Seine Arme taten ihm weh. Louis lockerte den schraubstockartigen Griff um die Sessellehnen und schaltete die Gegensprechanlage ein.
»Louis hat sein Versprechen gehalten«, sagte der König der Riesen soeben, »aber die sterbenden Pflanzen scheinen so weit vom Ufer entfernt zu sein, daß wir sie nicht mähen können. Ich weiß nicht.« »Wir werden die Nacht hier verbringen«, unterbrach Louis ihn. »Morgen früh werden wir es genau wissen.«
Es ging mit dem Landungsboot antispinnwärts von der Insel nieder. Seetang war in großen Mengen an den Strand gespült worden. Chmeee und der König der Riesen schaufelten eine Stunde lang Seetang in eine Luke am Rumpf des Landungsbootes, um die Grundstoffreserven des Nahrungsmittel-Zubereiters aufzufüllen. Louis nahm die Gelegenheit wahr, um Heiße Nadel über Funk zu rufen.
Der Hinterste befand sich nicht auf dem Flugdeck. Er mußte sich im versteckten Teil des Raumschiffes aufhalten. »Sie haben Ihren Wonnestecker demoliert«, sagte er.
»Ich weiß. Haben Sie inzwischen etwas.«
»Ich habe einen Ersatzstecker.«
»Und wenn Sie ein paar Dutzend Ersatzstecker hätten, würde mich das nicht interessieren. Ich verzichte darauf. Wollen Sie immer noch den Materie-Umwandler der Ringwelt-Ingenieure haben?«
»Selbstverständlich.«
»Dann müssen wir auch ein bißchen zusammenarbeiten. Die Leitstation der Ringwelt muß irgendwo auf diesem Kunstplaneten sein. Falls sie in einem der Schüttberge untergebracht wurde, müssen die Materieumwandler, die aus den Raumschiffen ausgebaut wurden, auch in diesen Schüttbergen sein. Ich möchte eine genaue Lageerkundung, ehe ich mich in einen dieser Berge wage.«
Der Hinterste dachte über seinen Vorschlag nach.
Hinter seinen flachen, sich wiegenden Köpfen sah Louis beleuchtete Wolkenkratzer, eine breite Straße mit Transportscheiben an den Kreuzungen, die sich auf einen Fluchtpunkt hin bewegten. Die Straße wimmelte nur so von Puppetiers. Ihre gekämmten oder gelockten Mähnen waren mit glitzernden Steinen geschmückt. Die Puppetiers schienen sich immer nur in Gruppen zu bewegen. Da war ein schmaler Himmelsstreifen zwischen den hohen Gebäuden, in dem zwei Landwirtschaftsplaneten über dem Horizont schwebten, jeder von einer rotierenden Lichterkette umgeben. Ein sanftes melodiöses Geräusch kam aus dem Hintergrund, als würden sich Millionen Puppetiers miteinander unterhalten, knapp außer Hörweite, so daß man die Worte nicht mehr zu verstehen mochte.
Der Hinterste hatte ein Stück seiner verlorenen Zivilisation bei sich: Bänder und eine Hologramm-Wand. Vermutlich umgab er sich ständig mit dem Geruch seiner Artgenossen. Die Möbel seiner Wohnkabine hatten nicht eine scharfe Kante, wo man sich ein Knie anstoßen konnte. Sie bestanden nur aus weichen Kurven, und eine seltsam geformte Vertiefung auf dem Kabinenboden war vermutlich ein Bett.
»Die Rückseite der Ringmauer ist vollkommen flach«, sagte der Hinterste. »Mein Tiefenradar vermag das Material nicht zu durchdringen. Ich kann es mir nicht leisten, eine meiner Sonden zu riskieren. Sie dient immer noch als Relaisstation zwischen der Heißen Nadel und Ihrem Landungsboot. Tatsächlich wird die Verbindung noch besser, wenn die Sonde noch etwas höher über der Mauer steht. Deswegen werde ich eine der beiden Sonden im Magnetschleifen-Transportsystem unterbringen.«
»Das ist zufriedenstellend.«
»Glauben Sie wirklich, die Reparaturzentrale ist.«
»Nein, nicht eigentlich. Aber wir werden dort genug Überraschungen entdecken, daß wir uns nicht langweilen. Diese Schüttberge müssen genau untersucht werden.«
»Eines Tages müssen wir uns entscheiden, wer diese Expedition leitet«, erwiderte der Puppetier und verschwand vom Monitorschirm.
In dieser Nacht sah er keine Sterne.
Der Morgen war ein lichterwerdendes Chaos. Vom Flugdeck aus sah man nur ein formloses milchiges Glühen: kein Himmel, kein Wasser, kein Strand. Louis fühlte sich versucht, Wu neu zu erschaffen, damit er den Leitstand verlassen und nachsehen konnte, ob die Welt dort draußen noch existierte.
Statt dessen stieg er mit dem Landungsboot senkrecht in den Himmel hinauf. Auf hundert Meter Höhe sah er die Sonne wieder. Unter ihm war eine weiße Wolke, die sich nach spinnwärts hin mit Licht füllte. Der Nebel hatte sich ein beträchtliches Stück landeinwärts ausgedehnt.
Die Repulsionsplatte hing immer noch über dem Sonnenblumenfeld, ein schwarzer Punkt am blauen Himmel.
Zwei Stunden nach Einbruch der Morgendämmerung blies ein Wind den Nebel auseinander. Louis ging mit dem Landungsboot wieder bis knapp über den Wasserspiegel herunter, ehe der Nebel sich über dem Sonnenblumenfeld verflüchtigt hatte. Minuten später bildete sich wieder ein greller Lichthof um die Repulsionsplatte.
Der König der Riesen hatte den ganzen Morgen über in der offenen Luftschleuse gestanden und mit geistesabwesendem Gesicht Salatblätter gekaut. Chmeee hatte sich ebenfalls recht still verhalten. Sie blickten an die Kabinendecke, als Louis sich räusperte.
»Es wird funktionieren«, sagte er und glaubte nun selbst an seine Prophezeihung. »Bald wirst du eine Allee von toten Sonnenblumen finden, die dich zu einem viel größeren Feld der Feuerpflanzen bringen wird, die sich unter einer dicken, dauerhaften Wolkenschicht befinden. Säe deinen Grassamen. Wenn du lieber lebende Feuerpflanzen essen möchtest, dann ernte sie nachts zu beiden Seiten des Nebelstreifens. Vielleicht brauchst du dafür eine Basis auf einer Insel in diesem See. Vielleicht werdet ihr auch Boote für eure Ernte-Streifzüge brauchen.«
»Von jetzt an werden wir uns schon selbst helfen können«, erwiderte der König der Riesen. »Ich bin froh, daß auch Wasser-Leute in unserer Nähe sind, wenn auch nur in bescheidener Anzahl. Sie tauschen ihre Arbeitskraft gegen Metallwerkzeuge ein. Die Wasser-Leute werden unsere Boote bauen. Wächst denn auch Gras, wenn es Tag und Nacht regnet?«
»Ich weiß nicht. Du solltest auch auf den verbrannten Inseln deinen Grassamen ausstreuen.«
»Gut. Den Heroen unseres Volkes setzen wir ein Denkmal, indem wir ihr Ebenbild in einen Stein ritzen und ein paar Worte hinzusetzen. Wir sind Nomaden; wir können keine großen Standbilder mit uns herumschleppen. Genügt dir eine Felszeichnung?«
»Absolut.«
»Und wie sollen wir dich darstellen?«
»Ich bin ein bißchen größer als Chmeee, habe mehr Haare an den Schultern, deren Farbe sich mit deiner deckt. Dazu ein Gebiß wie die Fleischfresser mit Stoßzähnen. Keine externen Ohren. Und verschwende nicht so viel Mühe auf mein Ebenbild. Wohin soll ich dich jetzt bringen?«
»Zu unserem Lager. Ich denke, ich werde ein paar Frauen mitnehmen müssen, ehe ich das andere Seeufer erkunde.«
»Wir können es sofort erkunden.«
Der König der Riesen lachte. »Vielen Dank, Louis; aber meine Krieger werden in einer schrecklichen Laune sein, wenn sie ins Lager zurückkommen. Nackt, hungrig und besiegt. Ich sollte ihrer Stimmung schon ein wenig aufhelfen, indem ich sie ein paar Tage lang allein lasse. Ich bin kein Gott. Ein Held kann sich nur auf seine Gefolgsleute verlassen, wenn sie mit seiner Herrschaft zufrieden sind. Er kann nicht zu jeder wachen Stunde seine Stellung mit dem Schwert verteidigen.«
II. Teil
13. Ursprünge
Das Landungsboot flog knapp unter Mach 1 auf einer Höhe von fünf Meilen.
Dreizehntausend Meilen waren für das kleine Raumschiff keine Affäre. Louis' Vorsicht machte den Kzin ganz hippelig: »In zwei Stunden könnten wir aus der Stratosphäre auf die fliegende Stadt hinunterstoßen oder uns von unten nach oben pirschen! Sogar in einer Stunde, ohne daß unsere Bequemlichkeit darunter leiden müßte!«