Dram der Klon war entschlossen, in jeder Hinsicht sein eigenes Leben zu führen. Er wollte nicht die dürftige Kopie eines Mannes sein, den er in vielerlei Hinsicht verachtete. Die Umstände zwangen ihn dazu, seine Rolle so überzeugend zu spielen, wie er nur konnte, im Augenblick zumindest. Seine Persönlichkeit durfte keine Widersprüche aufkommen lassen, um jeden aufflackernden Verdacht im Keim zu ersticken. Und obwohl er es haßte, das zuzugeben: Die Rolle war… angenehm.
Dram mochte seine Experimente an lebenden und toten Espern vielleicht als geschmacklos empfinden, doch er hatte keineswegs die Absicht, sich davor zu drücken. Oder vor den Exekutionen, auf denen Löwenstein bestanden hatte. Wenn schon nichts anderes, so schien er zumindest die Skrupellosigkeit seines Originals geerbt zu haben.
Dram suchte nach Auswegen aus seinem Dilemma und grub tiefer und tiefer in den Datenbanken der KI. Die erste große Überraschung, auf die er gestoßen war, war, daß sein Original ebenfalls eine Rolle gespielt hatte. Es schien, daß der echte Dram Jahrhunderte in Stasis verbracht und den Namen Dram erst angenommen hatte, nachdem die Imperatorin ihn geweckt hatte. Dram der Klon gefiel die Vorstellung, die Imperatorin hätte das Original mit einem Kuß erweckt, doch er mußte zugeben, daß die Wahrscheinlichkeit dafür eher gering war.
Eher schon mit einem Tritt. Es gab keine Informationen mehr, wer der Mann gewesen sein mochte, bevor er sich vor vielen Jahrhunderten in Stasis begeben hatte. Argus wußte es ebenfalls nicht. Vielleicht wußte es selbst die Imperatorin nicht.
Und fragen konnte Dram die Löwenstein auch nicht, weil er eigentlich gar nichts darüber wissen durfte. Sie hatte jedenfalls keinerlei Bemerkung in dieser Richtung gemacht, während er seine Lektionen erhalten hatte.
Die zweite Enttäuschung erlebte der Klon, als er entdeckte, daß er einen Großteil der Vorlieben und Leidenschaften Drams geerbt hatte. Löwenstein hatte ihn instruiert, wie man jemanden bei Hof tötet, sollte sich die Gelegenheit dazu ergeben. Als dann das Stichwort kam, hatte er sich einfach an das Drehbuch gehalten, das sie ihm gegeben hatte. Die Auseinandersetzung mit dem Abgeordneten war eine Exekution gewesen und kein Duell, doch Dram hatte jede einzelne Minute davon genossen.
Er war fast außerstande gewesen, wieder aufzuhören und sich von seinem Opfer abzuwenden, nachdem der Mann bereits lange tot gewesen war. Dram versuchte, deswegen Gewissensbisse zu entwickeln, doch irgendwie schien das Gefühl nicht echt.
Er schwankte noch immer, ob er mit der Esper-Droge experimentieren sollte wie sein Vorgänger. Der echte Dram hatte ein paar Dosen der Substanz in einem gut getarnten Versteck in seinem Quartier verborgen, für den Fall, daß ein zukünftiger Dram dafür Verwendung haben sollte. Die Droge würde dem Klon die gleichen schwachen Esperfähigkeiten verleihen, derer sich auch der echte Dram erfreut hatte – auf der anderen Seite bestand die kleine, aber nicht zu vernachlässigende Möglichkeit, daß die Droge ihn tötete. Und doch – wenn er sich diese Fähigkeiten nicht aneignete, könnte ein Esper der Eisernen Hexe jederzeit in seine Gedanken eindringen und ihm all seine sorgfältig gehüteten Geheimnisse entreißen. Einschließlich seiner wahren Gefühle Löwenstein gegenüber.
Auf der anderen Seite machte die Esper-Droge abhängig. Sobald er erst begann, sie einzunehmen, müßte er bis zu seinem Lebensende damit weitermachen. Und wenn irgend jemand die Kontrolle über die Produktion der Droge gewänne, besäße er auch die Kontrolle über Dram. Der echte Dram hatte seine Lieferanten in der Hand gehabt. Er hatte etwas über sie gewußt, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen durfte. Unglücklicherweise, aus welchem Grund auch immer, hatte der Klon keinerlei Angaben darüber in Argus’ Datenbanken gefunden.
Natürlich wußten Drams Lieferanten nichts davon. Noch nicht.
So viele Entscheidungen mußten getroffen werden. Auch die, ob er weiterhin die Imperatorin unterstützen sollte. Sie war diejenige, die alle Macht in Händen hielt, aber in letzter Zeit hatte sie sich eine Menge neuer Feinde geschaffen, weil sie stur darauf beharrte, immer weiter aufzurüsten. Bisher hatte niemand gewagt, Löwenstein die Stirn zu bieten und nein zu sagen, aber weder in der Armee noch in der Kirche oder unter den Familien konnte Dram auf Anhieb jemanden benennen, auf den Löwenstein noch als Freund zählen durfte. Alle hatten Angst vor ihr, aber aus den falschen Gründen. Wenn sie zu weit ging, würden die Aristokraten in Löwenstein eine größere Gefahr sehen als in den Fremden. Und wenn Löwenstein gestürzt würde, fiele er mit ihr. Außer natürlich, Dram ginge eigenmächtig ein paar geheime Allianzen ein. Immer angenommen natürlich, er fand jemanden, der ihm vertraute. Dram, der Witwenmacher, besaß viele Feinde und noch mehr Rivalen, aber eins besaß er nicht: Freunde. Kein guter Ausgangspunkt.
Insgeheim lagen Drams Sympathien beim Untergrund.
Schließlich war er ein Klon. Aber er sah keine Möglichkeit, wie er mit ihnen in Verbindung treten konnte, nachdem sein Original in seiner Verkleidung als Huth die Rebellen so hinterhältig verraten hatte. Vielleicht konnte Dram der Klon ebenfalls eine Tarnung aufbauen. Aber dazu benötigte er Esperkräfte, und die konnte ihm nur die Droge verschaffen. Er seufzte erneut und streckte sich in seinem Sessel. So viele offene Fragen, so viele Entscheidungen zu treffen, so viele Möglichkeiten – und alles, was er sich wirklich wünschte, war ein wenig Ruhe.
»Sir?« meldete sich Argus. »Ich erwarte noch immer Eure Fragen, Sir. Sir?«
Doch Dram der Klon war eingeschlafen. Die KI überlegte einen Augenblick, überprüfte, ob die Alarmanlagen und Sicherheitseinrichtungen ordnungsgemäß funktionierten, dämpfte die Beleuchtung und schaltete sich selbst herunter, bis ihre Dienste wieder benötigt werden würden.
KAPITEL V
EIN TREFFEN VON GESPENSTERN
Owen Todtsteltzer, der höchst bemerkenswerte Held und zögerliche Rebell, stand am Rand der Stadt der Hadenmänner, tief in den Eingeweiden der Wolflingswelt, und tappte ungeduldig mit dem Fuß. Er wartete nun bereits seit einiger Zeit auf Hazel D’Ark und war fest entschlossen, auch noch ein gutes Stück länger zu warten, wenn es sein mußte. Ihm wurde plötzlich bewußt, daß er seit einigen Wochen einen großen Teil seiner Zeit damit verbrachte, auf Hazel zu warten. Darauf, daß sie ihm die Gunst ihres Erscheinens erwies. Für jemanden, der ständig in Eile war, hatte Hazel eine überraschend schwach ausgeprägte Neigung zur Pünktlichkeit, ganz besonders dann, wenn andere Leute auf sie warteten. Sie würde bestimmt zu ihrer eigenen Beerdigung zu spät kommen, wenn sie dadurch sicher sein könnte, das letzte Wort zu haben. Hazel sollte sich hier mit Owen treffen, um gemeinsam mit ihm hinauf in die Festung zu teleportieren, die legendäre Fluchtburg des ersten Todtsteltzers, die noch immer im Orbit um die Wolflingswelt kreiste. Aber im Augenblick hielt Hazel sich in der Stadt auf.
Sie war mit irgend etwas beschäftigt, das er nicht wissen durfte, und Owen blieb nichts anderes übrig, als wie ein vergessener Blumenstrauß bei einer Hochzeit herumzustehen und auf Madame D’Ark zu warten. Er wußte, wo sie steckte; er konnte ihre Gegenwart durch die gemeinsame mentale Verbindung spüren. Aber in der letzten Zeit war diese Verbindung verschwommen und unsicher geworden, als hätte sich irgend etwas dazwischen gedrängt. Owen war davon überzeugt, daß es etwas mit ihren gelegentlichen Abstechern in die Stadt der Hadenmänner zu tun hatte. Vielleicht würde er ja diesmal herausfinden, was genau sie dort machte.
Owen seufzte und starrte einmal mehr auf das Chronoimplantat an seinem Handgelenk. Oben im Orbit, in der Großen Halle der alten steinernen Fluchtburg, die zugleich ein unglaublich starkes Raumschiff war, hatten sich Repräsentanten von Rebellen und Freiheitskämpfern aus dem gesamten Imperium zu einem großen Konzil versammelt, um die Zukunft der herannahenden Rebellion zu besprechen. Und er, Owen Todtsteltzer, steckte hier unten am Stadtrand fest und wartete auf Hazel. Er hätte natürlich auch ohne sie gehen können. Hazel hatte sogar darauf bestanden, daß er schon vorausging, aber Owen wollte verdammt sein, wenn er das auch täte. Sie führte etwas im Schilde, und Owen wollte wissen, was. Möglich, daß er sie liebte, aber das hieß noch lange nicht, daß er ihr weiter über den Weg traute, als ein zahnloser Mann gegen den Wind spucken konnte. Hazel D’Ark war Piratin und Klonpascherin gewesen, lange bevor sie sich dazu entschlossen hatte, die eher zweifelhafte Laufbahn einer Rebellin einzuschlagen. Und außerdem stimmte irgend etwas nicht mit ihr. Sie war in letzter Zeit so durcheinander gewesen. In der einen Minute fröhlich und voller Zuversicht, in der nächsten niedergeschlagen und deprimiert. Und wenn sie nicht schlecht gelaunt war, dann schien sie mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Was nicht vollkommen untypisch war für Hazel D’Ark. Doch in letzter Zeit war es immer schlimmer geworden, schlimm genug jedenfalls, daß Owen sich Gedanken zu machen begonnen hatte.