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Das Essen war fertig, als er seine Freiübungen beendete. Er aß, ohne Geschmack daran zu finden, und erinnerte sich an die Zeit, als er auch beim Essen und bei seinen Leibesübungen unter Wonnestrom gestanden hatte, allerdings nur mit einem Zehntel der normalen Stärke. Eine Zeitlang hatte er mit einer Frau zusammengelebt, die ebenfalls unter der Wonnestrom-Sucht litt. Sie hatten sich mit eingeschaltetem Stecker geliebt — und dabei Denk- und Freizeitsport getrieben. bis sie nur noch ihrer Sucht lebten und jedes andere Interesse verloren. Damals hatte er wenigstens noch so viel Geistesgegenwart besessen, sich rechtzeitig von der Erde abzusetzen.

Und auch jetzt würde es leichter sein, von dieser Welt zu flüchten, als sich dieser zwei großen ungeschlachten Leichen zu entledigen. Aber wenn seine Wohnung bereits beobachtet wurde?

Sie sahen nicht aus wie ARM-Agenten. Dafür waren sie zu groß, zu weich in den Muskeln, hatten unter einer Sonne gelebt, die mehr orange als gelb war. Vermutlich eine Rasse von einem Planeten mit niedriger Schwerkraft, vermutlich Canyoiten. Sie hatten nicht gekämpft wie ARM-Agenten, aber sie hatten seinen Alarm umgangen. Diese Männer konnten Söldner der ARM sein und Freunde haben, die draußen warteten.

Louis Wu schaltete den Alarm an seiner Balkontür ab und trat ins Freie hinaus.

Canyon paßt nicht ganz in das übliche Schema der Planetengesetze.

Der Planet ist nicht viel größer als Mars. Vor einigen hundert Jahren war die Atmosphäre gerade dicht genug, um photosynthetische Pflanzen am Leben zu erhalten. Die Luft enthielt zwar Sauerstoff, doch dessen Prozentsatz war zu gering für menschliche oder Kzinti-Wesen. Die heimische Flora war so primitiv und genügsam wie Flechten auf der Erde. Tiere hatten sich hier nie entwickeln können.

Aber es gab magnetische Kräfte in dem kometenartigen Ring, der die orangegelbe Sonne von Canyon umgab. Der Planet selbst verfügte über radioaktive Stoffe. Das Kzinti-Imperium hatte den Planeten besetzt und mit Hilfe von luftdichten Kuppelhäusern und Kompressoren besiedelt. Sie nannten ihn »Speerspitze«, da er an der Grenze des noch uneroberten Pierin-Planetensystems lag.

Tausend Jahre später traf das expandierende Kzinti-Imperium auf das menschliche Universum.

Die Kriege mit den Kzintis waren längst vorüber, als Louis Wu auf die Welt kam. Die Menschen gewannen sie alle. Die Kzinti hatten schon immer eine verhängnisvolle Neigung, ihre Gegner anzugreifen, ehe sie ausreichend für einen Krieg vorbereitet waren. Zivilisation auf Canyon ist das Vermächtnis des Dritten Kzin-Menschheit-Krieges, als der Planet Wunderland eine Vorliebe für esoterische Waffen entwickelte.

Wunderlands Wunderwaffe wurde nur ein einziges Mal eingesetzt. Es handelte sich um die ins riesenhaft vergrößerte Version eines ganz gewöhnlichen Bergwerkgerätes: ein sogenannter elektronischer Stampfer, der vermittels eines Energiestrahles die Ladung eines Elektrons unterdrückt. An der Stelle, wo der Strahl des Elektronenstampfers auftrifft, wird Materie plötzlich und gewaltsam positiv geladen. Sie löst sich dann in einen Nebel aus einatomigen Partikeln auf.

Die Welt Wunderland baute also einen gigantischen elektronischen Stampfer und transportierte ihn in das Planetensystem von »Speerspitze«. Der Riesenstampfer schoß seinen Energiestrahl parallel zu einem anderen Richtstrahl ab, der allerdings die Ladung des Protons unterdrückte.

Die beiden Strahlen trafen mit einem Abstand von dreißig Meilen gleichzeitig auf der Oberfläche von Canyon auf. Felsen, Fabriken und Häuser der Kzinti wirbelten als Staub davon, während sich ein Lichtbogen zwischen den beiden Einschlagstellen bildete. Die Waffe drang mit ihrem Energiestrahl zwölf Meilen tief in die Kruste des Planeten ein und legte auf einer Fläche von der Größe und Form wie der Kaliforniens das Magma auf diesem Planeten frei. In diesem Bereich befand sich die gesamte Industrie der Kzinti, die sich in Sekundenschnelle in Rauch auflöste. Die wenigen Kuppelbauten, die durch Stasisfelder geschützt waren, wurden von der Magma verschluckt, die in der Mitte des Grabens viel höher aufwallte als an den Rändern, ehe das Gestein sich wieder verhärtete.

Die Narbe, die davon zurückblieb, war ein langgestreckter See, der von steilen, mehreren Meilen hohen Klippen eingeschlossen wurde und in dessen Mitte sich eine langgestreckte, schmale Felsinsel erhob.

So manche irdischen Welten mochten ihre Zweifel hegen, daß dieses Monstrum den Krieg beendete. Die Kzinti-Patriarchie läßt sich normalerweise von bloßem Gigantismus nicht schrecken. Die Bewohner von Wunderland teilen diese Zweifel nicht. »Speerspitze« wurde nach dem Dritten Kzin-Menschheit-Krieg annektiert und in Canyon umgetauft. Die einheimischen Lebensformen litten natürlich unter den Kriegshandlungen, wurden unter Gigatonnen Staub begraben, die aus der Atmosphäre herunterkam, während das Grundwasser sich in den Canyon ergoß und dort einen gewaltigen Binnensee bildete. In der Schlucht baute sich ein ausreichender Luftdruck auf und schuf die nötigen Voraussetzungen, daß sich dort eine blühende Zivilisation entwickeln konnte.

Louis Wus Wohnung befand sich auf der zwölften Terrasse an der Norwand des Canyon. Die Nacht verhüllte bereits den Grund der Schlucht, als er auf den Balkon hinaustrat, aber die Südwand lag noch im hellen Tageslicht. Hängende Gärten aus einheimischen Gewächsen verdeckten den Rand der Klippe. Stillgelegte Aufzugstürme ragten meilenweit an den geglätteten Felswänden empor, als wäre der Stein von blanken Silberadern durchzogen. Transportkabinen hatten inzwischen die Aufzüge ersetzt, doch die Touristen bedienten sich immer noch dieses alten Verkehrsmittels, wenn sie einen Blick auf diese künstlich geschaffenen Naturwunder werfen wollten.

Der Balkon blickte auf die Parklandschaft hinaus, die den Kern der Inseln bedeckte. Die Vegetation erinnerte an den bizarren Wildwuchs eines Kzinti-Jagdreviers, wobei sich helles Rosa und Orange mit dem bedeckten Grün der importierten irdischen Biosphäre mischte. Kzinti-Lebensformen waren in diesem Canyon alltägliche Erscheinungen.

Auf der Insel tummelten sich genausoviele Kzinti wie menschliche Touristen. Die Kzinti-Männchen glichen fetten orangefarbenen Katzen, die auf ihren Hinterpfoten liefen. Doch ihre Ohren breiteten sich wie pinkfarbene chinesische Pergamentschirme aus, und ihre Schwänze waren nackt. Ihre breiten Hände und geraden Beine verrieten, daß sie zu einer Rasse von Werkzeugmachern gehörten. Ihre Größe war enorm, fast zwei Meter fünfzig, und obwohl sie es sorgfältig vermieden, mit den menschlichen Touristen zusammenzustoßen, fuhren sie doch ihre sorgfältig manikürten Klauen an den Fingerspitzen aus, sobald ihnen ein menschliches Wesen zu nahe kam. Vielleicht waren das nur Reflexe.

Zuweilen fragte sich Louis, welche Impulse die Kzinti veranlaßten, eine Welt zu besuchen, die sie vor Jahrhunderten hatten aufgeben müssen. Vielleicht hatten ihre Vorfahren auf dieser Welt gelebt, die nun in den Kuppelbauten unter dieser Lavainsel begraben waren. Eines Tages würde man sie wieder ausgraben müssen.

Es gab so viele Dinge, die er auf Canyon hinterlassen hatte, weil er sich nie weit von seinem Wonnestecker entfernen wollte. Menschen und Kzinti kletterten in der niedrigen Schwerkraft an den Klippen empor. Es war ein sportlicher Zeitvertreib.

Nun, jetzt hatte er eine letzte Chance, selbst dieses Vergnügen auszuprobieren. Es war eine von drei möglichen Fluchtrouten. Die zweite waren die Aufzüge; die dritte war die Transportkabine zu den hängenden Gärten. Er hatte sie kein einziges Mal besichtigt.

Dann würde er in einem Druckanzug Weiterreisen, der sich zusammengefaltet leicht in einer großen Aktentasche unterbringen ließ.

Bergwerke waren über die Oberfläche des Planeten verstreut, und es gab auch einen großen, etwas verwahrlosten Naturpark für die überlebenden Gattungen der Canyon-Flechten. Doch zum größten Teil bestand diese Welt aus einer öden Kraterlandschaft. Ein umsichtiger Mann konnte unbemerkt auf diesem Planeten mit einem Raumfahrzeug landen und es an einer Stelle verstecken, wo man es nur mit einem Tiefenradar entdecken vermochte. Ein umsichtiger Mann hatte das bereits getan. Seit neunzehn Jahren wartete jetzt ein Raumschiff schon auf Louis Wu. Er hatte es in einer Höhle in der Nordwand eines Berges versteckt, der aus minderwertigem Eisenerz bestand. Der Eingang der Höhle lag im ewigen Schatten der atmosphärelosen Oberfläche.