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»Du wirst etwas finden, womit du dich beschäftigen kannst.

Du hast einen Eid auf deinen Namen und deine Ehre geschworen, vergiß das nicht. Du wolltest Rache nehmen für Johana Wahn und das, was man ihr angetan hat, und du wolltest Silo Neun und dem System, das dafür verantwortlich ist, ein Ende machen. Jetzt hat der Rat gesehen, wozu du imstande bist, und man wird dir wichtigere Aufgaben im Untergrund zuweisen…, wenn du danach fragst.«

»Vielleicht.« Finlay schob Evangeline sanft von sich und blickte prüfend in ihre Augen. »Tu, was du tun mußt, Evie. Das ist alles, was zählt. Trotzdem, ich wünschte, sie hätten jemand anderen ausgewählt.«

»Alle anderen waren zu wichtig. Zu wichtige Beziehungen oder zu viele drängende Aufgaben. Ich war nur von Bedeutung wegen meines Einflusses auf meinen Vater, und um dich bei der Stange zu halten. Mein Vater und ich… Wir haben uns entfremdet. Und ich versprach dem Rat, daß du keine Schwierigkeiten machen würdest. Stell mich nicht als Lügnerin bloß.

Ich wurde ausgewählt, weil ich diplomatisches Geschick bewiesen habe und weil ich entbehrlich bin. Ich war die perfekte Kandidatin.«

»Das Schicksal scheint nicht zu wollen, daß wir zusammen sind«, sagte Finlay. »Vielleicht eines Tages, wenn all das vorbei ist… vielleicht können wir dann ein ganz gewöhnliches Leben miteinander verbringen wie Millionen anderer Paare auch. Ich wünsche mir nichts sehnlicher.«

»Ja«, stimmte Evangeline zu. »Ich auch.«

Plötzlich bewegte sich hinter den beiden Liebenden etwas, und jedermann wandte sich nach einem Neuankömmling um, der soeben eingetreten war. Erregte Gespräche setzten ein, als die Menge erkannte, wer der Neuankömmling war. Hochrufe und Applaus erklangen, und ein Name machte die Runde, wurde lauter und lauter, wuchs von einem Sprechgesang zu einem Kampfruf. Johana Wahn! Johana Wahn! Johana Wahn! Johana Wahn!

»Verdammter Mist!« beschwerte sich Finlay. »Genau das, was uns noch gefehlt hat. Noch mehr Komplikationen.«

Johana Wahn war eine gedrungene blonde Frau mit einem bleichen Gesicht, das von scharfen blauen Augen beherrscht wurde. Sie besaß einen breiten Mund und trug ein Lächeln zur Schau, das mehr an Zähnefletschen als an Humor erinnerte.

Einst hatte sie nur schwaches ESP besessen, wie viele andere auch, aber dann hatte der Untergrund sie als Agentin ins berüchtigte Esper-Gefängnis Silo Neun eingeschleust, und der Überesper Mater Mundi hatte sich in Johana manifestiert, um das Gefängnis zu zerstören. Johana war mit etwas Großartigem in Berührung gekommen, war durch Mater Mundis schwebende Gegenwart verwandelt worden, und seit ihrer Flucht aus der Hölle des Wurmwächters war sie zu einer neuen, bedeutenden Macht im Untergrund herangewachsen. Sie hatte den Namen Mater Mundis für sich selbst in Anspruch genommen und eine Politik der Vergeltung begonnen. Wo auch immer Johana Wahn hinging, sie wurde von einer kleinen Gruppe fanatischer Anhänger begleitet, die jeden finster anblickten, der Mater Mundi zu nahe zu kommen wagte. Manchmal fragte sich Finlay, ob Mater Mundi eine politische Kraft oder eine Art religiöse Ikone war. Wahrscheinlich wußte sie es selbst nicht. Sicher war nur, daß ihre Popularität in der letzten Zeit über alle Grenzen gewachsen zu sein schien. Sonst hätte jemand mit so wenig Interesse an politischen Ereignissen wie Finlay es wohl kaum bemerkt.

Nachdem sie ihren üblichen, unerwarteten und hochdramatischen Auftritt hinter sich hatte, trat Johana zur Mitte der Kammer. Die Menge teilte sich vor ihr, als würde sie von der bloßen Kraft ihrer Persönlichkeit auseinandergetrieben. Johana war zu einem der mächtigsten Esper geworden, die der Untergrund je gekannt hatte. Man konnte das ESP in ihrer Gegenwart deutlich spüren. Es war, als würde die Luft um sie herum knistern, eine spürbare Kraft, die teilweise Charisma und teilweise Enigma zu sein schien. Aufwieglerin und kühne Politikerin zugleich, unermüdliche Kämpferin für die Rechte der Esper, wurde sie von allen respektiert, von vielen angebetet und bewundert – und von den Anführern der Esper mit großem Mißtrauen beobachtet. Johana Wahn war ein wenig verrückt, aber die Menschen sahen das Mater Mundi nach. Niemand erwartete von Heiligen, daß sie normal waren. Johana war von der Mutter Aller Seelen selbst berührt worden, und da die Mutter Aller Seelen selbst gegenwärtig unauffindbar schien, waren die Leute bereit, sich mit dem naheliegendsten Ersatz abzufinden. Johana blieb vor den Anführern stehen und lächelte böse, als könne sie durch die Illusionen hindurchblicken und die wirklichen Leute dahinter sehen. Wer weiß? Vielleicht konnte sie das wirklich.

Evangeline drückte sich enger an Finlay. »Wenn ich gewußt hätte, daß sie sich zu einer derartigen Landplage entwickelt, ich hätte mir sicher zweimal überlegt, ob wir sie aus Silo Neun befreien.«

Finlay zuckte die Schultern. »Sie predigt sofortige Aktion, und das kommt heutzutage an. Und sie war ein Fokus für die echte Mater Mundi

»Genau wie du und ich. Aber wir sind nicht verrückter als vorher. Obwohl das in deinem Fall zugegebenermaßen schwer festzustellen ist.«

Finlay mußte grinsen. Dann begann Johana Wahn zu sprechen, und er konzentrierte sich auf ihre Worte. Sie besaß eine rauhe, unangenehme Stimme. Ihre Stimmbänder waren beschädigt, als Folge der gequälten Schmerzensschreie in der Hölle des Wurmwächters. Es spielte keine Rolle. Wenn sie sprach, hörte man zu. Man mußte einfach.

»Ich bin wieder da, Leute. Macht das Beste daraus. Das Imperium hat mich nach Silo Neun verschleppt und mir einen Wurm in den Kopf gesetzt, um meine Gedanken zu kontrollieren, aber dank Mater Mundis Hilfe brach ich aus. Auch ihr könnt ausbrechen. Arbeitet mit mir zusammen, und wir können mehr erreichen als alles, was wir bis jetzt erreicht haben. Nun kann mich niemand mehr bezwingen, nicht einmal der Wurm, der immer noch in meinem Kopf lauert. Der Rat hat gesagt, ich würde sterben, wenn sie ihn entfernen, aber ich glaube nicht daran. Paßt auf – und lernt.«

Johana Wahn warf das blonde Haar über die Schultern nach hinten, so daß jeder deutlich ihr Gesicht sehen konnte. Dann legte sie eine Hand auf die Stirn und schnitt eine Grimasse, als würde sie angestrengt lauschen oder sich konzentrieren. Plötzlich beulte sich ihre linke Schläfe aus, und sie riß die Haut auseinander. Blut rann über Johanas Gesicht, doch sie ignorierte es. Ein scharfes, knackendes Geräusch, und der Schädelknochen an der linken Schläfe brach. Etwas Kleines, Graues, Blutbesudeltes kroch aus dem Riß und fiel in Johanas wartende Hand. Es pulsierte und zuckte krampfhaft, ein genetisch manipuliertes Horrorprodukt, dessen einziger Sinn darin bestand, gefangene Bewußtseine zu quälen und zu kontrollieren. Johana schloß die Hand um den Wurm und zerquetschte ihn. Blut und grauer Schleim quollen durch ihre Finger. Johana öffnete die Hand wieder und ließ die Überreste zu Boden fallen.

Die Menge tobte. Alles jubelte und schrie und stampfte mit den Füßen. Johana begann von neuem zu sprechen, doch diesmal hörte Finlay nicht mehr zu. Er hatte das Schauspiel zwar genossen, doch er mißtraute der Botschaft, die Johana Wahn verkündete. Der Aufruf zum Handeln war zwar gut und schön und populär, und er selbst hatte schon viele Male das gleiche gesagt, aber Johana besaß keinerlei Strategie oder Plan. Der Untergrund sollte ihr einfach nur vertrauen, ihr und der Weltenmutter, und alles würde gut werden. Und die Menge glaubte ihr, weil sie es glauben wollte. Johana versprach Stärke und Rache und Ruhm und alles, was die Geschlagenen, die Besiegten und Gequälten sich ersehnten. Finlay blickte über die jubelnde Menge hinweg, und er war in keiner Weise davon angetan.