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»Der Wurmwächter ist tot, und wir haben nur noch die Würmer selbst, um die gefangenen Esper zu kontrollieren. Die Würmer scheinen eine Art dumpfes Kollektivbewußtsein geformt zu haben, das sie in die Lage versetzt, ihre Aufgabe wie früher zu erfüllen, indem sie die Gedanken der Esper durch Schmerzkonditionierung beherrschen, doch sie müssen dicht beieinander bleiben, um das zu tun. Was bedeutet, das die Kontrolle zusammenbrechen wird, wenn wir die Esper auf andere Gefängnisse verteilen. Und wir besitzen nicht annähernd genügend ESP-Blocker, um so viele Gefangene zu neutralisieren.

Also haben wir begonnen, Silo Neun rings um die existierenden Zellen wiederaufzubauen und die Esper so lange in ihren Zellen festzuhalten. Aber der Untergrund unternimmt alles in seiner Macht Stehende, um unsere Arbeiten zu sabotieren, und das bedeutet wiederum, daß wir zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz vor ihren Angriffen benötigen. Alles in allem haben wir ziemliches Glück gehabt, daß wir überhaupt schon so weit mit dem Wiederaufbau sind.«

»Die Würmer«, sagte Löwenstein nachdenklich. »Besitzen sie ein richtiges Bewußtsein? Als Individuen, meine ich.«

»Unbekannt«, erwiderte Dram. »Die Esper können uns nichts darüber sagen, und die technischen Scanner sind auf physikalische Phänomene beschränkt. Bisher befolgen die Würmer unsere Befehle, aber das ist auch schon alles. Sie sind ein wenig größer als früher und haben ganz offensichtlich weitere Verbindungen zu dem Wirtsgehirn errichtet, doch niemand weiß, wozu. Ich habe besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen, so daß die Würmer und ihre Wirte unter ständiger Bewachung stehen – nur für den Fall.«

»Gut so«, lobte Löwenstein. »Wir dürfen nicht zulassen, daß die Würmer zu mächtig werden, nicht wahr? Also schön, für den Augenblick scheint es, als hättest du deine Hausaufgaben gemacht. Ruh dich aus. Ich werde mich melden, wenn ich dich wieder benötige.«

Das Gesicht der Imperatorin verschwand, und der Schirm wurde wieder zu einer ganz normalen Wand. Endlich war Dram allein. Er seufzte schwer und sank in seinem Sessel zusammen. Das Überleben auf Golgatha war in diesen Tagen nicht gerade einfach, auch ohne ständig vorgeben zu müssen, daß man jemand anderes war. Obwohl das so nicht ganz stimmte. Er war tatsächlich Dram, und das in jeder denkbaren Hinsicht. Er besaß lediglich nicht Drams Erinnerungen. Der Klon hatte nur Zugriff auf seine aufgezeichnete Geschichte, einschließlich einiger Dinge, die selbst Löwenstein nicht wußte.

»Argus«, sagte er leise. »Melde dich.«

»Zur Stelle, Sir«, erwiderte seine persönliche KI. Die warme, angenehme Stimme schien aus jeder Ecke des Zimmers gleichzeitig zu ertönen – ein Umstand, an den Dram sich noch immer nicht gewöhnen konnte.

»Öffne das Tagebuch meines Vorgängers«, befahl Dram.

»Ich habe neue Fragen.«

Der echte Dram hatte den Verdacht gehabt, daß er eines Tages das Vertrauen der Eisernen Hexe verlieren oder sonstwie in Ungnade fallen könnte. Und wenn man bedachte, wieviel er über ihre privaten Vorlieben und Pläne wußte, würde sein Sturz ohne Zweifel zu einer raschen Exekution geführt haben. Und er war fest davon überzeugt gewesen, daß sie ihn anschließend klonen würde. Jedenfalls wäre es das gewesen, was er an ihrer Stelle getan hätte. Also hatte der echte Dram all seine geheimen Gedanken und Pläne in einer Tagebuchdatei tief in den Speichern seiner persönlichen KI versteckt – zusammen mit dem Befehl an Argus, seinen Klon zu informieren und zu instruieren, so daß seine Arbeit weitergehen konnte.

Der echte Dram hatte auch einen Plan, wie er seinen Tod rächen würde. Löwenstein war mit größter Wahrscheinlichkeit seine Mörderin, doch er hatte auch zahlreiche andere Feinde besessen. Das elektronische Tagebuch enthielt erschöpfende Ausführungen über Stärken und Schwächen all seiner Gegner, zusammen mit Vorschlägen, wie man sie am sinnvollsten ausnutzen konnte. Unglücklicherweise hatte der Klon keine Ahnung, wann und wie der echte Dram gestorben war. Nur Schwejksam und seine Mannschaft kannten die Fakten, und Löwenstein hatte sie streng isoliert. Bisher hatte sie sich geweigert, auch nur eine seiner Fragen zu beantworten, aber Dram bezweifelte nicht, daß er irgendwann die Wahrheit erfahren würde. Die Löwenstein, die er kennengelernt hatte, war nicht annähernd so verschlagen oder intelligent, wie die Eintragungen in dem elektronischen Tagebuch glauben machten.

Außer natürlich, er übersah etwas Wichtiges.

Da er keine eigenen Erinnerungen an sein ›früheres‹ Leben besaß, baute Drams Auftreten in der Öffentlichkeit notwendigerweise auf dem auf, was die Löwenstein ihm erzählte, und er hatte bereits die Erfahrung gemacht, daß sie ihm längst nicht alles erzählte. Die Dateien in Argus’ Speicher halfen ihm natürlich weiter, aber er war gezwungen, ihren Inhalt geheimzuhalten. Alles in allem fand er, daß er sich gar nicht so schlecht anstellte.

Als Prinzgemahl der Herrscherin hatte Dram natürlich die meiste Zeit über in ihrem Schatten gestanden und selten persönlich mit jemandem verhandeln müssen, wenn sie nicht zugegen gewesen war; trotzdem mußte er ständig auf der Hut sein. Er durfte sich keine Fehler erlauben. Die Stimmung gegen die Klone war schlechter als je zuvor, und er war der schlimmste Alptraum der Aristokratie: ein Klon, der eine Person in einer Machtposition ersetzte, und zwar so vollkommen, daß niemand es bemerkte. So etwas konnte jedem passieren. Und wie konnte Löwenstein ihre Höflinge besser unter Kontrolle halten, als wenn sie einen nach dem anderen durch Klone ersetzte? Im Augenblick lagen die Dinge so, daß jeder, der plötzlich seine Meinung in einer Angelegenheit änderte, und sei sie auch noch so unbedeutend, augenblicklich eine gründliche Befragung durch seine Standesgenossen zu erwarten hatte. Nur für den Fall, versteht sich.

Dram hatte seinen ersten Auftritt vor dem Hof gut hinter sich gebracht, aber jetzt, da Saint John tot war, würden seine Pflichten als Oberster Krieger ihn aus der relativen Sicherheit an der Seite der Imperatorin herausführen und mit weitaus mehr Leuten in Kontakt bringen als zuvor. Vielleicht war es besser, jemand anderen zu befördern, um die Rolle Saint Johns einzunehmen. Dram gefiel seine Stellung als Oberster Krieger nicht sonderlich. Und er mochte den Mann auch nicht, der er früher gewesen war. Das Bild Drams, das er durch Löwensteins Lektionen und aus den Tagebüchern gewonnen hatte, war das eines Mannes, der von Ehrgeiz und Blutdurst getrieben und von seinem Haß zerfressen worden war. Dram der Klon betrachtete sich als wesentlich zivilisierter als sein Vorgänger. Welche Mächte das Original auch immer zu solchen Extremen getrieben haben mochten – sie hatten den Prozeß des Klonens jedenfalls nicht überlebt.

Dram hatte von dem Doppelleben seines Vorgängers als Huth und von seinen Verbindungen zum Untergrund in den Tagebüchern gelesen. Zum Glück hatte Huth nur mit wenigen Leuten von Bedeutung zu tun gehabt: Valentin Wolf, Evangeline Shreck, David Todtsteltzer und Kit Sommer-Eiland. Sie kannten eine Seite des echten Dram, von der die Imperatorin nichts gewußt hatte, doch der Klon sah darin kein sonderlich großes Problem. Die beiden letztgenannten würden Golgatha spätestens in einigen Tagen verlassen, und Evangeline Shreck war offensichtlich ganz in den Untergrund abgetaucht. Damit war nur noch der Wolf übrig, und Dram hatte bereits entschieden, in sicherer Entfernung von ihm zu bleiben.