»Sie hatten es auf die Herde abgesehen«, sagte Chmeee.
»Ja. Wir können nicht zusehen, wie sie die Herde abschlachten. Du bleibst hier und bedienst die Kanone, während ich mit diesen Leuten verhandle.«
»Ich nehme von dir keine Befehle entgegen, Louis.«
»Hast du einen anderen Vorschlag?«
»Nein. Aber laß wenigstens einen von den Riesen übrig, damit wir ihn verhören können.«
Dieser Riese lag auf dem Rücken. Er hatte nicht nur einen Bart, sondern eine Bartmähne: nur seine Augen und seine Nase schauten aus der goldenen Haarflut heraus, die Gesicht, Kopf und Schultern bedeckte. Ginjerofer kauerte neben ihm und zwang ihm mit ihren kleinen Händen die Kiefer auseinander. Die Kieferknochen des Kriegers waren gewaltig. Das Gebiß bestand durchweg aus flachkronigen Mahlzähnen, die erheblich abgenützt waren.
»Siehst du«, meinte Ginjerofer, »er ist ein Pflanzenfresser. Sie wollten unsere Herde töten, um ihnen das Gras wegnehmen zu können.«
Louis schüttelte den Kopf. »Ich hätte nicht geglaubt, daß der Konkurrenzkampf um das Grünfutter hier so groß ist.«
»Wir wußten es selbst nicht. Aber sie kommen von spinnwärts, wo unsere Herden das Gras abgeweidet haben. Ich danke dir, daß du sie für uns getötet hast, Louis. Wir müssen ein großes Fest veranstalten.«
Louis' Magen drehte sich um bei diesem Gedanken. »Sie schlafen nur. Und es sind intelligente Wesen wie du und ich.«
Sie blickte ihn groß an. »Aber ihr Verstand war doch auf unser Verderben ausgerichtet!«
»Aber wir überwältigten sie. Und deshalb bitten wir, sie am Leben zu lassen.«
»Und was sollen wir tun, wenn wir sie aufwachen lassen?«
Das war tatsächlich ein Problem. Louis improvisierte: »Wirst du sie am Leben lassen, wenn ich dafür eine Lösung finde? Vergiß nicht, daß es unsere Kanone war, die sie einschläferte.« Das war eine versteckte Drohung an Ginjerofer, daß Chmeee die Kanone auch gegen das Dorf verwenden konnte.
»Wir werden darüber beraten«, erwiderte Ginjerofer.
Louis wartete. Vierzig pflanzenfressende Riesen würden niemals im Landungsboot Platz finden. Man konnte sie natürlich entwaffnen. Louis mußte grinsen, als er das Schwert in der breiten Pranke des Riesen betrachtete. Die lange gebogene Klinge war eine vorzügliche Sichel.
Ginjerofer kam zu ihm zurück. »Sie dürfen am Leben bleiben, wenn wir ihren Stamm nie mehr zu Gesicht bekommen. Kannst du uns das versprechen?«
»Du bist eine intelligente Frau. Ja, sie könnten Verwandte haben, die der Blutrache verpflichtet sind. Ja, und ich kann dir versprechen, daß du diesen Stamm nie wieder sehen wirst.«
Chmeee meldete sich im Ohrstöpseclass="underline" »Louis? Vielleicht mußt du den ganzen Stamm ausrotten!«
»Nein, das kostet viel Zeit, und schau dir doch diese Riesen einmal an! Es sind Bauern. Sie können uns nichts anhaben. Schlimmstenfalls werde ich sie dazu zwingen, ein großes Floß zu bauen, und wir werden es mit dem Landungsboot auf den See hinausschleppen. Die Sonnenblumen haben die Flußgrenze noch nicht überquert. Wir werden sie in sicherer Entfernung der Sonnenblumen an einer Stelle wieder an Land setzen, wo Gras wächst.«
»Weshalb? Auch das wird uns ein paar Wochen Zeit kosten!«
»Für Informationen, Chmeee.« Louis drehte sich wieder Ginjerofer zu. »Ich brauche den Burschen, der die Rüstung trägt. Und ich möchte alle ihre Waffen haben. Du darfst ihnen nicht einmal ein Messer lassen. Such die von den Waffen aus, was du gerne haben möchtest. Aber alles andere verladen wir in unserem Schiff.«
Sie betrachtete unschlüssig den gepanzerten Riesen. »Wie sollen wir ihn von der Stelle bewegen?«
»Ich habe dafür ein Transportmittel. Eine Repulsionsplatte. Wenn wir den Riesen fortgeschafft haben, fesselt ihr die anderen Pflanzenfresser. Laßt sie nur paarweise wieder frei. Erzähl ihnen, wie die Sache steht. Und schicke sie nach spinnwärts, wenn es hell geworden ist. Wenn sie zurückkommen und dein Dorf ohne Waffen angreifen, gehören sie euch. Aber ich bin sicher, sie werden das nicht tun. Eure Herden haben nur Grasstoppeln übriggelassen, und sie haben keine Waffen. Sie werden sich beeilen, damit sie so rasch wie möglich wieder eine Futterstelle erreichen.«
Sie erwiderte nachdenklich: »Dein Vorschlag scheint vernünftig zu sein. Wir werden uns daran halten.«
»Und wir werden sie an ihrer neuen Lagerstelle erwarten, wo sie auch sein mag. Wir werden lange vor ihnen dort sein, Ginjerofer.«
»Wir werden ihnen nichts tun. Ich verspreche es im Namen meines Volkes«, erwiderte sie kalt.
Der gepanzerte Riese erwachte kurz nach Tagesanbruch. Er öffnete die Augen, blinzelte und starrte dann den Koloß aus orangefarbenem Fell an, der seinen Blick aus gelbglitzernden Augen erwiderte. Er blieb ganz still liegen, während er seine Augen umherschickte. sah die Waffen seiner dreißig Kameraden neben sich aufgeschichtet. sah die Luftschleuse, deren Schotts geöffnet waren, sah den Horizont vorbeifliegen; spürte den Wind auf seinem Gesicht.
Er versuchte, sich auf den Bauch zu rollen. Louis grinste. Er beobachtete den Riesen durch eine Kamera, die in der Decke der Kabine eingebaut war, während er das Landeboot steuerte. Die Rüstung des Riesen war an den Knien, den Fersen, den Handgelenken und den Schultern mit dem Deck verlötet. Man brauchte es nur ein bißchen aufzuheizen, und der Riese war wieder frei. Aber mit den Muskeln würde er es nicht schaffen.
Der Riese forderte und drohte. Er bettelte nicht. Louis achtete kaum auf ihn. Wenn das Übersetzungsprogramm des Computers aus diesem Kauderwelsch einen vernünftigen Text zusammenstellte, würde er sich um den Riesen kümmern. Im Augenblick war er damit beschäftigt, das Lager der Riesen in Augenschein zu nehmen.
Das Landungsboot schwebte eine Meile über dem Boden und war inzwischen fünfzig Meilen von dem Dorf der rothäutigen Fleischesser entfernt. Er drosselte die Geschwindigkeit. Das Gras war hier schon etwas nachgewachsen, aber die Riesen hatten ebenfalls eine große, breite, kahlgeschlagene Schneise hinterlassen, die bis zum Seeufer reichte und dem hellen Lichtstreifen über den Sonnenblumenfeldern am jenseitigen Ufer. Die Riesen waren beim Futterschneiden: Tausende von ihnen hatten sich über der Grasebene verstreut. Louis sah die Lichtreflexe der mähenden Sichelschwerter.
In der Nähe des Lagers hielten sich keine Riesen auf. Eine Reihe von Wagen waren im Lager abgestellt, aber er konnte nirgends Zugtiere entdecken. Also zogen die Riesen diese Wagen selbst. Oder vielleicht hatten sie auch ein paar Motore erbeutet, als vor tausend Jahren die welterschütternde Katastrophe eintrat, die Halrloprillalar den »Fall der Städte« genannt hatte.
Louis konnte das Lager mühelos überblicken. Nur das Zentralgebäude wurde durch einen schwarzen rechteckigen Fleck auf dem Panoramafenster verdeckt. Überlastung durch zu starke Lichtquellen, dachte Louis und grinste. Die Riesen hatten sich offenbar mit seinen Feinden verbündet.
Ein Monitor leuchtete auf. Eine verführerische Altstimme sagte: »Louis?«
»Hier.«
»Ich gebe Ihnen den Wonnestecker zurück«, sagte der Puppetier.
Louis drehte sich um. Das kleine schwarze Kätzchen stand auf der Transportscheibe. Louis wandte sich wieder ab, als drehte er einem Feind den Rücken zu, und sagte: »Da Sie sich gerade melden, Hinterster, möchte ich Sie bitten, etwas für uns auszukundschaften. Am Fuße der Ringmauer haben wir Berge entdeckt, die.«
»Ich habe Sie und Chmeee zur Ringwelt gebracht, damit Sie das Risiko der Erkundung übernehmen.«
»Können Sie sich vorstellen, daß ich dieses Risiko möglichst gering halten möchte?«
»Selbstverständlich.«
»Dann hören Sie mich bitte an. Ich glaube, daß wir uns diese Schüttberge aus der Nähe betrachten sollten. Doch vorher müssen wir einige Punkte klären, die die Ringmauer betreffen. Sie müssen nur.«