Oder zumindest eine Ahnung, in welcher Richtung der Ausgang lag. Die Höflinge betrachteten die Kreatur unglücklich, doch sie schwiegen. Sie verstanden die Notwendigkeit erhöhter Sicherheitsmaßnahmen bei Hofe, nachdem erst kurz zuvor Elfen und Fremdwesen angegriffen hatten, aber ein Schläfer an der Leine ging eindeutig zu weit. Selbst für die Löwenstein.
Das hier hatte nichts mehr mit Sicherheit oder Stil zu tun. Das hier ging ganz eindeutig in Richtung Overkill. Vielleicht sogar im buchstäblichen Sinne des Wortes. Die Männer und Frauen in den vordersten Reihen hatten plötzlich das Bedürfnis, höflich ihre privilegierten Plätze freiwillig anderen zu überlassen, und versuchten, sich in der Menge zu verstecken. Die in den Reihen dahinter hatten keinerlei Sehnsucht, plötzlich vorn zu stehen, und sie widersetzten sich entschlossen. Jeder wußte, daß die bewaffneten Leibwächter sie nicht schützen würden, falls das Joch unerwartet versagte. Das war nicht ihre Aufgabe.
Trotz des Gedränges brachten die Höflinge es irgendwie fertig, vollkommen still zu bleiben. Kein Wort wurde gesprochen.
Frost beugte sich zu Stelmach herüber, der erschreckt zusammenzuckte. Sie grinste nicht.
»Ich dachte, Ihr hättet gesagt, daß Euer Schläfer der einzige wäre, der durch ein Joch kontrolliert wurde. Und er wurde auf Haden zerstört. Was, zur Hölle, macht dann diese Bestie hier?«
»Offensichtlich hat die Forschung während meiner Abwesenheit Fortschritte gemacht«, erwiderte Stelmach. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Er versuchte, beim Reden nicht die Lippen zu bewegen, damit niemand auf ihn aufmerksam wurde. Frost schnitt eine Grimasse.
»Und wie verläßlich ist dieses Joch?«
»Das kommt darauf an, was Ihr unter verläßlich versteht.
Wenn es keinen größeren Durchbruch gegeben hat, was ich persönlich stark bezweifle, kann man das Joch nur ein- und ausschalten. Wenn der Schläfer erst von der Leine ist, bringt er alles um, was sich bewegt. Man kann nur hoffen, ihn in die richtige Richtung zu schicken. Wenn dieses Joch dort so arbeitet wie das, welches meine Leute entwickelt haben, dann erledigt es seine Arbeit. Aber ich würde nicht mein Leben darauf verwetten.«
»Das müssen wir aber, ob es uns gefällt oder nicht.«
»Ich weiß«, entgegnete Stelmach unglücklich.
Schwejksam blickte sich um. Er machte sich erst gar nicht die Mühe, sein Interesse zu verbergen. Ganz ohne Zweifel gab es noch eine ganze Reihe weiterer bewaffneter Wachen, die unsichtbar hinter tarnenden Hologrammen warteten. Und eine ganze Reihe von ESP-Blockern, um vor Esper-Terroristen sicher zu sein, sowie weitere Sicherheitseinrichtungen, die Schwejksam nicht einmal dann erkennen würde, wenn man ihn mit der Nase darauf stieß. Man sagte, daß die Imperatorin ein Vermögen darauf verwandt hatte, den Hof so sicher wie nur menschenmöglich zu machen. Es war mehr als nur Verfolgungswahn. Eine ganze Menge Leute wollten Löwenstein tot sehen. Sie sehnten sich danach, auf ihrer Beerdigung zu tanzen und auf ihr Grab zu urinieren. Viele dieser Leute befanden sich hier unter den anwesenden Höflingen, und auch das war ein Grund, aus dem man nur unbewaffnet am Hof erscheinen durfte. Manchmal konnte ein Ruf an den Hof durchaus damit enden, daß Löwenstein jemanden zum Tode verurteilte. Jemanden, der beim Ränkeschmieden nicht so vorsichtig gewesen war, wie er eigentlich gedacht hatte. Was die Familien nicht davon abhielt, weiterhin zum Hof zu kommen. Schließlich wurden hier die Weichen gestellt. Hier wurden die Dinge in Bewegung gesetzt. Der beste Ort, um zu sehen und gesehen zu werden. Milliarden Zuschauer auf allen Welten im gesamten Imperium verfolgten das Geschehen zu Hause auf ihren Holoschirmen. Und es war der einzige Ort, an dem sie Einfluß darauf nehmen konnten, welche Entscheidungen getroffen wurden. Und trotz der allgemeinen und berechtigten Nervosität war eine ganze Reihe von Höflingen fest entschlossen, um Gehör zu bitten.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte sich in den Familien die Überzeugung gebildet, daß man einen Teil der Macht aus Löwensteins Händen in die eigenen überführen könnte. Sie hatten etwas in der Hand, das, vorsichtig eingesetzt, vielleicht einen Keil zwischen die Imperatorin und das ihr so treu ergebene Militär treiben konnte. Der erfolgreiche Anschlag der Rebellen auf die Zentrale der Steuerbehörde, zusammen mit der Sabotage der Verteidigungseinrichtungen des Planeten, hatte das Militär politisch gesehen in eine schwierige Lage gebracht. Der unerwartete Angriff des fremden Schiffes hatte diesen Eindruck noch verstärkt. Und außerdem gingen Gerüchte um, daß der offizielle Prinzgemahl der Herrscherin und Oberste Krieger des Imperiums, der Hohe Lord Dram, tot sein sollte. Angeblich hatte er bei einer von der Versammlung der Lords nicht autorisierten Mission auf einem abgelegenen Planeten den Tod gefunden.
Nur die Besatzung der Unerschrocken konnte darüber Auskunft geben, und die wurde auf ihrem Schiff im Orbit um Golgatha festgehalten. Mit Ausnahme von Frost, Schwejksam und Stelmach. Eine Menge Augen verfolgte jede Bewegung der drei, doch andererseits machte man einen großen Bogen um sie. Nur für den Fall. Man war der festen Überzeugung, daß die Imperatorin mit diesen dreien etwas Besonderes vorhatte, und es mochte sich durchaus herausstellen, daß es nichts Angenehmes war. Schwejksam war sich der Hintergedanken der versammelten Höflinge durchaus bewußt, genau wie ihrer Haltung gegenüber der Herrscherin. Und er konnte nicht umhin zuzugeben, daß dieser Standpunkt nicht unvernünftig war.
Wenn Löwenstein und das Militär nicht imstande waren, den eigenen Planeten gegen ein einzelnes fremdes Schiff und eine Handvoll Rebellen zu schützen, dann befanden sie sich auch nicht in der Position, den Angehörigen des Parlaments und der Versammlung der Lords, deren Gelder schließlich einen Großteil der Staatsausgaben finanzierten, Vorschriften zu machen.
Unter dem Strich lief es nämlich wieder einmal darauf hinaus, daß man die Steuern erhöhen würde, um die Sicherheit des Imperiums zu finanzieren. Die Familien wollten mehr Mitspracherecht, was die Verwendung der Gelder betraf. Vorzugsweise, bevor die Steuerbehörde wieder arbeitete und über neue Steuersätze entschieden werden konnte.
Das Militär war sich durchaus dieser Gefahr bewußt und hatte Schritte unternommen, um sich gegen die Angriffe der Familien wehren zu können. So befanden sich zahlreiche Offiziere der allerhöchsten Ränge unter den Höflingen und standen jetzt in Habacht vor der Herrscherin. Schnee hatte sich auf ihre Köpfe und Schultern gelegt, doch wenn ihnen die Kälte zu schaffen machte, so zeigten sie es nicht. Die Offiziere waren an den Hof gekommen, um deutlich zu machen, daß Löwenstein noch immer ihr Vertrauen und ihre Unterstützung besaß. Und umgekehrt natürlich. Die Aufgabe des Militärs war es, Löwenstein gegen jede Bedrohung zu schützen – auch solche, die vom Hof selbst herrühren mochte. Es war eine Frage der Ehre, die zumindest im Militär noch über der Politik stand. Man hatte der Imperatorin einen Treueeid geschworen, und sonst niemandem.
Auch die Kirche von Christus dem Krieger war mit ihren Abgesandten vertreten. Zahlreiche Akolythen mit bleichen Gesichtern, rasierten Schädeln und dem starren Blick echter Fanatiker standen neben den Militärs und ignorierten die Offiziere beharrlich. Die Akolythen waren Kriegerpriester, von Kindesbeinen an in einem blutigen Glauben erzogen, und sie beugten den Kopf vor der Herrscherin nur, wenn die Umstände sie dazu zwangen. Die Kirche vertrat die Auffassung, daß man Glauben erzwingen mußte – selbst wenn das bedeutete, die Menschen zu töten, die man eigentlich hatte bekehren wollen. Sie predigte, daß Macht nach Gottes Willen gerecht war, und sie war nur allzu bereit und geradezu begierig, ihre Theorien in die Praxis umzusetzen. Es gab noch andere Religionen im Imperium, doch die meisten wurden im verborgenen ausgeübt. Ihre Anhänger gaben sich Mühe, nicht weiter aufzufallen.