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–, selbst wenn es Freunde, Verwandte oder sogar Verbündete waren. Und während Kassar mit beispielloser Geschwindigkeit innerhalb der Kirche aufstieg, beeilten sich die Leute, seinem Eifer zu folgen – jedenfalls wenn sie wußten, was für sie gut war.

So war die Anklage wegen Häresie zu einer beliebten Methode geworden, um seine Feinde aus dem Weg zu räumen. Ein Beweis wurde nicht benötigt. Meist reichte allein die Anschuldigung aus. Es gab Tribunale, wo die Beschuldigten sich verteidigen konnten, doch das kostete Geld. Gerechtigkeit war noch nie billig gewesen. Die Zustände nahmen bald katastrophale Formen an, und manch einer versuchte, eine Versicherung gegen derartige Zwischenfälle abzuschließen – nur um feststellen zu müssen, daß die Prämien noch höher waren als die versicherten Kosten. Damals hatten die Familien zum ersten Mal erkannt, daß niemand mehr vor der Kirche sicher war.

Auch die Eiserne Hexe benutzte diese bequeme Methode und fand sie bald ganz besonders nützlich, um ihre Höflinge zu disziplinieren. Sobald jemand Schwierigkeiten machte oder den Mund zu weit aufriß, wurde eine Anschuldigung ausgesprochen, und das unglückliche Opfer wurde eines frühen Morgens vom Geräusch heiliger Stiefel geweckt, die seine Tür eintraten. Bald schon konnte sich niemand mehr leisten, die Imperatorin zu verärgern, der nicht hervorragende Beziehungen zur Kirche öder viel Geld für Anwälte besaß. Wenn man in diesen Tagen überhaupt einen Anwalt finden konnte, der tapfer genug war, um es mit der Kirche aufzunehmen.

Die Höflinge spielten untereinander das gleiche gefährliche Spiel und denunzierten sich gegenseitig aus familiären, politischen oder persönlichen Gründen, doch die Folgen waren weniger ernst. Die Wahrheit verschwand nur allzu rasch unter einem Morast aus Anschuldigungen und Gegenanschuldigungen, bis selbst die Kirche es leid war. Also beschränkte sie sich meist darauf, einfach alles aufzuzeichnen, um für die passenden Gelegenheiten Belastungsmaterial und Munition zu besitzen.

Valentin Wolf zum Beispiel war schon so häufig wegen aller möglicher Arten von Häresie denunziert worden – einschließlich einiger, die man zuvor für theoretisch unmöglich gehalten hatte –, daß die Kirche aufgehört hatte zu zählen. Die Anklagen wurden niemals weiterverfolgt. Niemand zweifelte daran, daß Valentin vollkommen dekadent war und genügend Drogen konsumierte, um ein halbes Dutzend gewöhnlicher Männer auf einen Schlag umzubringen, doch er war der Kopf der Ersten Familie des Imperiums, unglaublich reich und mächtig, und er besaß das Ohr und die Unterstützung der Eisernen Hexe. Valentin Wolf war mit anderen Worten unantastbar. Kassar hatte seinen Groll gegen Valentin nicht aufgegeben, doch im Augenblick gab er sich damit zufrieden, daß er und der Wolf sich unübersehbar gegenseitig ignorierten. Die Höflinge folgten dem Schauspiel gebannt. Jeder wußte, daß es nicht für immer so weitergehen konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis einer von beiden den ersten Fehltritt machte, und anschließend würden Blut und Tränen fließen.

Seit Monaten wurden Wetten deswegen abgeschlossen.

Valentin Wolf stand ein wenig allein mitten in der Menge, aber das war nicht ungewöhnlich. Er war das Oberhaupt der Ersten Familie von Golgatha, und sein Wort war Befehl für Tausende, doch Valentin besaß keine Freunde und niemanden, der von sich sagen konnte, ihm auch nur halbwegs nahezustehen. Valentin gab einen feuchten Dreck darauf. Es war ihm egal, und es war ihm schon immer egal gewesen. Valentin hatte sich selbst immer schon als unendlich bessere Gesellschaft empfunden als jedes andere Lebewesen in seiner Umgebung.

Und wenn man seine fortgesetzten Experimente mit jeder einzelnen Droge bedachte, die je unter irgendeiner Sonne gewachsen war – einschließlich einiger, die nur in der Dunkelheit wuchsen –, dann reichte sein Innenleben mit Sicherheit mehr als aus, um Valentin selbst in den stillsten Augenblicken zu beschäftigen.

Valentin war groß und schlank und auf düstere Weise sensibel, wie ein Dämonenprinz aus einem Märchen, nur noch unwirklicher. Sein Gesicht war lang, schmal und von einer vollkommenen Blässe. Valentins unnatürlich helle Augen wurden von schwerem Make-up eingerahmt, und ein in dickem Purpur aufgemaltes Lächeln war der einzige Ausdruck, der je auf seinem Gesicht zu erkennen war. Pechschwarzes Haar fiel in langen Locken, die niemals einen Kamm gesehen hatten, bis auf seine Schultern. Er trug dunkle Kleidung mit einem gelegentlichen Farbklecks, im Augenblick vorzugsweise Rot, und ignorierte die vergänglichen Diktate der Mode mit unerreichter Gleichgültigkeit. Valentin Wolf hatte zu seiner Zeit jede Droge selbst ausprobiert, die der Menschheit bekannt war, und er beschäftigte einen ganzen Stab eigener Chemiker, die ständig neue Drogen für ihn entwickelten. Man erzählte sich allen Ernstes, daß es keine einzige Chemikalie gab, die Valentin noch nicht ausprobiert habe. Jeder, der die Vielfalt und Menge an Drogen zu sich genommen hätte, die Valentin zu konsumieren pflegte, wäre ohne Zweifel schon dutzendmal an Vergiftung gestorben, das Gehirn zu einem Haufen toter Zellen geschrumpft; aber durch irgendein geheimnisvolles Wunder wuchs und gedieh Valentin sogar prächtig. Und wenn er die Welt mit anderen Augen sah als seine Zeitgenossen und hin und wieder eine angeregte Diskussion mit Leuten führte, die niemand außer ihm sehen konnte, dann machte es ihm nichts aus und behinderte ihn in keinster Weise. Und mit Sicherheit machte es Valentin keine Spur weniger ehrgeizig, scharfsinnig und brandgefährlich.

Doch Valentin wußte, daß selbst er nicht ewig so weitermachen konnte, ohne einen Preis dafür zu zahlen. Die besten Arzte des Imperiums kümmerten sich um ihn, und er ruhte häufig in seiner persönlichen Regenerationsmaschine. Dennoch nagten der fortwährende Drogenkonsum, zusammen mit einem nie enden wollenden Druck wegen seiner zahllosen Intrigen, schwer an Valentins sorgfältig und mühevoll erarbeiteter Selbstkontrolle. Der Wolf verbrauchte sich von innen heraus, und sein einziger Gedanke war, noch mehr Chemikalien ins Feuer zu werfen. Als Ergebnis stand er nun mit so übernatürlich scharfen Sinnen an seinem Platz, daß er am ganzen Leib vor Erwartung zitterte. Valentins Geist war so unglaublich weit geöffnet, daß er die Körpersprache anderer wie ein gedrucktes Wort lesen konnte, und jede noch so bedeutungslose Geste schrie ihm förmlich neue Einzelheiten zu. Pläne, Verschwörungen und Bruchstücke von Ideen blitzten in seinem Bewußtsein auf, hell wie das Leuchten eines Gewitters. Sein Körper mochte fest an seinem Platz unter all den anderen Höflingen stehen, doch Valentins Bewußtsein war hier und dort und überall zugleich. Er ritt auf den Wellen seiner Gedanken wie ein Artist mit perfekter Balance, und er blickte aus der schwindelerregenden Höhe einer endlosen Woge herab. Es war ein äußerst belebendes Gefühl, aber Valentin verlor nicht einen Augenblick lang die Kontrolle. Oder falls doch, dann bemerkte es niemand.

Valentin war noch immer davon überzeugt, daß es möglich sein mußte, ein vollkommenes Gleichgewicht zwischen den erwünschten und den unerwünschten Wirkungen von Drogen zu finden, wenn er nur die richtige Mischung entdeckte. Ein vollkommener, niemals endender Rauschzustand, frei wie ein Vogel und ohne jede Grenze. Doch bis es soweit war, stiegen die erforderlichen Dosen immer weiter an, um den gleichen Effekt zu erzielen, und Valentin Wolf mußte mehr und mehr neue Drogen zu sich nehmen, um den bösartigen Nebenwirkungen älterer Drogen zu entgehen, deren Überreste noch immer in seinem Kreislauf zirkulierten. Als Resultat war er dünner als je zuvor, und schlimmer noch: Valentin konnte sich ein Leben ohne all die zahlreichen Helfer genausowenig vorstellen wie ein Leben ohne Sauerstoff. Bestimmte Drogen, deren Wirkung nur kurzlebig war, halfen ihm, sich auf bestimmte Situationen einzustellen, und dies schien eine solche Situation zu sein. Valentin überlegte, daß er einen möglichst klaren, raschen Verstand benötigte. An diesem Hof besaß er keinerlei Freunde, sondern nur Feinde. Es war lebensnotwendig, daß er ihren Gedanken bei jedem Zug mindestens einen Schritt voraus war.