roten Knopf.
Die Wachen vor und hinter ihm kamen stolpernd zum Stehen, rissen die Hände an die Köpfe und begannen zu schreien.
Von einem Augenblick zum anderen verwandelten sie sich von einer organisierten Truppe in einen von Panik erfüllten Mob, als die Bombe ihre Gedanken fragmentierte und ihr Bewußtsein erlosch. Finlay und die befreiten Gefangenen sahen beeindruckt zu. Die unmittelbare Nähe der Bombe schützte sie. Finlay drückte erneut den Knopf, schaltete das Ding ab, und die ehemaligen Gefangenen stürzten sich auf das, was von den Wachen übriggeblieben war. Lang ersehnte Rache wurde vollzogen, und Blut bespritzte die schimmernden Stahlwände, während Finlay sich erneut seiner Aufgabe zuwandte, Türen
öffnete und Gefangene befreite, bis er schließlich die Zelle erreichte, in der Julian Skye festgehalten wurde. Der Schock dessen, was er sah, war so groß, daß Finlay wie angewurzelt im Eingang stehenblieb.
Der junge Esper lag auf einem weiteren der verdammten Stahltische, festgehalten von starken Bändern. Die Rückseite seines Schädels war rasiert und ein Teil der Schädeldecke entfernt worden. Dutzende bunter Drähte verschwanden in seinem offenliegenden Gehirn und führten von dort zu einer häßlichen Maschine neben dem Tisch. Zwei Hirntechs in ihren vertrauten weißen Kitteln blickten von ihrer Arbeit auf und lächelten Finlay freundlich zu, der noch immer zögernd in der Tür stand.
Beide trugen Disruptoren in Halftern an der Hüfte, aber keiner machte Anstalten, seine Waffe zu ziehen. Langsam trat Finlay in die Zelle. Er ignorierte das wachsende Geschrei und Chaos draußen auf dem Gang. In dem Raum befanden sich keine Wachen, keine offensichtlichen Sicherheitseinrichtungen, keine Fallen, nichts bis auf den Gefangenen und seine beiden Folterer. Die Hirntechs blickten auf das Blut, das von Finlays Schwert tropfte, und grinsten sich an. Sie waren beide schlanke, großgewachsene Männer mit bleichen, asketischen Gesichtszügen wie Mönche, und der eine war deutlich älter als der andere. Der Ältere blickte zu Finlay und grinste erneut.
»Willkommen, mein lieber Freund. Wir haben Euch bereits erwartet. Oder jemanden wie Euch. Ich fürchte nur, Ihr seid ein wenig zu spät, falls Ihr gekommen seid, um den armen Julian zu retten. Jeder Versuch, ihn zu bewegen, würde ihn ganz ohne Zweifel umbringen. Wir benutzen einen ESP-Blocker, um sein Talent unter Kontrolle zu halten. Er schützt uns auch vor den Auswirkungen Eurer Gedankenbombe. Ein häßliches kleines Gerät, sehr wirkungsvoll, wie ich gestehen muß. Ihr könnt Euer Schwert ruhig einstecken. Ich muß nur die Kontrollen betätigen, die Ihr hier vor mir seht, und der arme Julian wird Schmerzen erleiden, die weit über alles hinausgehen, was Ihr Euch vorstellen könnt. Steckt das Schwert ein, bitte. Jetzt.«