Ihre gesamte Ausbildung und Karriere hatte sich darum gedreht, Fremde zu töten, bevor sie Menschen töten konnten.
Schwejksam legte eine warnende Hand auf Frosts Arm. Die Muskeln darin waren gespannt und hart wie Federstahl. Sie wandte den Kopf zu ihm und bedachte den Kapitän mit einem kalten Blick, so daß er die Hand zurückzog. Frost war Investigator, und sie hatte keine Zeit für menschliche Schwächen wie Mitleid. Ihr Ärger war rein beruflicher Natur.
Unter den Höflingen hatte erneut leises erregtes Gemurmel eingesetzt. Ihre Blicke wanderten von dem Schläfer zu dem zerfetzten Leichnam und wieder zurück zum Schläfer. Sie waren beeindruckt von der Wildheit des Mordes und von der ausgesprochen starken Kontrolle, welche die Eiserne Hexe über das Monster zu besitzen schien. Keiner der Höflinge hatte die zahlreichen deutlichen Warnungen übersehen, die mit der Exekution des Sicherheitschefs einhergegangen waren. Schwejksam wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit Stelmach, doch beide schwiegen. Die der Leiche am nächsten stehenden Höflinge warfen einen Blick auf die tiefen, in der eisigen Luft noch immer dampfenden Wunden und versuchten, weiter zurückzuweichen. Doch die Menge hinter ihnen stand dicht gedrängt, und alle Anstrengungen waren umsonst. Die Herrscherin lächelte ihren Untertanen böse zu.
»Ist er nicht reizend? Seine Tischmanieren lassen zu wünschen übrig, aber er ist noch jung. Kaum mehr als ein Baby.
Stellt Euch nur vor, wie er sein wird, wenn er ausgewachsen ist! Stellt Euch eine Armee von seinesgleichen vor, die sich über ein Schlachtfeld ergießt. Eine endlose Welle von ihnen.
Unbezwingbare Stoßtruppen, die nichts hinter sich zurücklassen außer Bergen von Toten und Ozeanen aus Blut. Ich freue mich schon darauf. Die Forschungsarbeiten, um Unsere Kontrolle über die Schläfer zu perfektionieren, machen gute Fortschritte. Bald schon wird auf jeden Schläfer in den Gewölben ein Joch warten, und Wir werden sie gegen die Fremden aussenden, die uns am heutigen Tag angegriffen haben… und jeden anderen Feind, der Uns bedroht. Kapitän Schwejksam, Er hat seinen Bericht noch nicht beendet. Fahre Er fort. Erzähle Er dem Hof, was Er auf der Wolflingswelt entdeckt hat.«
Schwejksam, Stelmach und Frost wechselten sich mit ihrem Bericht ab. Sie erzählten, was sie in den weiten Kavernen unter der gefrorenen Oberfläche der Wolflingswelt vorgefunden hatten, die auch unter dem Namen Haden bekannt war, Heimat der aufgerüsteten Übermenschen, der Haldenmänner. Sie berichteten von der schlafenden Armee der Hadenmänner, wie die Rebellen sie aufgeweckt hatten und wie die künstlichen Menschen aus ihrer Gruft hervorgeströmt waren, machtvoll und prächtig, eine Armee von Kyborgsoldaten, die einst die Menschheit hatten ausrotten wollen und nur knapp gescheitert waren.
Sie berichteten von den Rebellen; dem Gesetzlosen Owen Todtsteltzer, der Piratin Hazel D’Ark, der Kopfgeldjägerin Ruby Reise und dem legendären Berufsrebellen Jakob Ohnesorg.
Sie berichteten von der Niederlage der Streitkräfte, die die Unerschrocken auf dem Planeten abgesetzt hatte, doch keiner erwähnte die Anwesenheit des Hohen Lord Dram oder seinen Tod durch die Hand einer weiteren Legende, dem ursprünglichen Todtsteltzer, der seit Jahrhunderten für tot gegolten hatte, verschollen in den Tiefen des Alls, und der nun zurückgekehrt war, um Rache an dem Imperium zu nehmen, das ihn verraten und gehetzt hatte. Man hatte ihnen zuvor gesagt, daß der Name des Hohen Lord Dram unter keinen Umständen erwähnt werden durfte. In ihrer gegenwärtigen Situation waren Schwejksam, Frost und Stelmach ganz zufrieden, in Bezug auf die Wahrheit ein wenig flexibel agieren zu können.
Unter den Höflingen setzte erneut Gemurmel ein, als die Höflinge auf Namen wie Todtsteltzer oder Jakob Ohnesorg reagierten – trotz vernichtender Blicke seitens der Herrscherin.
Sie waren tief beunruhigt über das Wiederauftauchen Owen Todtsteltzers, den die Imperatorin ohne triftigen Grund für vogelfrei erklärt hatte, der all ihren Armeen entkommen war und der jetzt anscheinend eine Rebellion gegen das Imperium entfacht hatte und leitete. Und die Vorstellung von einer Armee von Hadenmännern, die sich bereitmachte, das Imperium erneut anzugreifen, gefiel den Höflingen noch weniger. Es gab nur einen einzigen Grund, aus dem die Hadenmänner nicht noch immer den offiziellen Titel ›Feinde der Menschheit‹ trugen: Die abtrünnigen KIs von Shub waren noch gefährlicher.
Löwenstein lehnte sich zurück und ließ den Hofstaat für eine Weile murmeln, bevor sie schließlich mit ihrer verstärkten Stimme erneut um Aufmerksamkeit bat.
»Es nutzt nichts, wenn jetzt alle in Panik ausbrechen. Die Hadenmänner sind weit weg und erst vor kurzem wieder aufgewacht. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bevor sie sich wieder in einer Position befinden, die sie zu einer wirklichen Gefahr werden läßt. Der Mann, der behauptet, Jakob Ohnesorg zu sein, ist nichts weiter als ein Doppelgänger. Rebellenpropaganda, um Leute anzuziehen. Ohnesorg ist wahrscheinlich schon viele Jahre tot.« Die Imperatorin unterbrach sich, als SB Chojiro graziös aus der Menge trat und vor dem Thron stehenblieb. Sie verbeugte sich, und die Herrscherin fixierte sie mit eisigen Blicken. »Sie hat besser einen triftigen Grund, Uns zu unterbrechen, Chojiro. Einen extrem triftigen Grund.«
»Mit allem nötigen Respekt, Euer Majestät, wir wissen aus normalerweise zuverlässigen Quellen, daß Jakob Ohnesorg vor einigen Jahren von Imperialen Kräften gefangengenommen wurde und wieder entfliehen konnte.«
»Da ist Sie falsch informiert«, erwiderte Löwenstein tonlos.
»Er war nie Unser Gefangener. Hätten Wir ihn gehabt, wäre ihm niemals eine Flucht gelungen. Haben Wir uns deutlich ausgedrückt? Gut. Und jetzt unterbrich Sie Uns nicht noch einmal, sonst werden Wir den Schläfer auf Sie hetzen, damit alle sehen können, was er mit kleinen vorlauten Mädchen anstellt.«
»Der Chojiro-Clan hegt nicht den Wunsch, rüde oder unverschämt zu erscheinen, Euer Majestät«, sagte SB gelassen. »Wir haben lediglich versucht, uns der Fakten zu versichern. Das Schiff der Hadenmänner, das die Rebellen hergebracht hat, war sehr real und äußerst beeindruckend, und es hat gezeigt, daß die Rebellen und die Hadenmänner nicht nur zusammenarbeiten, sondern daß die aufgerüsteten Männer bereits so hervorragend vorbereitet sind, daß sie uns zu jeder Zeit angreifen können. Wer kann sagen, ob nicht bereits eine ganze Flotte ihrer Schiffe von Haden nach hier unterwegs ist, um ein weiteres Mal die Stärke des Imperiums zu testen?«
»Sie ist Uns vielleicht eine aufmunternde Gesellschaft, Chojiro«, brummte Löwenstein. »Wenn die Hadenmänner bereit sind für einen neuen Versuch, dann ist das nur ein weiterer Grund, Unsere Aufrüstungsanstrengungen zu unterstützen und nicht mehr wegen angeblich zu hoher Steuern zu jammern, oder ist Sie anderer Meinung? Will sonst noch jemand einen Kommentar abgeben, bevor Wir fortfahren? Vergeßt nicht, daß es ein verdammt guter Kommentar sein sollte, oder Wir werden Euch alle so lange hier festhalten, bis Eure Augäpfel eingefroren sind.«
»Wenn Euer Majestät erlauben«, meldete sich Valentin zu Wort, »dann möchte ich ein paar Worte sagen.« Er trat neben SB Chojiro, die ihn von oben bis unten musterte und dann einen Schritt zur Seite wich. Valentin bedachte sie trotzdem mit einem strahlenden Lächeln und nickte der Herrscherin zu. »Ein wunderschöner Hof, Löwenstein. Sehr belebend. Ich persönlich vermisse ein paar Pinguine, aber der Schnee gefällt mir auch so. Er paßt so hübsch zu meiner Gesichtsfarbe. Also schön; ich habe durch zahlreiche unabhängige, verläßliche und nur wenig korrupte Quellen in Erfahrung gebracht, daß Euer Gemahl, der Hohe Lord Dram, Mitglied der Expedition von Kapitän Schwejksam zur Wolflingswelt gewesen sein soll und daß der Gute, bedauerlicherweise, dort den Tod gefunden hat. Wenn man bedenkt, daß seit einiger Zeit niemand den Hohen Lord bei Hofe oder an Euer Majestät Seite gesehen hat – würde Euer Majestät uns bitte seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort und seinen Gesundheitszustand verraten?«