Anschließend müssen wir nur noch einige Dutzend Wachen außer Gefecht setzen, zahlreiche Fallen umgehen oder entschärfen, einen Flieger kurzschließen, ohne den Selbstzerstörungsmechanismus auszulösen, und zusehen, daß wir von hier verschwinden, als wäre der Teufel persönlich hinter uns her, bevor sie die ESP-Blocker wieder in Betrieb nehmen und meine Kräfte neutralisieren.«
»Kein Problem«, erwiderte Finlay.
»Wir werden es mit einer Menge Wachen zu tun bekommen.«
»Ich habe noch immer die Gedankenbombe.«
»Spart sie auf. Sie taugt nur zu einem halben Dutzend Ausbrüchen, bevor das Hirngewebe erschöpft ist.«
»Wir schaffen es auch ohne«, entgegnete Finlay. »Ihr habt mich.«
Skye blickte ihn an. »Strotzt Ihr immer so vor Selbstvertrauen?«
»Selbstverständlich. Warum glaubt Ihr, daß der Unter – grund mich für diese Mission ausgewählt hat? Hört endlich auf, Euch Gedanken zu machen. Ihr bekommt nur Magengeschwüre davon. Bleibt einfach bei mir, und ich schaffe Euch von hier fort.«
Zum ersten Mal lachte Skye richtig. »Vielleicht schafft Ihr das wirklich.«
Skye führte Finlay durch einen Korridor nach dem anderen, ohne ein einziges Mal an einer Biegung zu zögern oder in eine Sackgasse zu geraten. Für Finlay sah ein Korridor aus wie der andere, aber er vertraute Skye. Der junge Esper schien sich ein wenig erholt zu haben, und sein Gang war sicherer geworden, obwohl er bestimmt unter starken Kopfschmerzen litt. Julians Augen blickten klar, und auf seinen Wangen hatten sich zwei rote Flecken gebildet. Er sah zwar noch immer aus, als wäre er in einen starken Orkan geraten, aber sein Selbstvertrauen kehrt allmählich zurück. Schließlich kamen die beiden Rebellen um eine Biegung, und Skye blieb auf einmal wie angewurzelt stehen. Er neigte den Kopf leicht zur Seite, als würde er lauschen, und Finlay warf einen raschen Blick in die Runde. Doch der Korridor lag leer und verlassen vor ihnen.
»Redet schon, Mann. Was ist los?«
»Wir stecken in Schwierigkeiten.«
»Das habe ich mir gedacht. Könnt Ihr vielleicht ein wenig deutlicher werden?«
»Als man uns noch in Silo Neun einsperrte, gestattete der Wurmwächter Hirntechs und anderen Wissenschaftlern, Experimente an den Gefangenen durchzuführen. Die meisten Opfer starben. Sie waren die Glücklicheren. Die Überlebenden wurden zu Monstren. Man veränderte ihren Körper und ihr Bewußtsein, und sie waren nicht länger menschlich. Einige von ihnen entkamen während unseres Angriffs auf Silo Neun, doch die. meisten waren zu sicher eingesperrt. Nach dem Tod des Wurmwächters schaffte man die armen Kreaturen hierher, in der Hoffnung, einen neuen Weg zu finden, wie man sie kontrollieren konnte. Die Behörden scheinen wirklich unter allen Umständen unsere Flucht verhindern zu wollen. Sie haben ein ganzes Dutzend dieser Monster in die Korridore gelassen. Sie sind halb wahnsinnig vor Wut und Schmerz, und sie werden alles angreifen, was sich bewegt. Und sie sind auf dem Weg nach hier.«
Finlay blickte sich erneut um, doch noch immer schien alles ruhig. Im Augenblick jedenfalls. »Was ist mit Eurem ESP?
Könnt Ihr es wieder einsetzen?«
»Zum Teil. Aber selbst ein ausgewachsener psionischer Sturm würde Kreaturen wie diese nicht aufhalten.«
»Seht Ihr eine Möglichkeit, Euch mit dem Untergrund in Verbindung zu setzen, damit man uns hier herausholt?«
»Nein. Die gesamte Umgebung ist durch ESP-Blocker abgeriegelt. Ihr seid nur hereingekommen, weil sie es so wollten.
Wir finden entweder allein einen Weg nach draußen, oder die Bestien werden unsere Überreste aus ihren Backenzähnen pulen.«
Finlay dachte angestrengt nach. »Wie steht es mit Wartungsschächten, Lufteinlässen und dergleichen?«
»Alles sicher verriegelt und bewacht. Vergeßt nicht, wir befinden uns in einem Gefängnis. Macht Euch bereit. Sie kommen.«
Finlay nahm eine Position zwischen Skye und der Richtung ein, in die der junge Esper gedeutet hatte, das Schwert in der einen, den Disruptor in der anderen Hand. Das erste Geräusch sich nähernder Schritte drang an seine Ohren. Es war laut und unregelmäßig. Dann vernahm Finlay ein Brüllen und Heulen, das unmöglich einer menschlichen Kehle entstammen konnte.
Die Geräusche kamen näher, und Finlay hob seinen Disruptor. Dann umrundeten die Monstren die Biegung am Ende des Korridors, und Finlay starrte mit aufgerissenem Mund auf das, was er dort sah. Einige besaßen aufgequollene Gehirne, die ihre Schädeldecken von innen gesprengt hatten. Manche waren über und über mit knochigen Dornen bedeckt, die aus ihrem Fleisch wuchsen, und anderen schien das blasse weiße Fleisch am lebendigen Leib von den Knochen zu faulen. Technologie war in das Gewebe eingearbeitet oder umhüllte es und ersetzte oder verstärkte so zahlreiche Körperfunktionen, daß kaum noch eine Spur von den menschlichen Ursprüngen der Wesen zu erkennen war. Einfach nur Fleisch in metallenen Käfigen. Einige der Monstren machten einen halbwegs menschlichen Eindruck, doch als die Kreaturen an ihnen vorüberkamen, schienen die Wände des Korridors zu verschwimmen – als verböge sich die Realität selbst, um vor dem unkontrollierten ESP zurückzuweichen, das von ihnen ausging. Finlay atmete schwer. Es gab schlechte Chancen, und es gab schlechte Chancen. Das hier war beides. Finlay richtete seine Waffe von einem Ziel auf das nächste, doch auf welche Kreatur er auch schießen mochte – die anderen wären längst über ihm, bevor er einen weiteren Schuß abfeuern konnte. Und zum allerersten Mal spielte es überhaupt keine Rolle, wie gut er als Schwertkämpfer war.
Kalter Stahl konnte gegen ESP rein gar nichts ausrichten. Fragend warf er einen Blick zu Skye.
»Ihr kennt Euch besser in diesen Dingen aus als ich. Gibt es eine Möglichkeit, mit ihnen zu kommunizieren? Ihr seid ein Esper, verdammt! Ihr müßt doch etwas mit ihnen gemeinsam haben!«
»Ich versuche es«, entgegnete Skye. »Aber sie sind keine richtigen Esper. Nicht mehr. Sie haben eine Grenze überschritten.«
Skye tastete mit seinem ESP nach den Kreaturen, aber es war, als würde er in dunkler Nacht in grelle Scheinwerfer blicken. Nur Wut und Raserei, ohne jede Vernunft und ohne Ziel.
Falls sie Gedanken dachten, konnte Skye sie nicht verstehen.
Und so tat er das einzige, was ihm einfiel. Er sammelte die Wut und Raserei in ihren Köpfen und lenkte sie zurück, ließ sie denken, die anderen ringsum wären die Schuldigen an ihren Qualen. Die Monstren kreischten und schrien und fielen übereinander her, rissen und bissen und schlugen, und das weit spritzende Blut war keinesfalls immer rot. ESP prallte auf ESP, bis die Luft zu kochen begann, Funken sprühten, und die stählernen Wände unter der schieren Kraft zerflossen wie schmelzendes Eis. Skye wich langsam zurück, die Hände am Kopf, während er versuchte, den Ansturm abzublocken. Finlay schob den Disruptor fas Halfter und zog den jungen Esper weg von dem Gemetzel weiter vorn im Gang.
»Laßt nicht locker, Skye! Es muß einen anderen Weg nach draußen geben, und wir werden ihn finden!«
Zusammen rannten Finlay und Skye den Korridor hinunter.
Skye faßte sich immer wieder an den Kopf. Er versuchte, etwas zu Finlay zu sagen, doch er brachte kein Wort hervor. Finlay verstand trotzdem. Einige der Monster waren vielleicht Menschen gewesen, die der junge Esper gekannt hatte, bevor sie nach Silo Neun geschafft worden waren. Einige waren vielleicht sogar mit ihm befreundet gewesen. Aber…
Finlay umrundete eine Biegung und blieb wie angewurzelt stehen. Er packte Skye und hielt ihn fest. Eine volle Kompanie Wachen blockierte den Weg ein Stück weiter voraus. Sie hoben gerade ihre Waffen, um das Feuer zu eröffnen. Finlay zog Skye gerade noch rechtzeitig um die Biegung zurück in Deckung.