Lonely-Lokleys Miene verfinsterte sich.
»Das ist kein Ruhmesblatt, Max. Er - also ich ... ich hab die ganze Zeit Mau-Mau gespielt. Das war sehr schön. Aber eigentlich wollte ich dich fragen, ob du noch Geld bei dir hattest, als wir uns trennten. Ich hab nämlich keins mehr.«
»Hast du alles verspielt?«, fragte ich und lachte so unbändig, dass ich mich auf den Boden setzen musste.
»Wirklich alles? Wie lange hast du denn gespielt? Ein Jahr? Zwei?«
»Zwei Tage und zwei Nächte«, meinte Lonely-Lokley kühl. »Aber eine Partie dauert nicht länger als zwölf Minuten.«
»Verstehe. Was mich betrifft, habe ich noch drei Kronen und etwas Kleingeld. Aber das macht nichts, denn ich bin das bescheidene Leben gewöhnt. Wenn alle Stricke reißen, können wir jemanden umbringen oder klauen gehen. Du kannst doch stehlen, oder? Bestimmt kannst du das.«
»Allzu schwer ist das ja nicht«, sagte er wichtigtuerisch. »Aber ich glaube kaum, dass es korrekt wäre. Wir dienen dem Gesetz, falls du das noch nicht vergessen hast.«
»Na ja«, meinte ich und räusperte mich. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Mein von vielen Wundern ermüdeter Geist suchte schon lange eine Gelegenheit zu einem mittelgroßen hysterischen Anfall. »Schürf, du bist herrlich. Wirklich tapfer. Und ich bin ein Idiot. Ich hatte schon überlegt, einen Teppichladen auszurauben. Na schön, leben wir also weiter bescheiden. Das hat auch Vorteile - das weiß ich genau. Und ich hab einige Bücher darüber gelesen.«
»Du bist sehr generös, Max«, sagte Lonely-Lokley. »Ich glaube, du hättest allen Grund, ärgerlich zu sein.«
»Ich bin doch nicht generös! Ich hab einfach wichtigere Probleme. Außerdem bin ich selbst schuld. Warum bin ich auf die Idee gekommen, dir dieses Kraut anzubieten?«
»Jedenfalls hat dein Geschenk mir große Freude gemacht«, stellte Schürf fest. »Jeder hat das Recht, sich von sich zu erholen - auch wenn es nur selten geschieht.
Aber du hast dieses wunderbare Mittel nicht immer, stimmt's.«
»Natürlich nicht. Hast du schon vergessen, wie erstaunt ich war, als ich es unter dem Kissen hervorgezogen habe?«
»Verstehe. Aber wenn dir so was wieder in die Hände gerät, wirf es bitte nicht weg, sondern bewahr es für mich auf. Das kann allerdings ein paar Dutzend Jahre dauern.«
»Wenn du so lange warten kannst, komm ich bis dahin vermutlich an alles Mögliche«, sagte ich selbstgewiss. »Hast du keine Lust, schon früher wieder so einen Spaß zu erleben?«
»Bei allen Magistern, Max - wie kommst du denn darauf? Sich ein wenig von sich zu erholen, ist nicht zu verachten, aber zu oft sollte man das nicht tun.«
»Du bist erschreckend weise, Schürf. Das ist beinahe zum Verrücktwerden. Stört es dich, wenn ich mich aufs Sofa lege? Ich hab mich daran gewöhnt, hier zu schlummern, und mir fehlt im Moment die Kraft, ins Schlafzimmer zu gehen. Weck mich bitte in zwei, drei Stunden. Nach einer so großen Portion Balsam reicht das vollkommen, und ich hab viel zu tun.«
Mit diesen Worten schloss ich die Augen und verabschiedete mich von allen Welten. Träume hatte ich keine. Ich spürte nur einen unendlichen Augenblick vollkommener Ruhe.
Als ich erwachte, lag das Wohnzimmer bereits im Halbdunkel. Durchs Fenster sah ich den hübschen grünlichen Mond langsam und triumphal am Horizont aufziehen und blickte mich erstaunt um. Lonely-Lokley hielt seinen Schaukelstuhl an. Womöglich hatte er sich mit seiner Atemgymnastik beschäftigt.
»Aber Schürf«, meinte ich gereizt. »Ich hatte dich doch gebeten, mich zu wecken. Bist du jetzt auch noch vergesslich?«
»Ich hab's ja versucht«, entgegnete Lonely-Lokley. »Nach drei Stunden - genau, wie du gesagt hast. Offen gestanden hätte ich nie gedacht, dass du so fluchen kannst, und habe mindestens die Hälfte deines Geschimpfes nicht begriffen, mir aber alles aufgeschrieben. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir bei Gelegenheit mal die Bedeutung deiner Tiraden erklärst.«
»Du hast sie aufgeschrieben? Sündige Magister - was hab ich denn so gequatscht? Gib mir mal deine Liste.«
»Es ist schon ziemlich dunkel. Ich muss Licht machen. Soweit ich weiß, kannst du im Finstern nicht lesen.«
»Ach, das geht schon.«
Ich bekam einen Zettel mit Lonely-Lokleys schön geschwungener Handschrift ... Oje! Manche Ausdrücke hatte ich nicht mal in den schlimmsten Momenten meines bewussten Lebens benutzt.
»Ach, Schürf, ich schäme mich so! Hoffentlich glaubst du nicht, dass ich das wirklich gemeint habe.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Max. Ich weiß sehr gut, dass Menschen im Schlaf alles Mögliche reden, aber ich wüsste gern, was die Worte bedeuten.«
»Gut«, seufzte ich. »Ich wasch mich schnell, dann gehen wir essen. Ehrenwort: Ich muss mir Mut antrinken -jedenfalls, wenn du eine vernünftige Übersetzung hören willst.«
»Ein sehr guter Vorschlag«, sagte Schürf nickend. »Hunger habe ich - ehrlich gesagt - auch.«
»Leider hab ich nur noch ein paar Groschen im Mantel. Aber keine Sorge - das bekommen wir schon hin.«
Nach einer halben Stunde saßen wir im Runden Tisch, wo ich kürzlich wunderbar gefrühstückt hatte. Wie sich herausstellte, schmeckte es dort abends noch besser. Auf alle Fälle hatte ich schon genug Zeit im Alten Haus verbracht, und wenn man unserer Vermieterin glauben konnte, gab es in unserer Ecke nichts Besseres. Und was das Alt-Kettari betraf, ging ich dort zwar gern hin, aber lieber allein.
Ich begann mit einem Krug Kamra und einem Gläschen Likör. Ich nehme ungern einen Aperitif, aber ich musste unbedingt die Rückkehr meines Freundes feiern. Und ich musste mich locker machen, um ihm all die schrecklichen Worte vorlesen und erklären zu können.
Als ich entspannt genug war, nahm ich den Zettel wieder zur Hand. Der neugierige Schürf rückte interessiert näher.
»Na ja, eigentlich ist das nichts Besonderes. Dieses Wort hier zum Beispiel bedeutet ein weibliches Schwein. Und das ... wie soll ich sagen, Schürf, das hat mit Verdauung zu tun ... Und dieses Wort hier, tja, da geht's um Vermehrung.«
»Das klingt wirklich kompliziert.«
»Tatsächlich? Soll ich trotzdem weitermachen?«
»Aber natürlich!«
»Also schön. Dieser Ausdruck hier bedeutet eigentlich nur »Geh weg!*, und mit diesen Worten da äußert man Zweifel, ob eine Person sich vermehren kann. Und dieses hier, weißt du, bezeichnet jemanden, der nicht besonders klug ist.«
»Und welche Probleme hat ein Mensch, dem dieses Wort hier an den Kopf geworfen wird?«
»Schwer zu sagen«, meinte ich verlegen. »Weißt du, Schürf, das ist mir - den Magistern sei Dank! - noch nicht passiert.«
Eine Viertelstunde später war das Verzeichnis abgearbeitet. Je näher wir dem Ende kamen, desto peinlicher wurde es mir. Aber Sir Lonely-Lokley war zufrieden, und das war das Wichtigste.
»Ich gehe jetzt schlafen, wenn du keine anderen Pläne für die Nacht hast«, sagte mein Freund unentschlossen.
Wir hatten das nette Wirtshaus verlassen, und ich überlegte gerade, wie ich mich taktvoll von ihm verabschieden konnte. Ich hatte nämlich eine Verabredung im Alt-Kettaii, wo ich mich mit Sir Machi Ainti weiter unterhalten wollte.
»Tu das, Schürf«, sagte ich erfreut. »Ich habe zwar Pläne für die Nacht, aber ...«
»Verstehe - es ist besser, dass du sie ohne mich angehst. Ich hau mich dann mal aufs Ohr.«
»Prima. Schlaf ist etwas Herrliches. Ich hoffe, all die Schimpfworte haben dich nicht schockiert.«
»Aber warum denn, Max?«, fragte Lonely-Lokley erstaunt. »Worte sind immer nur Worte. Selbst wenn du so was im Wachzustand gesagt hättest, hätte ich das eher lustig gefunden.«
»Mir fällt ein Stein vom Herzen. Also Gute Nacht, Schürf. Ich hoffe, diesmal komme ich früher zurück als nach vier Tagen. Ich habe noch zwei Kronen übrig. Nimm also eine davon. So wirst du jedenfalls nicht verhungern.«
»Ich hoffe sehr, dich morgen wiederzusehen«, sagte Lonely-Lokley. »Vielen Dank, Max. Du bist wirklich fürsorglich.«
Diesmal hatte ich keine Lust, mit den vielen Stadtplänen zu kämpfen. Und das brauchte ich auch nicht, denn ich erinnerte mich noch ganz gut an den Weg zum Treffpunkt.