Koste es, was es wolle.
Hazel D’Ark blickte Owen hinterher, als er sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Sie biß die Zähne zusammen, damit niemand das Beben ihrer Lippen bemerkte. Hazel verschränkte die Arme vor der Brust, die Hände zu Fäusten geballt. Ihr Verlangen war größer als je zuvor, und es nagte heftig an ihrer Selbstkontrolle. Sie war froh, daß Owen gegangen war. Sie wußte nicht, ob sie es noch lange vor ihm hätte verbergen können. Hazel blickte sich so gelassen um, wie sie konnte, doch niemand schien sie im Augenblick zu beachten. Sie zwang ihre Hände zur Ruhe und goß sich ein neues Glas Wein aus. Plötzlich war es ganz einfach, die kleine metallene Flasche hervorzuziehen, die der Hadenmann ihr gegeben hatte, den Verschluß abzuschrauben und einen winzigen Tropfen des Inhalts in das Glas zu geben.
Hazel verschoß die Flasche sorgfältig und steckte sie wieder ein. Niemand hatte etwas bemerkt. Und wenn doch, so hätte niemand verstanden, was er gesehen hatte. Da war sie absolut sicher. Für den Augenblick jedenfalls. Hazel blickte auf den Wein in ihrem Glas. Er sah vollkommen harmlos aus, und der Tropfen begann sich bereits mit der restlichen Flüssigkeit zu vermischen. Sie schwenkte das Glas, um den Vorgang zu beschleunigen, doch dann konnte sie nicht mehr länger warten.
Hazel nahm einen tiefen Schluck und grinste breit, als die Wärme sich in ihrem Körper ausbreitete. Blut war ein fabelhafter Stoff, und selbst eine so geringe Menge reichte aus, um ihr Verlangen danach zu stillen. Hazel zwang sich dazu, den Rest des Weines langsam zu trinken, und ein behagliches Wohlbefinden erfüllte sie. Ihr Grinsen wurde breiter. Sie fühlte sich stark, selbstsicher und bereit, es mit dem gesamten verdammten imperium aufzunehmen. Und wichtiger noch, Hazel fühlte sich wieder wie ein Mensch. Jedenfalls so sehr, wie man sich nur als Mensch fühlen konnte, wenn man süchtig nach Wampyrblut war.
Die Wampyre. Angepaßte Menschen, die das Imperium als seine neuen Sturmtruppen hatte einsetzen wollen. Als Ersatz für die rebellischen Hadenmänner. Um einen Wampyr zu produzieren, tötete man einen gewöhnlichen Mann, indem man einfach sein Blut absaugte, und füllte anschließend seine Adern mit einer künstlichen Flüssigkeit, bevor man ihn wiedererweckte. Das Resultat war ein viel stärkerer, schnellerer Mann, der außerdem ein gutes Stück schwerer zu töten war… und schwierig zu kontrollieren. Die Wampyre hatten ihren Herren mehr Schwierigkeiten bereitet, als sie genutzt hatten, und so war das Projekt zögerlich wieder eingestellt worden. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten ein paar Leute bereits einen anderen Verwendungszweck für die synthetische Flüssigkeit in den Adern der Wampyre gefunden. Es war eine stärkere Droge als alles, was die Menschheit bis dahin gekannt hatte. Es machte einen zum Übermenschen, genau wie die Wampyre, zumindest für kurze Zeit. Und nachdem das Gefühl abgeklungen war, tat man alles, um wieder in diesen Zustand zu geraten. Wampyrblut machte süchtig.
Hazel hatte ihre ersten Erfahrungen damit auf Nebelwelt gemacht. Sie war in einer Beziehung gelandet, an die sie lieber nicht zurückdachte. Der Wampyr namens Luzius Abbott hatte sie mit den dunklen Freuden seines Blutes bekanntgemacht. Sie hatte die Beziehung wieder beendet, doch von der Sucht loszukommen hatte ein gutes Stück länger gedauert. Beinahe hätte es sie umgebracht. Aber schließlich hatte Hazel es geschafft, vielleicht nur aus dem einen Grund, daß sie niemandes Sklavin sein wollte, auch nicht ihre eigene.
Doch heute hatte das Blut sie wieder in seinem Griff, und das alles war allein Owens Schuld. Er hatte Hazel in diese verdammte Rebellion mit hineingezogen, und er hatte nicht bemerkt, wie sie unter dem konstant auf ihr lastenden Druck von ständiger Flucht und Gefahr langsam zerbrach. Schließlich war alles zuviel geworden, und sie hatte dem Druck nachgegeben.
Hazel war nie besonders stark gewesen. Sie hatte immer irgendwelche Mittelchen benötigt, die sie unterstützt hatten, gleichgültig, ob es sich dabei um Alkohol, Drogen oder beschissene Bekanntschaften gehandelt hatte.
Auf der Wolflingswelt hatte Hazel gedacht, sie würde verrückt werden, und nichts hatte ihr Erleichterung verschafft – bis sie sich daran erinnert hatte, daß die Hadenmänner noch immer die gefangenen Wampyre in ihrer Gewalt hatten, die die Imperiale Streitmacht hatte zurücklassen müssen. Die Hadenmänner waren von ihren Nachfolgern fasziniert gewesen und hatten sie zu weiteren Untersuchungen mit in ihre Stadt genommen. Niemand hatte die Wampyre seither gesehen.
Also war Hazel in die Stadt gegangen, hatte sich mit den Hadenmännern getroffen und sie ohne Umschweife nach dem Blut gefragt. Die aufgerüsteten Männer hatten sich sehr verständnisvoll gezeigt. Sie versorgten Hazel mit allem Blut, nach dem sie verlangte, immer nur in kleinen Portionen, und sie redeten niemals über einen Preis. Hazel zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß die Hadenmänner irgendwann einen Preis fordern würden, doch im Augenblick konnte sie sich nicht dazu durchringen, einen Dreck darauf zu geben oder auch nur darüber nachzudenken, woher das Blut stammte. Das Blut erlöste sie von dem unerträglichen Druck, und das war alles, was zählte. Für eine Weile hatte Hazel geglaubt, der Zorn, den sie im Labyrinth des Wahnsinns von Owen geerbt hatte, würde einen Ersatz abgeben, doch er hielt nie lange genug an, und er besaß seine eigenen Gefahren. Das war typisch Owen. Er ließ einen immer genau dann im Stich, wenn man ihn wirklich brauchte.
Hazel wußte natürlich, daß das nicht stimmte, doch es war ihr egal. Sie brauchte einfach jemanden, dem sie die Schuld geben konnte. Im Augenblick wußte niemand von ihrem Handel mit den Hadenmännern. Sie hatten versprochen, es für sich zu behalten. Irgendwann würde die Wahrheit ans Licht kommen, doch der Zeitpunkt lag weit in der Zukunft, und in diesen Tagen benötigte Hazel all ihre Kraft, um allein mit dem fertig zu werden, was in der Gegenwart lag.
Die Versammlung kam schließlich schleppend in Gang. Jakob Ohnesorg hatte den Vorsitz. Er stand auf einem kleinen Podest, wo jeder ihn sehen konnte, und begann, laut und deutlich zu sprechen. Er mochte nicht mehr sonderlich eindrucksvoll aussehen, doch seine Stimme war noch immer so scharf wie der Knall einer Peitsche, und er besaß die Gabe, seine Worte mit natürlicher Autorität zu verbinden. Das Stimmengemurmel wurde leiser und wich einem erwartungsvollen Schweigen, als Ohnesorg allen für ihr Kommen dankte. Er stellte sich und ein paar andere prominente Gesichter vor und eröffnete anschließend die allgemeine Diskussion. Es war für niemanden weiter überraschend, daß Elias Gutmann als erster die Stimme erhob.
»Bevor wir beginnen, liebe Freunde, möchte ich die Gelegenheit nutzen und feststellen, daß der Anschlag auf die Steuerbehörde unserer Sache einen Bärendienst erwiesen hat. Wegen dieses Anschlages waren die Schilde Golgathas unten, als das Schiff der Fremden angriff, und jedermann gibt uns die Schuld für die vielen Toten und die Schäden, die der Angriff verursachte. Es wird jetzt sogar noch schwerer werden als zuvor, unter der Bevölkerung breite Zustimmung für unsere Sache zu finden.«
»Das ist nicht fair!« protestierte Hazel. »Woher sollten wir denn wissen, daß ein fremdes Schiff kommen und angreifen würde? Wir haben nur getan, was wir alle gemeinsam beschlossen hatten, und wir haben dabei unser eigenes Leben riskiert, wie ich hinzufügen möchte. Außerdem haben wir alles erreicht, was man uns aufgetragen hat. Wenn du glaubst, das ist nicht gut genug, dann mach es doch beim nächsten Mal selber!«