Kassar begann zu stottern – er war so begierig, es Beckett zurückzuzahlen, daß seine Worte nur so hervorsprudelten. Löwenstein lehnte sich amüsiert zurück. Ganz offensichtlich genoß sie die Verstörtheit des Kardinals. Beckett paffte hochzufrieden an seiner Zigarre. In diesem Augenblick trat Mutter Beatrice aus der Menge und schloß sich der Debatte an. Sie goß Öl in die aufzüngelnden Flammen. Beatrice Cristiana hatte eigentlich Valentin Wolf heiraten sollen – auf Jakob Wolfs Betreiben hin –, doch es war nie so weit gekommen. Beatrice war eine energische, selbstsichere und gelegentlich auch gewalttätige Frau, die genau wußte, was sie wollte – und Valentin gehörte nicht dazu. Sie hatte nicht die geringste Lust verspürt, den berüchtigten Drogenkonsumenten und dekadenten Tunichtgut zu heiraten. Beatrice hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Hochzeit zu verhindern, und selbst vor Morddrohungen und -versuchen nicht zurückgeschreckt, doch niemand hatte sie ernst genommen. Bis zum Tag der Hochzeit, als sie Valentin niedergeschlagen und dem Vikar, der die Trauung vollziehen sollte, in die Eier getreten hatte, um anschließend Hals über Kopf zu den Barmherzigen Schwestern zu flüchten und um Zuflucht zu bitten. Der einzige Ort im gesamten Imperium, an den ihr niemand folgen würde. Ihre Klöster waren traditionell unantastbar. Die Barmherzigen Schwestern waren die einzige wirklich unparteiische Macht im Imperium, hielten zu keiner Seite, kämpften für niemandes Sache und Klasse, sondern halfen allen gleichermaßen. Sie wurden geliebt, und jeder vertraute ihnen. Was die Schwestern zu einer sehr nützlichen Institution werden ließ, wenn es um Familienstreitigkeiten und das Verhandeln von Waffenstillständen ging. Unter anderem.
Beatrice war rasch im Orden aufgestiegen und nun eine Schwester Oberin, gekleidet in die schwarze Schwesterntracht mit gestärkter weißer Haube. Dabei hatte ihr nicht nur ein besonders gefestigter Glaube, sondern in erster Linie der unglaubliche Reichtum ihrer Familie wertvolle Dienste geleistet.
Beatrice erkämpfte sich einen Platz bei Hofe, ermutigte jeden zum Reden, der etwas zu sagen hatte, und etablierte sich rasch als Stimme der Vernunft sowohl gegen das Militär als auch gegen die Staatskirche. Valentin nahm die ganze Geschichte auf die leichte Schulter. Er sandte ihr eine Note, in der er Beatrice mitteilte, daß er ihr neues Kostüm ganz besonders sexy fand, und heftete einen neuen Heiratsvertrag an. Seither gab sich Beatrice große Mühe, den neuen Wolf vollkommen zu ignorieren.
Und jetzt stand sie hier, vor dem Eisernen Thron, und ihre Augen funkelten munter. Beatrice verbeugte sich vor der Herrscherin und bedachte General Beckett und Kardinal Kassar mit herausfordernden Blicken. Beckett lächelte und nickte das Nicken, mit dem man einen geachteten Widersacher begrüßt. Der Kardinal starrte Beatrice nur voll unterdrückter Wut an. Er sah in ihr eine gefährliche Häretikerin und hatte sich nicht gescheut, dies in der Öffentlichkeit laut kundzutun, bis sowohl die Barmherzigen Schwestern als auch seine eigenen Vorgesetzten ihm befohlen hatten, verdammt noch mal den Mund zu halten. Das hatte Kassar noch mehr in Rage gebracht, doch Beatrice gab einen Dreck darauf. Solange die Barmherzigen Schwestern eigenständig blieben und nicht der Staatskirche eingegliedert wurden, besaß Kassar keinerlei Macht über sie, und beide wußten es.
Beatrice lächelte der Löwenstein zu, die den Gruß mit leichtem Kopfnicken erwiderte.
»Wenn ich an dieser Stelle unterbrechen dürfte, Euer Majestät; doch mir scheint, daß Militär und Kirche viel zu sehr in ihren jeweiligen Standpunkten verwurzelt sind, um die Wahrheit zu erkennen. Falls das Schiff der Fremden für ihre Macht und Technologie repräsentativ ist, dann könnten wir in großen Schwierigkeiten stecken, wenn ihre Flotte auftaucht. Wir haben ein ganzes Imperium zu schützen, während die Fremden ihre Kräfte auf jeden Punkt konzentrieren können, der ihnen gerade in den Sinn kommt. Ein einziges ihrer Schiffe hat unseren wichtigsten Raumhafen und die Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt. Stellt Euch nur vor, was erst eine ganze Flotte dieser Schiffe mit einem Planeten anstellen kann. Mit oder ohne funktionierende Verteidigungseinrichtungen. Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken. Zum ersten Mal stehen wir einem Opponenten gegenüber, der möglicherweise stärker ist als wir. Nicht zu vergessen die Hinweise, daß es dort draußen weitere hochentwickelte Rassen von Fremden gibt. Eure Majestät haben das zwar bereits vor einiger Zeit verkündet, doch ich denke, daß jetzt die Zeit gekommen ist, wo wir alle eher bereit sind, das zu glauben. Unsere einzige Chance, als Spezies zu überleben, besteht vielleicht darin, daß wir uns alle zusammenschließen, um dem Feind gemeinsam zu trotzen. Oder den Feinden. Das schließt vielleicht sogar die Gruppen ein, die uns normalerweise bekämpfen. Ich rede von den Rebellen und von den Untergrundbewegungen der Klone und Esper, falls jemand nicht weiß, was ich meine.«
»Seid Ihr vollkommen übergeschnappt, Frau?« explodierte Kassar. »Mit dem Abschaum verhandeln? Das sind noch nicht mal richtige Menschen!«
»Das sehen diese Leute anders«, widersprach Beatrice seelenruhig. »Und ich schätze, sie würden kämpfen, um die Menschheit gegen eine Bedrohung durch die Fremden zu verteidigen. Falls wir sie höflich darum bitten. Es liegt in ihrem eigenen Interesse. Wenn das Imperium erst zerstört ist, wird man sie genauso auslöschen wie den Rest von uns. Die Rebellen besitzen Talente, Begabungen und Fähigkeiten, die wir dringend gebrauchen könnten. Oder bezweifelt irgendeiner der Anwesenden vielleicht, daß sie ganz hervorragende Sturmtruppen abgeben würden? Allein die Tatsache, daß sie immer noch existieren – trotz aller Anstrengungen, die wir unternommen haben, um sie auszulöschen –, zeigt doch, daß sie exzellente Überlebenskünstler sind, wenn schon nichts anderes.«
»Darf ich an dieser Stelle vielleicht darauf hinweisen«, meldete sich Beckett gelassen zu Wort, »daß es die Rebellen waren, die die Verteidigungsanlagen und Schilde um Golgatha zum Zusammenbruch brachten und damit den Angriff der Fremden überhaupt erst ermöglichten?«
»Wahrscheinlich haben sie sogar mit den Fremden zusammengearbeitet«, ergänzte Kassar.
»Noch ein paar Gründe mehr, um mit ihnen in Kontakt zu treten und sie auf unsere Seite zu ziehen«, erwiderte Beatrice ungerührt.
»Sie haben sich eines Verbrechens gegen die Menschheit schuldig gemacht!« keifte Kassar. »Die Schuldigen müssen bestraft werden!«
»Andererseits«, gab Beckett zu bedenken und rollte seine Zigarre gefühlvoll zwischen den Fingern, während er dem Knistern der Tabakblätter lauschte, »wenn es uns nicht gelingt, die Rebellen zur Vernunft zu bringen, werden sie vielleicht die Gelegenheit nutzen und uns in den Rücken fallen, während wir durch den Angriff der Fremden abgelenkt sind.«
»Man sollte sie alle töten«, sagte Kassar. »Klone, Esper, Unpersonen, einfach alle. Sie sind für uns genauso fremd wie alles, was vielleicht von jenseits des Abgrunds kommt.«
»Das ist mal wieder typisch für die heutige Kirche«, entgegnete Beatrice. »Lieber kämpfen als nachdenken, lieber verlieren als es mit Diplomatie versuchen. Fanatiker, vereinigt Euch, Ihr habt nichts zu verlieren außer dem Rest Eures Verstandes!«
»Gut gesprochen!« griff Valentin Wolf in die Unterhaltung ein. »Ich selbst hätte es nicht besser formulieren können.«