Toby konnte aus jedem eine Berühmtheit machen, bekannt um der Bekanntheit willen, wenn man die Regeln befolgte. Seine Regeln. Was soviel hieß wie: Mach, was du willst, solange es unterhaltsam ist und ich derjenige bin, der als erster davon erfährt, damit ich es in die richtige Form bringen kann, bevor es auf die Straße kommt. Unglücklicherweise konnte er Gregor Shreck nicht so einfach herumkommandieren. Falls er je so dumm sein würde, es auszuprobieren, würde Gregor ihm als Warnung die Stimmbänder herausreißen.
»Schieß endlich los, Junge«, brummte Gregor seinen Neffen an. »Was hast du gegenwärtig über Evangeline zu melden?«
»Offiziell ruht sie sich eine Zeitlang aus, weil der Streß der letzten Zeit zuviel für sie war«, erwiderte Toby glatt. »Wir haben nicht genau gesagt, was für ein Streß das war, aber die Gerüchtemacher werden sich schon etwas ausdenken. Sie lieben das Spekulieren. Laß mich bitte wissen, wann sie sich genug ausgeruht hat, damit ich sie wieder in die Gesellschaft einführen kann.«
»Ich werde dir sagen, was du wissen mußt – wenn du es wissen mußt, und keine Minute vorher«, sagte Gregor. »Wie steht es um mein gegenwärtiges Ansehen bei der Kirche?«
»Nicht schlecht. Obwohl ich wünschte, du würdest mehr auf das achten, was du sagst, Onkel. Manchmal denke ich, die Kirche ist nur allzugern bereit, Zoten zu verzeihen, aber nicht dieses spezielle Wort, das du etwas zu oft verwendest. Die meisten Leute werden darüber hinweghören, wenn ich ihnen genug dafür zahle, egal, ob es sich um Obszönitäten oder politischen Unsinn handelt, aber früher oder später wirst du vor den falschen Leuten das Falsche sagen, und dann kann ich nichts mehr tun, um dir zu helfen.«
Gregor schniefte. »Es war in erster Linie deine Idee, uns mit der Kirche zu verbünden. Ich kann nicht gerade sagen, daß ich bisher überwältigende Resultate zu sehen bekommen habe.«
»Wenn die Kirche hinter uns steht, sind wir vor vielen mächtigen Feinden sicher«, erklärte Toby geduldig. »Aber wenn die Kirche jemals herausfindet, wie du in Wirklichkeit bist, stecken wir in tiefen Schwierigkeiten.«
»Dann solltest du lieber verdammt noch mal sicherstellen, daß sie das nicht tut«, murrte Gregor.
»Ich wünschte, ihr beide würdet nicht ständig gegeneinander kämpfen«, sagte Grace Shreck. Sie wußte, daß die beiden nicht zuhörten. Sie hörten nie zu. Grace war Gregors ältere Schwester, obwohl sie alles nur Menschenmögliche tat, um die Ähnlichkeit mit ihm zu kaschieren. Sie war groß und dünn, besaß einen schwanengleichen Hals und trug ihre dichte Mähne von weißem Haar in einer Frisur, die schon seit Jahren nicht mehr modern war. Grace kleidete sich noch immer im gleichen Stil wie als junges Mädchen, und neuere Moden nahm sie nur zur Kenntnis, um ihre Kritik daran zu äußern. Alle paar Jahre wieder entdeckte die Mode ihren Stil neu, und dann schwebte sie für wenige Monate auf der Spitze der Modewelle, was ihr stets sehr peinlich war. Grace zog es vor, nicht aufzufallen, wann immer sich das einrichten ließ.
Sie hatte nie geheiratet, weil Gregor nach dem plötzlichen Tod der Eltern ihre Dienste als Assistentin, Sekretärin und Mädchen für alles benötigt hatte, um den Clan zusammenzuhalten und wieder zu seiner alten Größe zu führen. Grace hatte nie Zeit für Romanzen gefunden und keine Chance gehabt, ein eigenes Leben zu führen. Die Familie brauchte sie, und damit hatte sie sich abzufinden. Wenn sie jemals deswegen wütend oder traurig war, dann behielt sie es für sich. Schließlich kam eine Zeit, als Gregor sie nicht mehr brauchte, doch Grace blieb trotzdem bei ihm. Sie kannte kein anderes Leben. Die Welt hatte sich während ihrer erzwungenen Abwesenheit verändert, und die Menschen machten ihr angst, ob sie es wollten oder nicht. Außerdem wußte sie, daß Gregor sie niemals hätte gehen lassen. Er würde das Risiko nicht eingehen, daß Grace aus der Familie wegheiratete und sich dem Einfluß des Clans und Gregors Kontrolle entzog. Sie wußte zuviel über den Clan im allgemeinen und über Gregor im besonderen. Und über die Dinge, die er getan hatte, um die Shrecks wieder groß zu machen.
Grace kam so selten wie nur möglich an den Hof, weil Menschenmengen sie verschreckten – doch diesmal war das Edikt der Herrscherin recht spezifisch gewesen. Jeder aus den Familien hatte zu kommen. Keine Ausnahmen. Wer auf dem Totenbett lag, hatte das Totenbett mitzubringen. Also war Grace an Gregors Arm mitgekommen und hielt sich nun dicht neben Toby, während sie sich einzureden versuchte, nur eine Holoübertragung zu sehen.
Grace mißfiel die Art und Weise, wie Gregor mit Toby umsprang, aber sie hatte keine Ahnung, was sie dagegen tun konnte. Mit Sicherheit würde Gregor nicht auf sie hören, selbst wenn sie sich dazu durchringen könnte, den Mund aufzumachen. Tobys Vater war Christian Shreck gewesen, ihr jüngster Bruder. Er war vor Jahren verschwunden, nach einer wütenden Auseinandersetzung mit Gregor, und wurde nie wieder gesehen. Die Herrscherin hatte eine Untersuchung angeordnet, aber dabei war nichts herausgekommen. Gregor hatte bereitwillig der Befragung durch einen Imperialen Esper zugestimmt, und jedermann war überrascht gewesen, wie leicht er den Test überstanden hatte. Danach galt er offiziell als unschuldig. Und wichtiger noch: Niemand mehr widersetzte sich Gregors Weg an die Spitze.
Toby war auf die gleiche Weise in den Einfluß des Shreck gekommen wie jeder im Clan: Es gab überhaupt keine andere Möglichkeit. Toby hatte noch eine Schwester besessen, doch die Eiserne Hexe hatte sie entführt und als Dienerin zu sich genommen. Grace konnte Toby weder beschützen noch protegieren, also blieb einzig und allein Gregor übrig. So war es dazu gekommen, daß der alte Shreck Toby so benutzte, wie er einst Grace benutzt hatte, und es gab nichts, das sie dagegen hätte tun können. Ein weiteres Leben, das Gregors Ehrgeiz geopfert wurde. So liefen die Dinge im Clan der Shrecks.
Grace seufzte müde. Sie vermißte Christian. Er war der einzige in der Familie gewesen, der einen Sinn für Humor besessen hatte. Sie schreckte hoch und bemerkte, daß Gregor seinen Neffen einmal mehr anbrüllte. Gregor machte eine schwere Zeit durch, seit er so ins Licht der Öffentlichkeit getreten war.
Es paßte überhaupt nicht zu ihm, und er eignete sich auch nicht dazu. Grace musterte ihren Bruder, rotgesichtig und mit Schweißperlen auf der Stirn, als er seine Stimme zum wiederholten Mal erhob, und plötzlich hatte sie das Gefühl, als wäre dies nur der letzte Tropfen gewesen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Sie trat einen Schritt vor und schlug Gregor zurechtweisend den Fächer auf den Arm.
»Gregor, ich wünsche nicht, daß du dich in der Öffentlichkeit so benimmst. Vergiß nicht, wir befinden uns am Hof. Die Leute hören zu.«
»Und du kannst dein dummes Maul auch gleich halten«, fuhr Gregor mit hochrotem Kopf seine Schwester an.
»Gregor!« Grace konnte spüren, wie sie errötete. Das passierte immer, wenn jemand grob mit ihr sprach. »Warum können wir uns nicht wenigstens in der Öffentlichkeit wie Freunde benehmen?«
»Sie hat recht, weißt du?« sagte Toby zurückhaltend. »Die Kirche liebt glückliche Familien.«
»Steck dir die verdammte Kirche sonstwohin!« fuhr ihn Gregor an und senkte rasch die Stimme. »Ich habe ein Recht darauf, mich zu ärgern. Ich kann einfach nicht glauben, daß Valentin mich abgewiesen hat. Es liegt so offensichtlich in unser beider Interesse, daß wir uns gegen unsere Feinde verbünden, daß selbst ein Idiot wie er die Vorteile hätte erkennen müssen.
Schön, er ist ein mit Drogen vollgestopfter Tunichtgut mit weniger gesundem Menschenverstand als eine trockene Pfefferschote, aber wenn wir uns zusammenschlossen, würde niemand wagen, uns anzugreifen.«