»Dram, ich bin ja so froh, daß du es dir zuerst gemütlich gemacht hast. Mach dir nicht die Mühe, wegen mir wieder aufzustehen. Und nein, wir haben das verdammte Ding bisher noch nicht gefunden, danke für deine Nachfrage. Das ist alles, was mir jetzt noch gefehlt hat: weitere Komplikationen. An manchen Tagen geht aber auch wirklich alles schief.«
»Das solltest du wirklich am besten wissen«, erwiderte Dram. »Sag mir, wie ich war? War ich überzeugend? Werden die Leute glauben, daß ich der echte Dram bin?«
»Natürlich werden sie das«, entgegnete Löwenstein. »Und wenn der einzige Grund dafür der ist, daß sie die Alternative zu sehr beunruhigt. Sie werden denken, daß du der echte bist, weil sie nicht glauben wollen, daß ein Klon so nah an mich herankommen könnte. Sie werden annehmen, daß meine Sicherheitssysteme dich geprüft haben, und es dabei belassen. Solange ich sage, daß du Dram bist, spielt der Rest nicht die geringste Rolle. Die einzigen Menschen, die den Tod des früheren Dram erlebt haben, befinden sich an Bord der Unerschrocken, und sie brechen zu einer Mission auf, die sie für mehrere Jahre von Golgatha wegführen wird. Wenn ich ihnen erst die Rückkehr erlaube, sind ihre Neuigkeiten Schnee von gestern, und niemand wird noch einen Dreck darauf geben. Du wirst dich bis dahin längst bewährt haben. Ich werde persönlich dafür sorgen. Und wenn es sein muß, kann ich jederzeit Hirntechs auf Schwejksam und seine Mannschaft hetzen und ihre Erinnerungen entsprechend verändern lassen. Natürlich wäre es einfacher, wenn sie durch einen Unglücks fall sterben würden, aber im Augenblick sind Schwejksam und seine Leute beliebte Helden. Und man kann nie wissen, wann man einen Helden braucht.«
»Du brauchst keinen Helden«, sagte Dram. »Du hast schließlich mich.«
Die Herrscherin lächelte kalt. »Meine Leute berichten mir, daß du die Massenhinrichtung der Sicherheitsabteilung meiner Steuerbehörde noch immer nicht angeordnet hast.«
»Es scheint mir ein wenig zu hart«, erklärte Dram. »Sie hatten einfach Pech. Es war nicht ihre Schuld. Niemand hätte mit einem Schiff der Hadenmänner gerechnet.«
»Der alte Dram hätte sie, ohne ein Sekunde zu zögern, hinrichten lassen. Einige von ihnen hätte er sogar persönlich getötet, um die anderen zu entmutigen. Er hat den Namen Witwenmacher nicht umsonst, weißt du? Ich will, daß du noch heute die Exekutionen anordnest. Die Leute denken sonst noch, du wirst weich, und das kann ich nicht dulden. Also wirst du dir willkürlich hundert Mitarbeiter herauspicken, die öffentlich hingerichtet werden, und die Dienstältesten von ihnen wirst du persönlich töten. Das wird einen guten Eindruck machen.«
»Selbstverständlich, Euer Majestät. Gibt es sonst noch irgendwelche Besorgungen, die ich für Euch erledigen darf?«
»Werde nicht sarkastisch, Liebling. Es steht dir nicht. Wie kommst du mit deinem neuen Projekt voran?«
Dram überlegte einen Augenblick, wie er es ihr am besten beibringen sollte. Sie hatte ihn mit der Überwachung der Massenproduktion von ESP-Blockern beauftragt, bei der tote Esper aus dem Aufstand von Silo Neun als Rohmaterial eingesetzt wurden. Selbst unter Einsatz allermodernster Techniken war zur Herstellung eines einzigen Blockers noch immer ein vollständiges Esper-Gehirn erforderlich – weswegen ESP-Blocker auch so selten und kostspielig waren. Und unter Berücksichtigung der Massenschlachterei von Silo Neun gingen den Technikern bereits wieder die Gehirne aus. Erschwert wurde die Situation noch durch ein weiteres Projekt, das die Löwenstein ins Leben gerufen hatte und bei dem ebenfalls Esper-Gehirne benötigt wurden. Sie nannte es ›Legion‹, aber mehr wollte sie selbst Dram nicht darüber verraten.
»Ah ja«, sagte Dram, bevor die Pause ihn in Verlegenheit bringen konnte. »Hundertundeins Verwendungszwecke für einen toten Esper. Die Produktion von Blockern macht Fortschritte. Meine Wissenschaftler experimentieren auf deine Anordnung hin auch mit Hirngewebe, um eine Gedankenbombe herzustellen, die stark genug ist, um eine ganze Stadt auszulöschen, und an Denkmaschinen, wie sie auf Nebelwelt eingesetzt werden, die schneller und genauer arbeiten als unsere Standardlektronen… und an einer Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit selbst in unserem Sinn zu beeinflussen.«
»Deine Leute experimentieren bereits eine ganze Weile. Hast du bisher konkrete Ergebnisse vorzuweisen?«
»Nicht direkt… Wir haben nicht genügend Rohmaterial, um in der gewünschten Geschwindigkeit weiterzuarbeiten.«
»Dann töte noch ein paar Esper«, befahl Löwenstein. »Enttäusche mich nicht, Dram. Ich hasse den Gedanken, dich einstampfen und einen neuen Klon ziehen zu müssen.«
»Ja«, erwiderte Dram. »Ich auch.«
»Ich nehme an, du hast inzwischen in Erfahrung gebracht, daß Julian Skye bei seiner Flucht einen oder mehrere Helfer hatte?«
»Ja. Sehr unangenehme Geschichte, das.«
Löwenstein funkelte ihn wütend an. »Du hattest schon immer einen Hang zur Untertreibung. Skyes Flucht bedeutet einen herben Rückschlag, aber wir stehen natürlich nicht schlechter da als vor seiner Festnahme. Er hat einen Fehler begangen, und er wird irgendwann wieder einen begehen, und dann haben wir ihn. Und dann wird es keine Flucht in letzter Minute mehr geben. Zur Not lasse ich ihm die Beine abhacken, damit er nicht weglaufen kann. Im Augenblick interessiert mich allerdings mehr, wer ihm bei seiner Flucht geholfen hat. Die Überwachungskameras haben einige gute Aufnahmen von ihm. Es war ganz definitiv Finlay Feldglöck, ausgerechnet er! Der Modenarr. Ich konnte meinen eigenen Augen nicht glauben, als ich die Bänder zum ersten Mal gesehen habe. Der größte Stutzer unserer Zeit entpuppt sich als ruchloser Killer für den Untergrund! Das zeigt mal wieder, daß man wirklich niemandem mehr vertrauen darf. Komm, sieh dir die Bänder selbst an.«
Löwensteins Gesicht verschwand vom Schirm und wich den Aufnahmen der Sicherheitskameras aus dem Verhörzentrum.
Finlay Feldglöck kämpfte sich einen Weg durch eine kleine Armee von Wachen, die genausogut unbewaffnet hätten sein können, so wenig konnten sie ihm entgegensetzen. Ein Investigator, der wirklich gut in Form war, hätte es Finlay gleichtun können. Es war wirklich äußerst beeindruckend. Manchmal wurden die Aufnahmen in Zeitlupe wiederholt, um keine von Finlays Aktionen zu versäumen. Dram bemerkte, wie er auf die Kante seines Sessels gerutscht war vor lauter Faszination für Finlays Schwertkunst und Schnelligkeit. Die Aufnahmen endeten und wichen Löwensteins verkniffenem Gesicht. Dram lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück und bemühte sich um einen gelassenen Anschein.
»Gute Techniken«, sagte er ruhig. »Aber einige seiner Defensivbewegungen sind schon ein wenig rostig. Mir scheint jedoch, er hatte sie auch nicht nötig…«
Löwenstein schniefte verächtlich. »Wenn der Untergrund es schafft, einen modebesessenen Idioten wie diesen Feldglöck in einen erstklassigen Schwertkämpfer und Meuchelmörder zu verwandeln, dann sollten wir besser anfangen, ihn ernst zu nehmen. Weißt du, daß Finlay auch für den Mord an Lord Saint John verantwortlich ist? Natürlich bedeutet Saint John keinen großen Verlust. Er wurde politisch ein wenig zu ehrgeizig. Er wird uns als Märtyrer mehr nutzen als zu seinen Lebzeiten. Allerdings wirst du als Oberster Krieger einen Teil seiner Aufgaben übernehmen müssen, bis ich einen geeigneten Ersatz für Saint John gefunden habe. Was bedeutet, daß du häufiger mit Menschen in Kontakt kommen wirst – aber inzwischen solltest du das ohne Probleme durchstehen können. Sag nichts, wenn es nicht unbedingt sein muß, und übe dich darin, böse dreinzublicken, dann wird alles laufen wie geschmiert. Und jetzt zu Silo Neun. Ich habe gehört, wir hätten Schwierigkeiten beim Wiederaufbau? Was hast du dazu zu sagen, Dram?«