Von den kastenartigen Fahrzeugen vermochten sie keines mehr auf der Straße zu entdecken.
Louis hatte etwas Großes, Blasses unter den Bäumen gesehen, das sich langsam auf den Sumpf zubewegte. Sie pirschten sich so vorsichtig heran wie Nebel über einem Wasser oder wie ein Ozeandampfer, der an einer Mole anlegt. Dann bewegte sich weit vor ihrem Bug eine weiße Gestalt unter den Bäumen hervor und hielt auf die Straße zu.
Über einem gewaltigen, langgestreckten weißen Leib wölbte sich ein schlanker Hals mit den Sinnesorganen dieser Bestie. Seine Kiefer befanden sich auf gleicher Höhe mit dem Boden; der Rachen pflügte wie ein Schneepflug durch die Sumpfpflanzen und das moorige Wasser, während die Bestie auf mächtigen muskulösen Beinen bergauf lief. Das Monster war größer als die gewaltigsten Dinosaurier, die auf der Erde gelebt hatten.
»Ein Bandersnatch«, sagte Louis. Was zum Kuckuck, suchten sie hier? Die Heimat der Bandersnatch war Jinx. »Flieg langsamer, Chmeee, der Bandersnatch will mit uns reden.«
»Und wenn schon?«
»Sie haben ein sehr langes Gedächtnis.«
»Und woran wollen sich die Bandersnatchi erinnern? Sie sind Sumpfbewohner, Moorfresser, die nicht einmal Hände besitzen, um sich Waffen anzufertigen. Nein.«
»Warum nicht? Vielleicht können Sie uns verraten, wie die Bandersnatchi auf die Ringwelt gekommen sind.«
»Das ist doch kein Geheimnis. Die Protektoren haben vermutlich ihre Landkarten im Großen Ozean mit Mustern aller Spezies versehen, die sie als mögliche Widersacher betrachteten.«
Chmee versuchte wieder, sich die Rolle des Führers anzumaßen. Das gefiel Louis ganz und gar nicht. »Was hast du nur? Wir könnten ihn doch wenigstens fragen.«
Der Bandersnatch schrumpfte hinter ihnen zu einem gewöhnlichen Lindwurm zusammen. Chmeee fauchte: »Du vermeidest jede Konfrontation wie ein Pierson-Puppetier. Aber Schlammfresser und Primitive möchtest du ausfragen! Und dann tötest du Sonnenblumen! Der Hinterste verschleppte uns hierher auf diesen dem Untergang geweihten Artefakten, und du verzögerst unsere Rache damit, daß du Sonnenblumen umbringst. Spielt es denn für die Eingeborenen der Ringwelt in einem Jahr eine Rolle, daß Louis, der göttliche Louis, auf seinem Weg über diesen Planeten einen Tag lang pausierte, um Unkräuter auszuzupfen?«
»Ich werde sie retten, soweit ich kann.«
»Wir können gar nichts tun. Es sind die Straßenbauer, mit denen wir reden wollen. Sie sind noch zu primitiv, um uns gefährlich werden zu können, aber schon so weit fortgeschritten, daß sie die Antwort für ein paar unserer Fragen wissen. Sobald wir ein Fahrzeug entdecken, stoßen wir auf das Vehikel hinunter.«
Am Nachmittag übernahm Louis den Pilotensitz.
Der Sumpf wurde zu einem Fluß, der sich nach spinnwärts hin schlängelte, weit von seinem ursprünglichen Bett entfernt.
Die grob gefertigte Straße folgte dem neuen Flußlauf. Das ursprüngliche Flußbett wand sich in sorgfältig angelegten S-Kurven nach Backbord, zeigte hier und dort eingebaute Stromschnellen oder Wasserfälle. Es war jetzt knochentrocken und mündete in einer knochentrockenen Wüste. Der Sumpf mußte ein Meer gewesen sein, ehe er verlandete.
Louis verzögerte und folgte dann dem ursprünglichen Flußbett.
»Ich glaube, unsere Zeittabelle ist richtig«, sagte er zu Chmeee. »Prills Spezies entwickelte sich lange nach dem Aussterben der Ringwelt-Ingenieure. Von allen intelligenten Rassen, die sich auf dieser Kunstwelt entwickelten, waren sie die Ehrgeizigsten. Sie bauten die grossen Wolkenkratzer-Städte. Und dann kam diese seltsame Plage über diese Welt und vernichtete die meisten ihrer Maschinen. Und jetzt haben wir es mit Maschinen-Leuten zu tun, die vielleicht derselben Rasse entstammen. Die Maschinen-Leute bauten diese Straße. Diese Straße wurde angelegt, nachdem sich der Sumpf längst gebildet hatte. Ich glaube, der Sumpf ist erst entstanden, nachdem die Herrschaft von Prills Spezies bereits zusammengebrochen war.«
»Folglich halte ich jetzt Ausschau nach einer alten Prill-Volk-Stadt. Vielleicht haben wir Glück und finden dort eine alte Bibliothek oder einen Kartenraum.«
Bei ihrer ersten Expedition hatten sie festgestellt, daß Städte knapp waren auf der Ringwelt. Heute waren sie schon seit dem frühen Morgen über das Land geflogen und hatten bisher nur zweimal eine Ansammlung von Zelten gesehen und vor etwa zwei Stunden einen Sandsturm von der Größe eines Kontinents.
Die fliegende Stadt lag noch vor ihnen. Sie zeigte ihnen die Seitenansicht, so daß sie keine Einzelheiten auszumachen vermochten. Ein paar Dutzend Türme ragten am Stadtrand empor; dort, wo das Zentrum sein mußte, konnte man auch schwebende Kegel unterscheiden.
Der trockene Fluß verlor sich in einem trockenen See. Louis folgte in einer Höhe von zwanzig Meilen der Küstenlinie. Der Seeboden war seltsam flach, wenn man von den Inseln absah, die sich als erhabenes Relief mit buchtenreichen Ufern in sorgfältiger Gruppierung über dem Boden erhoben.
Chmeee rief: »Louis, stell den Autopiloten ein!«
»Was hast du entdeckt?«
»Einen Schlammbagger.«
Louis trat neben Chmee an das Teleskop.
Er hatte den Bagger für einen Teil einer Insel gehalten. Er war groß und flach, geformt wie eine Scheibe, und zeigte die gleiche Farbe wie der Modder auf dem ausgetrockneten Seeboden. Der Bagger war so dimensioniert, daß er wahrscheinlich bis knapp unter die Wasseroberfläche reichte. Der Rand der Baggerscheibe war so geformt wie die Schneide eines Schlichthobels. Die Maschine war von der Insel blockiert worden, die sie selbst aus dem Schlamm des Meeresgrundes aufgetürmt hatte.
So hatten die Ringwelt-Ingenieure also den Schlamm vom Boden ihrer Meere abgeräumt. Es war kein automatisches Überlaufsystem, weil dazu das Gefälle des Meeresbodens nicht ausreichte. Der Schlamm wurde also in die Röhren hineingepreßt. »Offenbar war die Abflußröhre verstopft«, dachte Louis laut nach. »Aber der Bagger arbeitete weiter, bis irgendein Teil seinen Dienst versagte oder die Kraftzufuhr unterbrochen wurde — vielleicht durch die Superleiter-Seuche. Soll ich den Hintersten verständigen?«
»Ja. Damit er zufrieden ist.«
Aber der Hinterste hatte wichtigere Neuigkeiten.
»Schauen Sie sich das an«, sagte er. Hologramme lösten sich in rascher Folge auf den Schirmen ab. Ein Rammdüsen-Halter schob sich schräg aus der Ringmauer heraus, an dessen Spitze ein paar Kupferschlangen-Toroide befestigt waren. Dann kam eine zweite Halterung, die aus größerer Entfernung aufgenommen worden war; auf diesem Bild konnte man auch einen Schüttberg am Fuß der Ringmauer erkennen. Der Schüttberg war nur halb so groß wie die Halterung der Rammdüse. Dann kam eine dritte Halterung ins Bild. Eine vierte, neben der ein Gerüst aufgebaut war. Eine fünfte — »Moment!« rief Louis. »Schalten Sie auf das vierte Bild zurück!«
Die fünfte Halterung verharrte noch einen Moment auf dem Schirm. An ihr war nichts befestigt. Dann brachte der Hinterste wieder das vierte Hologramm auf die Schirmwand.
Das Hologramm war etwas verzerrt, was an der hohen Geschwindigkeit der aufnehmenden Sonde liegen mußte. Schweres Hebegerät war auf der Ringmauer in der Nähe der Rammdüsen-Halterung befestigt: ein grobschlächtiger Fusionsgenerator; eine Kraftwinde; eine Kabeltrommel und ein Haken, der scheinbar ohne Verbindung unter der Trommel schwebte. Das Kabel, das sich von der Trommel abspulte, mußte unsichtbar dünn sein, dachte Louis. Möglicherweise handelte es sich dabei um Sonnenblenden-Draht.
»Ein Reparaturtrupp bei der Arbeit? Hmmm. Bauen sie nun Steuerdüsen ein, oder bauen sie die Dinger ab? Wie viele von diesen Düsen befinden sich noch in den Halterungen?«
»Die Sonde wird es uns verraten«, erwiderte der Hinterste. »Ich möchte jetzt Ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Problem lenken. Denken Sie wieder an die Kupferschlangen, die um den Rumpf des einen noch intakten Ringwelt-Raumschiffes gewickelt waren. Wir vermuteten, daß mit diesen Toroiden die elektromagnetischen Schöpffelder für die Bussard-Rammdüsen erzeugt wurden.«