Er achtete nicht mehr auf seine Umgebung, spürte nur noch seinen Körper und ihren. Jedenfalls hatte er keine Ahnung, daß Chmeee inzwischen Zeuge ihres Geschlechtsaktes geworden war. Er erkannte es erst — blitzartig —, als der Kzin seiner neuen Geliebten mit seinem Laser heftig über den Kopf schlug. Das pelztragende fremde Wesen packte mit seinen Klauen seine Geschlechtspartnerin bei den silbernen Haaren und riß ihren Kopf zurück, zog ihre Zähne aus Louis Wus Hals heraus.
15. Die Maschinen-Leute
Der Wind blies Staub in Louis Wus Nasenlöcher. Er schlug ihm die eigenen Haare um das Gesicht. Louis schob das Haar hinter die Ohren zurück und öffnete die Augen. Das Licht war gleißend hell. Seine tastenden Hände entdeckten ein Plastikpflaster am Hals. Die Schutzbrille mit den Restlichtverstärkern saß immer noch auf seiner Nase. Er zog sie zum Kinn herunter. Er rollte sich von der Frau weg und setzte sich auf.
Jetzt herrschte Zwielicht. Die Morgendämmerung brach herein: die Terminatorlinie teilte die Welt in hell und dunkel. Louis taten alle Muskeln weh. Ihm war, als hätte man ihn fürchterlich verprügelt. Paradoxerweise fühlte er sich großartig. Viel zu lange hatte er den Sex nur sparsam ausgeübt, dazu noch unlustig, als Tarnung, weil Wonnestrom-Süchtige bekanntermaßen kein Interesse an solchen Dingen haben. In der vergangenen Nacht. war seine ganze Seele darin aufgegangen.
Die Frau? Sie hatte ungefähr Louis' Größe und war eher eine kompakte Schönheit. Nicht gerade flachbrüstig, aber auch nicht vollbusig. Ihr Haar war in einen langen Zopf geflochten, und da war ein etwas zu langer Flaum am Kinn und unter den Jochbeinen. Sie schlief den Schlaf der Erschöpfung, und den hatte sie auch verdient. Beide hatten sie das. Jetzt kam die Erinnerung an die vergangene Nacht zurück. Aber seine Rückblende machte ihn ganz konfus.
Er hatte gebumst — nein, er hatte sich Hals über Kopf auf diese schlanke blasse Frau mit den roten Lippen gestürzt und sich mit ihr vereinigt. Als er sein Blut auf ihren Lippen sah, den Stachel in seinem Hals fühlte, hatte er nur ein Bedauern gespürt, als erlitte er einen schrecklichen Verlust. Er hatte geheult vor Wut, als Chmeee ihren Kopf nach hinten drehte, bis ihr Genick zerbrach. Er hatte sogar mit dem Kzin gekämpft, als er ihn von der toten Frau wegriß. Der Kzin hatte ihn unter den Arm geklemmt, obwohl er immer noch wütend mit Armen und Beinen auf ihn eindrosch. Chmeee hatte ihn mit den Ellenbogen festgehalten, während er das Sanitätskästchen aus Louis' Weste holte und ihm das Pflaster auf den Hals drückte. Anschließend hatte er das Sanitätskästchen wieder im Raumanzug verstaut.
Dann hatte Chmeee sie getötet, alle diese hübschen silberhaarigen Männer und Frauen. Er hatte ihnen die gleißende Rubinnadel seines Handscheinwerfer-Lasers akkurat und sauber durch den Kopf gebohrt. Louis erinnerte sich wieder, wie er Chmeee daran hindern wollte und dann, von einem wuchtigen Schlag getroffen, über die geborstenen Gehsteigplatten rollte. Er hatte sich benommen wieder aufgerappelt und in seiner Nähe ein weibliches Wesen entdeckt, das sich ebenfalls noch bewegte. Er war auf sie zugegangen. Sie, eine dunkelhaarige Frau, war die einzige Überlebende der Verteidiger. Sie waren sich gegenseitig in die Arme gefallen.
Warum harte er das getan? Und Chmeee hatte versucht, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. oder etwa nicht? Louis erinnerte sich auch an ein fauchendes Heulen, das ihn an das Kriegsgeschrei von Tigern gemahnte.
»Pheromone«, sagte er, »und sie sahen so harmlos aus.« Er stand auf und blickte sich mit blankem Entsetzen um. Die Toten waren alle um ihn herum versammelt: die Dunkelhäutigen mit den zerbissenen Hälsen, die Blassen mit dem Blut auf den Lippen und dem Brandloch in den Silberhaaren.
Die Waffen hatten da nicht ausgereicht. Was die Vampire besaßen, war viel schlimmer als eine Lustgeißel. Sie schickten eine superstimulierende Wolke von Pheromonen aus, die menschlichen Geruchssignale der sexuellen Bereitschaft. Einer von den den Vampiren oder ein paar mußte den Wolkenkratzer-Turm erreicht haben. Und die Verteidiger waren nur zu gerne herausgekommen, waren ihnen entgegengerannt, hatten unterwegs ihre Waffen und ihre Kleider abgeworfen. Einer hatte es so eilig gehabt, daß er sogar über das Geländer sprang und in den Tod stürzte.
Aber warum hatten er und die dunkelhaarige Frau sich gepaart, obwohl die Vampire bereits tot waren?
Der Wind spielte mit Louis' Haaren. Ja. Die Vampire waren tot, aber er und die dunkelhaarige Frau waren noch von einer Wolke von Pheromonen umgeben gewesen. Sie hatten sich gepaart wie brünstige Tiere. »Wenn der Wind nicht aufgekommen wäre, klebten wir immer noch aneinander. Ja. Wo, zum Henker, habe ich denn meine Sachen gelassen?«
Er fand die Panzerweste und das Fluggeschirr. Unterhose und Unterhemd waren nur noch Fetzen. Wie stand es mit der Weste? Er sah, daß die Frau jetzt die Augen aufgeschlagen hatte. Sie setzte sich plötzlich auf, mit einem Horror in den Augen, den Louis nur zu gut verstehen konnte. Er sagte zu ihr: »Ich muß meine Weste wiederfinden, denn darin befindet sich mein Übersetzungsgerät. Ich hoffe nur, Chmeee vergrault Sie nicht, ehe ich.«
Chmeee! Was für einen Eindruck hatte dieses hemmungslose, ekstatische Verhalten auf ihn gemacht?
Chmeees große Hand schloß sich um Louis' Schädel und zwang ihn rückwärts. Louis klammerte sich mit seinem ganzen Körper und mit seiner ganzen Seele an diese Frau. Er stieß sie, er bumste; aber seine Augen waren ausgefüllt von diesem orangefarbenen Tiergesicht, und seine Ohren gellten von schrecklichen Flüchen. Es mußte für den Kzin niederschmetternd gewesen...
Chmeee war nicht in seiner Nähe. Er konnte ihn nirgends entdecken. Louis fand seine Weste ein gutes Stück von sich entfernt, umklammert von der Hand eines toten Vampirs. Aber seinen Betäubungsstrahler konnte er nicht wiederfinden. Inzwischen machte er sich ernsthafte Sorgen. Irgend etwas Häßliches regte sich in seiner Erinnerung. Er rannte nun zu der Stelle, wo das Landungsboot niedergangen war.
Er fand dort nur einen Felsblock, der so groß und so schwer war, daß ihn drei Männer nicht hätten von der Stelle rücken können. Er beschwerte ein großzügig bemessenes Stück schwarzen Superleiter-Tuches. Chmeees Abschiedsgeschenk. Das Landungsboot war weg.
Ich muß früher oder später darüber hinwegkommen, dachte Louis. Und warum nicht jetzt gleich? Ein Freund hatte ihm diesen Trick beigebracht, diese magische Suggestion, mit der man sich rasch von einem Schock oder Kummer erholte. Manchmal funktionierte es sogar.
Er setzte sich auf eine Stange, die früher einmal zu einem Verandageländer gehört haben mußte, nur daß diese Veranda jetzt wie ein gestrandetes Floß auf einem mit Sand bedeckten Gehsteig lag. Er hatte seinen Panzer wieder angelegt und die Weste mit den vielen Taschen. Er hatte diese Kleidung zwischen sich und eine riesige, ihn vergessende Welt gestellt. Er hatte sich nicht aus Schamgefühl bekleidet, sondern aus Furcht.
Damit war sein ganzer Ehrgeiz aufgezehrt. Nun saß er da, während die Gedanken ziellos durch sein Bewußtsein trieben. Er dachte an einen heilen Wonnestecker, der nun so weit von ihm entfernt war wie die Erde von ihrem Mond, und an einen zweiköpfigen Verbündeten, der niemals seine Haut riskieren würde, um auf der Ringwelt zu landen, nicht einmal, wenn er Louis Wu retten mußte. Er dachte an die Ringwelt-Ingenieure und ihre idealisierte Ökologie, die solche lästigen Wesen wie Moskitos oder Vampir-Fledermäuse nicht in ihre Fauna aufgenommen hatten. Seine Lippen zuckten, der geisterhafte Ansatz eines Lächelns. Dann ruhten sie wieder, als sein Gesicht den Ausdruck eines Toten annahm, der gar kein Ausdruck ist.
Er wußte sehr wohl, wohin Chmeee mit dem Landungsboot geflogen war. Er lächelte wieder bei dem Gedanken, wie wenig ihm das nützte. Hatte Chmeee ihm vorher noch gesagt, was er vorhatte? Es spielte keine Rolle mehr. Der Selbstbehauptungstrieb oder der Geschlechtstrieb oder der Rachetrieb — alle drei Impulse würden Chmeee in dieselbe Richtung weisen. Aber würde eines von diesen Motiven ihn zurückbringen, um Louis Wu zu retten?