Owen hatte zaghaft versucht, sie daraufhin anzusprechen, aber ihr kalter Blick hielt ihn auf Distanz, genau wie jeden anderen auch. Wahrscheinlich war sie noch immer stocksauer, daß sie auf einer leeren und öden Welt festsaß, die Lichtjahre von jeder Zivilisation entfernt war. Hazel liebte den Luxus, und sie interessierte sich einen Dreck für Politik. Wenn man etwas nicht trinken, nicht essen und auch keinen Streit mit ihm vom Zaun brechen konnte, war es Hazel in der Regel egal.
Schließlich beendeten Owen und Hazel ihren Rundgang durch die Reihen der anwesenden Gäste und wandten sich der kleinen Selbstbedienungstheke zu, die Giles vorausschauend in einer Ecke der Halle aufgestellt hatte. Owen stützte einen Ellbogen auf den Tresen und seufzte. Seine Wangen schmerzten.
Er hatte seit Jahren nicht mehr so viel lächeln müssen. Hazel erlaubte ihm, ihr ein großes Glas auszuschenken, und betrachtete die Menge mit verdrießlichem Gesicht.
»Kennst du einige von diesen Leuten?« fragte sie Owen leise.
»Ich hasse den Gedanken, diese Schau für eine Bande von Nullen abgezogen zu haben.«
»Einige kenne ich tatsächlich«, antwortete Owen und hielt überrascht inne, um den exzellenten Jahrgang in seinem Glas mit gehobener Augenbraue zu betrachten. Irgendwo in der Festung schien es einen ganz außerordentlichen Weinkeller zu geben. Hazel kippte ihr Glas hinunter, als wäre darin ein billiger Claret. Owen unterdrückte ein schockiertes Zusammenzucken und fuhr fort zu sprechen.
»Eine Handvoll unbedeutenderer Lords sind anwesend, Vertreter verschiedener Clans und Gesellschaften, und ein paar unbedeutende Helden. Niemand von Jakob Ohnesorgs Klasse, aber es ist trotzdem gut, daß sie gekommen sind. Man nimmt uns also ernst. Hallo, seht mal dort! Ihr wißt sicherlich, wer das ist, oder?«
»Verdammt gut sogar«, brummte Hazel. »Investigator Topas von Nebelwelt. Der einzige wirklich mächtige Esper, der jemals zum Investigator ausgebildet wurde. Die stärkste Sirene, die es je im Imperium gegeben hat. Als sie abtrünnig wurde und nach Nebelwelt floh, schickten sie eine ganze Kompanie Soldaten hinter ihr her, und Topas tötete alle mit einem einzigen Lied. Und sie rettete Nebelwelt praktisch ganz allein, als das Imperium eine Typhus-Marie auf den Planeten schmuggelte. Ich kenne Topas nicht persönlich. Wir sind uns nie begegnet, aber ich kann nicht sagen, daß mir das leid tut. Man sagt, sie sei kalt wie Eis und doppelt so gefährlich. Ich fühle mich ihr gegenüber ziemlich deklassiert.«
»Das ist nicht nötig«, erwiderte Owen. »Schließlich ist sie zu uns gekommen, und nicht umgekehrt.«
»Guter Punkt«, sagte Hazel. »Aber wir sollten Ruby trotzdem von ihr fernhalten. Nur für den Fall.«
Owen und Hazel fuhren herum, als jemand Owens Namen rief, und ein Hologramm näherte sich mit breitem Grinsen. Ein dicker, selbstzufrieden wirkender Mann, ganz in bunte Seide gekleidet, kam vor Owen zum Stehen, verbeugte sich, grinste noch breiter und nickte Hazel zu. »Owen, mein lieber Junge!
Es tut gut, dich wiederzusehen.«
»Ich hätte wissen müssen, daß ich dich hier treffe«, erwiderte Owen. »Du verpaßt wirklich keine Gelegenheit, nicht wahr, Elias? Hazel D’Ark, erlaubt mir, Euch Elias Gutmann vorzustellen, Abenteurer und Profitmacher, ein verrotteter Ast von einem namhaften Baum. Seine Familie schickt ihm regelmäßig Geld, solange er verspricht, nicht nach Hause zu kommen. Er hat mit meinem Vater bei einigen seiner schmutzigeren Geschäfte zusammengearbeitet und Geld für seine Intrigen herbeigeschafft.«
»Sehr schmutzige, aber auch sehr profitable Geschäfte«, ergänzte Gutmann, noch immer grinsend. »Ich bin ja so froh zu sehen, daß du endlich in die Fußstapfen deines Vaters getreten bist, mein Freund. Meine Kollegen und ich erwarten große Dinge von dir.«
»Mein Vater hat nichts damit zu tun, daß ich hier bin«, widersprach Owen, und Hazel warf ihm einen überraschten Blick zu, als sie das Eis in Owens Stimme hörte. »Ich kämpfe aus meinen eigenen Gründen, und ich suche mir meine Freunde und Verbündeten selbst aus. Laßt Euch über Elias Gutmann aufklären, Hazel. Auf der Hälfte aller Planeten des Imperiums hat er seine Finger in jedem korrupten und illegalen Geschäft, das Ihr Euch vorstellen könnt. Kein Handel ist zu schmutzig, als daß er sich nicht eine Scheibe vom Profit abschneidet, und die einzigen Gesetze, die er noch nicht gebrochen hat, sind die, die ihm bisher nicht im Weg standen. Er verdient sein Geld am Leid anderer, und wahrscheinlich hat er genausoviel Blut an den Fingern wie die Löwenstein selbst.«
Gutmann lachte aus vollem Hals. »Wie schmeichelhaft, mein lieber Junge, wie schmeichelhaft! Aber ich bin nichts weiter als ein Geschäftsmann mit einem gesunden Blick für Profit. Dein Vater hatte nie etwas dagegen.«
»Ich bin nicht mein Vater«, entgegnete Owen.
»Das freut mich zu hören. Der alte Knabe war immer viel idealistischer, als ihm guttat, Gott sei seiner Seele gnädig. Er konnte sich nie die erste Regel für ein gutes Geschäft merken: Prinzipien dürfen einem guten Geschäft nie im Wege stehen. In Kriegszeiten gibt es stets eine Menge Geld zu verdienen, und ich habe die Absicht, mir mein Stück vom Kuchen und noch ein wenig mehr abzuschneiden. Paß auf, daß du nicht am Boden landest, Owen; vielleicht wirst du schon bald merken, daß ich und meinesgleichen für die Rebellion viel wertvoller sind als du. Finanzielle Unterstützung ist schwer zu bekommen, aber an Leuten, die dumm genug sind, den Helden zu spielen, hat es noch nie gemangelt.«
Gutmann lächelte, verbeugte sich und spazierte davon, während Owen noch verzweifelt über eine passende Antwort nachdachte. Er stand für einen Augenblick einfach nur da, schäumend vor Wut, und stieß schließlich seufzend den Atem aus.
Owen war noch nie besonders schlagfertig gewesen. Die richtige Antwort fiel ihm meist erst Stunden später ein, wenn schon alles vorbei war. Auf der anderen Seite machte es wenig Sinn, zu diesem frühen Zeitpunkt schon ärgerlich zu werden. Ganz ohne Zweifel würden noch andere derartige Situationen während der Versammlung auf ihn zukommen, wenn die Diskussionen hitzig und leidenschaftlich wurden.
Owen murmelte zu Hazel, er habe jemanden gesehen, den er kannte, und mischte sich unter die Leute. Er brauchte ein wenig Zeit für sich selbst. Bekannte Gesichter tauchten ringsum auf, während Owen sich durch die angeregt schnatternden Holos drängte wie der einzige lebende Mensch auf einer Versammlung von Geistern. Die Menschen nickten Owen zu und lächelten, aber er gab vor, es nicht zu bemerken. Er war nicht in der Stimmung für Politik. Dann weckte ein unerwarteter Gast Owens Aufmerksamkeit, und er hielt für einen Augenblick inne, um das tätowierte Gesicht des Mannes zu betrachten, der sich mit Giles unterhielt. Offensichtlich war Investigator Topas nicht die einzige Vertreterin von Nebelwelt. Owen war dem Mann namens Chance bereits früher begegnet, im Abraxus-Informationszentrum auf Nebelwelt, wo junge Esper gegen Bezahlung alles in Erfahrung brachten und verrieten. Einer dieser Esper hatte behauptet, Owens Zukunft gesehen zu haben.
Ich sehe dich, Owen Todtsteltzer. Das Schicksal hält dich in seinen Fängen, sosehr du dich auch sträubst. Du wirst ein Imperium zu Fall bringen, und du wirst das Ende von allem erleben, an das du je geglaubt hast. Du wirst alles aus Liebe tun, einer Liebe, die du nie erfahren wirst. Und wenn es vorüber ist, dann stirbst du – allein, weit weg von allen Freunden und ohne Beistand oder Hilfe.
Owen spürte ein plötzliches Frösteln. Würde er lange genug atmen, um das Ende der Rebellion zu erleben, die er angezettelt hatte? Würde es irgend etwas ändern, wenn er vor seiner Bestimmung davonlief? Er zuckte unbehaglich die Schultern. Seine Überzeugung und Ehrenhaftigkeit hatten ihn bis hierher geführt, und sie würden ihn auch noch weiter bringen. Owen Todtsteltzer war jetzt ein Teil der Rebellion, was es auch kosten mochte. Und Chance hatte selbst zugegeben, daß sein junger Esper sich bei seinen Wahrsagungen genauso oft irrte, wie er die Wahrheit sagte. Und selbst wenn er den eindeutigen Beweis in der Hand gehalten hätte, daß Owen sterben würde – Owen hätte trotzdem nicht seine Pläne geändert. Er hatte den verfaulten Unterbau des Imperiums gesehen. Er hatte gesehen, wie der Luxus weniger durch das Leid Unzähliger erkauft wurde, und jetzt, nachdem er es gesehen hatte, konnte er den Blick nicht mehr abwenden. Zu seiner eigenen Überraschung war er ein Mann von Ehre geworden. Und wer wußte schon – vielleicht war Owen ja tatsächlich ein Held. Ganz egal, was kommen würde – er mußte Löwensteins Fall sehen, bevor er starb.