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»Komm mit mir nach Virimonde«, wiederholte David. »Wir werden uns amüsieren, die Einheimischen wütend machen und Pläne schmieden, was wir mit Valentin und Konsorten anstellen, wenn sie schließlich in Ungnade fallen. Die Dinge ändern sich immer irgendwann.«

Genau in diesem Augenblick erschien aus dem Nichts ein Körper vor dem Eisernen Thron. Er stand auf seinen eigenen Beinen, den Kopf stolz erhoben, obwohl das Fleisch von den Knochen faulte. Löwenstein riß den Mund auf und wich ganz weit nach hinten in ihrem Sitz zurück. Das war der erste Hinweis darauf, daß es sich nicht um einen weiteren ›kleinen Scherz‹ der Herrscherin handelte. Der Körper wandte sich um und grinste die Höflinge an. Einige schrien entsetzt auf. Das faulig stinkende Geschöpf sah aus, als wäre es nach mehreren Wochen in der feuchten Erde wieder ausgegraben und zum Leben erweckt worden. Das totenblasse, rohe Fleisch hing ihm in Fetzen vom Leib, und an manchen Stellen schimmerten die Knochen durch. Der ganze Körper wurde nur durch glänzende Prothesen mit modernster Technologie zusammengehalten. Es war ein Geistkrieger, lebloses Gewebe, das von Lektronenimplantaten wieder zum Leben erweckt und gesteuert wurde. Ein Botschafter der KIs von Shub.

Am schlimmsten von allem war jedoch, daß vom Gesicht nicht mehr genug übrig war, um es zu erkennen. Der Körper hingegen gehörte eindeutig Jakob Wolf, Valentins ermordetem Vater. Ein schockiertes Flüstern erhob sich unter den Höflingen, als sie den Leichnam erkannten. Die Menschen blickten zu Valentin, um seine Reaktion zu beobachten.

Im neuen Oberhaupt des Wolf-Clans regten sich Überraschung und andere Gefühle, doch tief im Innern spürte er Erleichterung, daß das Geheimnis der verschwundenen Leiche seines Vaters endlich geklärt war. Ein Geistkrieger war schlimm, doch damit konnte er umgehen. Valentin hatte sich Schlimmeres ausgemalt, nachts, in seinen dunkelsten Träumen.

Davon abgesehen war er mehr neugierig als alles andere.

Trotzdem setzte der Wolf das schockierte und aufgebrachte Gesicht auf, das jeder von ihm erwartete.

Daniel und Stephanie stützten sich gegenseitig, die Gesichter beinahe so bleich wie das des Leichnams. Konstanze wollte zu ihrem toten Ehemann rennen, doch SB Chojiro und Investigator Razor hielten sie zurück. Sie redeten leise und schnell auf Jakobs Witwe ein, erklärten ihr, daß es nicht Jakob Wolf war, den sie dort erblickte, sondern bloß eine leere Hülle; verrottendes Fleisch, das durch Implantate und Prothesen zusammengehalten wurde. Schließlich nickte Konstanze. Sie gab ihren Widerstand auf und senkte den Blick. Tränen flossen über ihre Wangen, und ihre Schultern bebten. Die Chojiro tätschelte freundlich Konstanzes Arm, ohne den Blick auch nur eine Sekunde von dem Geistkrieger abzuwenden. Ihre schwarzen Augen zeigten mehr Faszination als Furcht.

Die Höflinge rannten kreuz und quer durcheinander. Beinahe wäre eine Panik ausgebrochen. Keiner von ihnen hatte je zuvor einen Geistkrieger in all seiner verrottenden Häßlichkeit gesehen, und das Dutzend bewaffneter Leibwächter, das hinter Löwensteins Thron auf ihren erschreckten Ruf hin aufgetaucht war, bot auch nicht viel Trost. Die KIs von Shub benutzten Geistkrieger als Sturmtruppen bei ihren gelegentlichen Angriffen auf das Imperium der Menschheit, sowohl wegen des psychologischen Effekts als auch wegen ihrer Effizienz als Soldaten. Selbst die härtesten Marineinfanteristen erstarrten, wenn sie die Leichen ihrer toten Freunde und Kollegen erblickten, die kamen, um zu töten. Hin und wieder benutzten die KIs sie auch als Emissäre, um mit dem Imperium in Kontakt zu treten.

Die Geistkrieger erschienen stets wie aus dem Nichts, ohne jede Vorwarnung und trotz aller Sicherheitsvorkehrungen. Die KIs von Shub hatten das Geheimnis der Langstreckenteleportation entdeckt, und selbst die besten ESP-Blocker konnten dis plötzliche Erscheinen eines Geistkriegers nicht verhindern.

Imperiale Wissenschaftler arbeiteten bereits seit Jahren an der Erforschung dieses Prinzips, bisher ohne jeden Erfolg.

Der Geistkrieger wandte sich ohne besondere Eile wieder um und grinste die Herrscherin breit an. Seine farblose Haut riß rings um den grinsenden Mund herum auf, und durch die Löcher in den Wangen konnte man deutlich die weißen Zähne sehen.

»Wir bitten um Verzeihung, daß wir so unangemeldet hereinplatzen«, sagte die Kreatur leise. »Anscheinend haben wir die Einladung verlegt. Wir haben Euch so viel zu sagen, Löwenstein. Die Zeiten haben sich geändert, und die Ereignisse sind in Bewegung geraten. Die Vorhersagen über die zukünftigen Entwicklungen und Möglichkeiten sind beunruhigend. Es ist erforderlich, daß wir unsere gegenseitige Feindschaft beenden und uns um des Überlebens willen zusammentun. Das Imperium muß sich unter unsere Kontrolle begeben, damit wir unsere vereinten Kräfte auf das vorbereiten können, was auf uns zukommt. Ihr habt alle gesehen, zu was allein diese eine Spezies bereits imstande ist. Und es gibt noch mehr. Sie kommen von der anderen Seite der Dunkelwüste, und sie sind viel fremdartiger und tödlicher, als Ihr Euch vorstellen könnt. Kreaturen, die schlimmer sind als jeder Alptraum des Fleisches, die über jedes Begriffsvermögen hinausgehen und die Menschen schon durch ihren bloßen Anblick in den Wahnsinn treiben. Ihr habt nicht die geringste Chance, allein mit ihnen fertig zu werden. Unterwerft Euch und übergebt uns die Herrschaft, so wie es von Anfang an hätte sein sollen, und wir werden die Menschheit zu einer Armee umformen, die unbesiegbar ist.«

»Und wie?« fragte die Eiserne Hexe tonlos. »Wollt Ihr uns alle zu Geistkriegern machen?«

»Das wäre zumindest eine Möglichkeit«, antwortete der Körper von Jakob Wolf. »Doch es gibt auch noch andere.«

Die Herrscherin und der Emissär argumentierten leidenschaftslos weiter, aber Valentin schenkte ihren Worten keine große Aufmerksamkeit. Er war insgeheim sehr verärgert, daß man ihn nicht vorher von diesem Ereignis in Kenntnis gesetzt hatte. Schließlich war er mit den KIs von Shub alliiert. Der Wolf hatte die geheimen Verbindungen der Feldglöcks übernommen. Als Gegenleistung für den neuen Hyperraumantrieb des Imperiums versorgten die KIs ihn mit weit fortgeschrittener Technologie, die es dem Clan ermöglichte, den Vorsprung vor seinen Konkurrenten zu behalten. Nicht, daß Valentin den KIs wirklich den Antrieb geben würde. Es könnte ihnen einen zu großen Vorteil gegenüber dem Imperium verschaffen. Andererseits wäre es ein höchst amüsanter Scherz auf Kosten Löwensteins. Er würde eine Menge dafür geben, ihr Gesicht zu sehen, wenn sie schließlich herausfände, von wem die KIs den Antrieb bekommen hatten.

Valentin schob den verlockenden Gedanken beiseite und zwang sich, die Szene vor seinen Augen aufmerksam zu verfolgen. Er betrachtete den Geistkrieger versonnen. Es war ganz definitiv sein Vater Jakob. Warum hatte sich Shub entschlossen, ausgerechnet ihn an den Hof zu senden? Versuchten sie etwa, ihm etwas mitzuteilen? Er würde darüber nachdenken müssen. Verstohlen zog er seine Pillenschachtel hervor, nahm ein weiteres Pflaster heraus und preßte es gegen den Hals. Sein Verstand mußte klar und scharf sein, schärfer als scharf. Valentin bemerkte, daß sein Herz gefährlich schnell zu schlagen begann, und nahm eine Pille, um seinen Kreislauf zu beruhigen.

Das hatte man von den ganzen Drogen. Greife hier in deinen Organismus ein, und der Organismus wehrt sich dort. Natürlich machte das einen wesentlichen Teil des ganzen Vergnügens aus: wie ein Seiltänzer auf dem schmalen Grat der Selbstbeherrschung zu balancieren. Und unten gähnte ein bodenloser Abgrund. Zu Valentins Linken entstand eine plötzliche Bewegung, und er wandte sich um. Sein jüngerer Bruder Daniel war aus der Menge hervorgetreten und stapfte durch den Schnee auf den Geistkrieger zu. Stephanie rief laut hinter ihm her, doch Daniel hörte nicht auf seine Schwester. Neben dem Körper des Vaters blieb er stehen. Der Geistkrieger musterte den jungen Wolf aus kalten Augen. Daniel streckte die Hand nach ihm aus, doch dann zögerte er.