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Schwejksam ließ sich auch nicht täuschen, was Löwensteins freundliche Einladung zum Bleiben anging. Sobald die Audienz zu Ende war, würden ganz ohne Zweifel Wachen auftauchen und ihn und seine beiden Begleiter zur Unerschrocken eskortieren, um sicherzustellen, daß sie unterwegs nicht verlorengingen oder mit jemandem sprachen, mit dem sie nicht sprechen sollten. Das war zumindest einer der Gründe, aus denen die Imperatorin die Unerschrocken in die letzten Winkel ihres Reiches abkommandiert hatte; niemand sollte unangenehme Fragen über Drams Tod oder die Wolflingswelt stellen können. Und bis sie erst wieder nach Golgatha zurückgekehrt waren, wäre die Frage längst nicht mehr aktuell. Schwejksam gab Frost und Stelmach einen Wink, und sie zogen sich in die relative Sicherheit der Menge zurück. Es wäre nicht klug, der Herrscherin noch einmal unter die Augen zu treten. Man konnte das Schicksal auch unnötig in Versuchung führen.

Löwenstein begann schließlich mit dem Abwickeln der Tagesordnung, sprach Belobigungen und Tadel aus und erinnerte ihre Untertanen noch einmal deutlich daran, wer die wirkliche Macht in Händen hielt. Fragen wurden gestellt und beantwortet, Rechtsstreitigkeiten entschieden und Berichte über die Fortschritte bei der Instandsetzung von Raumhafen und Hauptstadt abgeliefert. Die Höflinge entspannten sich nach und nach ein wenig und begannen wieder leise untereinander zu reden.

Lord David Todtsteltzer und Lord Kit Sommer-Eiland, der stille junge Mann, der auch unter dem Namen Kid Death bekannt war, beobachteten die Szenerie aus sicherer Distanz und erlaubten sich hin und wieder ein diskretes Gähnen. Das Schlimmste schien vorüber zu sein. Es hatte nach und nach aufgehört zu schneien, und der eisige Wind hatte sich gelegt, als würde sich inzwischen selbst das Wetter langweilen. Die Kälte war allerdings noch immer schneidend. Eine kalte Umgebung für zwei eiskalte junge Männer.

Kit Sommer-Eiland war zum Oberhaupt seiner Familie aufgestiegen, indem er einfach jeden umgebracht hatte, der zwischen ihm und dem Titel stand. Einschließlich seiner eigenen Eltern. Auf Verlangen der Herrscherin hatte er sogar seinen Großvater getötet, einen berühmten alten Krieger, doch das hatte ihm mehr geschadet als genutzt. Die Löwenstein hatte das Interesse an ihm verloren, als er ihr nicht mehr länger nützlich gewesen war. Daraufhin hatte Kit eine Weile mit dem Untergrund geliebäugelt, aber seit dem Debakel von Silo Neun dachte er darüber nach, sich wieder von den Rebellen zu distanzieren. Er erkannte einen verlorenen Posten, wenn er einen sah.

Und so war aus dem jungen Mann, der weithin Kid Death, der lächelnde Tod, genannt wurde, von vielen gehaßt und von niemandem geliebt, nach und nach ein Ausgestoßener und Paria geworden, selbst hier, in der Welt der Oberen Zehntausend, wo jeder jeden fraß. Kit war von schlanker Gestalt, gerade erst neunzehn Jahre alt, gekleidet in einen schwarzsilbernen Kampfanzug, mit einer blonden Mähne über einem blassen länglichen Gesicht, das von eisigen blauen Augen beherrscht wurde. Er bewegte sich wie ein Raubtier in einer Welt voller Beute. Kid Death. Der lächelnde Killer.

Neben ihm stand sein einziger Freund und runzelte nachdenklich die Stirn. David Todtsteltzer hatte den Titel als Oberhaupt seines Clans nach der Ächtung seines Vetters Owen

übernommen. Er war achtzehn, groß, muskulös, makellos gekleidet und attraktiv genug, um die Herzen einiger Schönheilen der Gesellschaft zu entflammen. Was ihm allerdings erst vor kurzer Zeit bewußt geworden war. Seither arbeitete er daran, sich eine Schneise durch die beeindruckenderen Reihen von Schönheiten seiner Generation zu bahnen. Seine Freundschaft mit Kit Sommer-Eiland verschaffte ihm einen gefährlichen Glanz, den er nur allzugerne ausnutzte.

Beide waren ein wenig überrascht gewesen, wie schnell sich ihre Freundschaft entwickelt hatte. Beide waren in jungen Jahren zu den Oberhäuptern ihrer Familien geworden, und beide hatten rasch herausgefunden, daß keine andere Familie sie respektierte. Beide duellierten sich schon beim geringsten Anzeichen einer Beleidigung, sowohl einzeln als auch gemeinsam, doch das hatte ihnen nur eine kalte Form von öffentlichem Respekt eingebracht. Sie empfanden nichts als Verachtung für die Intrigen, Ränke und Betrügereien, die einen Großteil der Familienpolitik ausmachten – nicht zuletzt auch deswegen, weil keiner von beiden die Geduld oder das Geschick besaß, selbst daran teilzunehmen. Sie hatten eine gewisse Anhängerschar in der Öffentlichkeit gefunden, indem sie sich – zum Entsetzen ihrer Standesgenossen – in der Arena jeder Herausforderung gestellt hatten, aber richtig populär waren sie dadurch nicht geworden. Der Sommer-Eiland wegen dem, was er seiner Familie angetan hatte und weil er ein verdammter mordgieriger Psychopath war, und David, weil er einen Namen trug, der zu einem Synonym für Verrat geworden war. Doch jeder der beiden hatte in dem anderen einen verwandten Geist entdeckt; Aussätzige, die von ihrer Gesellschaft zurückgestoßen wurden, junge Männer, die niemals zuvor die Erfahrung gemacht hatten, daß Freundschaft stärker verbinden konnte als Verwandtschaft, einander verschworen bis in den Tod und darüber hinaus. Sie standen in der Menge der versammelten Höflinge, von ihren Nachbarn ignoriert, und betrachteten nachdenklich den Hohen Lord Dram.

»Ich könnte es mit ihm aufnehmen«, sagte David. »Jeder von uns beiden würde einen besseren Obersten Krieger abgeben.«

»Sicher«, stimmte Kit ihm zu. »Aber du kriegst den Titel nur durch öffentliche Abstimmung, also vergiß es ruhig. Vielleicht würden sich die Dinge ändern, wenn wir eine außergewöhnlich tapfere und mutige Tat vollbrächten. Trotzdem würde man uns niemals einen Titel wie diesen verleihen. Kann sein, daß es demnächst Krieg gibt. Entweder gegen die Rebellen oder gegen die Fremden. In einem Krieg sehen die Dinge immer ganz anders aus.«

»Natürlich. Aber in einem Krieg besteht auch immer die Chance, daß man in einer Kiste nach Hause geschickt wird oder ein paar wichtige Körperteile verlorengehen, weil man zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gestanden hat. Der Krieg ist für meinen Geschmack viel zu launenhaft. Ich würde etwas weniger Dramatik bevorzugen.«

»Hallo, wen haben wir denn da?« rief Kit plötzlich. »Ich erspähe ein bekanntes Gesicht. Thomas LeBihan, Abgeordneter von Thornton Nord, so wahr ich hier stehe und atme. Unser gelegentlicher Gönner. Er tut so, als hätte er uns noch nicht gesehen. Komm, laß uns zu ihm gehen und ihn ein wenig in Verlegenheit bringen. Es ist nur zu seinem Besten.«

Kit und David setzten sich in Bewegung. Die Menge wich bereitwillig vor ihnen zurück. LeBihan ignorierte die beiden Herannahenden, solange er konnte, doch schließlich seufzte er resignierend, wandte sich zu ihnen um und verneigte sich leicht. Er war ein Bär von einem Mann mit einer faßförmigen Brust, trug einen Spitzbart und besaß einen guten Ruf als Schwertkämpfer, doch selbst er beugte sich vor dem schrecklichen Duo. Kit und David erwiderten den Gruß und lächelten LeBihan freundlich zu. Sein eigenes Lächeln wirkte ein wenig unglücklich und gequält. Kit und David hatten einen Bürgen benötigt, um Zutritt zur Arena zu erhalten, und sie hatten ihn ausgewählt, in ihrem Namen die notwendigen Formalitäten zu erledigen. Nicht, daß er eine andere Wahl gehabt hätte. Immerhin war er schlau genug gewesen, keine Diskussion in dieser Angelegenheit anzufangen.