Und er dachte daran, wie wenig doch der Tod eines Menschen bedeutete, wenn Billiarden Bewohner der Ringwelt dem Untergang geweiht waren, sobald ihr Kunstplanet mit der Sonne zusammenstieß.
Nun, vielleicht kam Chmeee zurück. Louis mußte sich jetzt schon selbst rühren und etwas unternehmen, um die fliegende Stadt zu erreichen. Schließlich waren sie dorthin unterwegs gewesen; Chmeee würde ihn wahrscheinlich dort vermuten, wenn irgendeine Laune den Kzin zu seinem Verbündeten zurückbrachte, der ihn so schmählich im Stich gelassen hatte. Oder Louis mochte in der Stadt etwas Wichtiges entdecken. Oder. irgendwo mußte er ja in dem einen oder den beiden Jahren überleben, die ihm noch vergönnt waren. Ich muß irgendwann darüber hinwegkommen. Warum nicht jetzt?
Jemand schrie.
Die schwarzhaarige Frau hatte sich inzwischen mit Shorts und einem Hemd bekleidet und einen Tornister umgeschnallt. Sie hielt eine Projektil-Waffe in der Hand, die auf Louis Wu zielte. Mit dem anderen Arm gestikulierte sie und schrie zum zweitenmal.
Der Urlaub war vorüber. Louis wurde sich jetzt überdeutlich bewußt, daß seine Schutzkappe locker um seinen Hals hing. Wenn sie ihm einen Kopfschuß verpassen wollte — nun, vielleicht ließ sie ihm noch soviel Zeit, daß er die Kapuze überstreifen konnte, und dann spielte es keine Rolle mehr, ob sie auf ihn schoß oder nicht. Der Schutzanzug würde die Kugeln auffangen, während er über die Straße rannte. Was er jetzt am nötigsten brauchte, war das Fluggeschirr. Oder vielleicht doch nicht?
»Okay«, sagte Louis, lächelte und hob die Hände bis zu den Schultern. Was er wirklich brauchte, war ein Verbündeter. Dann griff er langsam mit einer Hand in seine Weste, holte die Übersetzer-Box heraus und klemmte sie unter seinem Kinn fest. »Das wird für uns sprechen, sobald es deine Sprache beherrscht.«
Sie deutete mit der Waffe: Geh vor mir her.
Louis ging bis zu der Stelle, wo sein Fluggeschirr lag, bückte sich dann und hob es auf. Er vermied jede hastige Bewegung dabei. Es donnerte hinter ihm. Ein Stein, der zehn Zentimeter von Louis' rechtem Fuß entfernt war, hüpfte davon.
Er ließ das Geschirr wieder fallen und wich einen Schritt zurück.
Tanj, sie wollte gar nicht reden! Für sie stand fest, daß er ihre Sprache nicht beherrschte, und dabei beließ sie es. Wie sollte da der Übersetzer irgend etwas lernen?
Mit beiden Händen an der Schulter sah er zu, wie sie mit der freien Hand an dem Fluggeschirr herumfummelte, während sie mit ihrer Waffe mehr oder weniger direkt auf ihn zielte.
Wenn sie den falschen Knopf bediente, würde er das Geschirr verlieren und auch das Superleiter-Tuch. Aber sie legte das Fluggeschirr wieder auf den Boden zurück, ohne ein Unheil angerichtet zu haben, blickte Louis eine Weile lang prüfend an und trat zurück. Sie deutete.
Louis nahm das Geschirr auf. Als sie jetzt auf ihren Kastenwagen deutete, schüttelte er den Kopf. Er ging zu der Stelle, wo Chmeee das Superleiter-Tuch zurückgelassen hatte, das von einem unglaublich schweren Felsblock befrachtet war. Er schätzte die Menge des Tuches auf einen Morgen.
Die Mündung der Waffe verfolgte ihn überall hin, während er das Fluggeschirr an dem Felsblock befestigte und den Energieschalter betätigte. Er umfaßte auch den Block mit beiden Armen — und das Geschirr, aus Angst, es könnte von dem Stein abgleiten — und hob an. Der Felsblock bewegte sich. Louis drehte sich um hundertachtzig Grad und ließ den Block wieder los. Er setzte sanft auf der Erde auf.
Sah er Respekt in ihren Augen? Galt er seiner Technologie oder seiner Stärke? Er schaltete die Energiezufuhr wieder ab, nahm das Fluggeschirr unter den Arm, klemmte das Superleiter-Tuch unter den rechten Ellenbogen und bewegte sich vor ihr her auf den Kastenwagen zu. Sie öffnete die Doppeltüren an der Seiten wand. Er legte seine Last wieder ab und sah sich um.
Je eine Bank an den Seitenwänden und der Hinterwand; ein winziger Ofen in der Mitte. Im Dach eine Luke als Rauchabzug. Hinter dem Rücksitz Gepäckstapel. Noch eine Bank an der Vorderseite, die in Fahrtrichtung blickte.
Rückwärts gehend, verließ er das Fahrzeug wieder. Er machte einen Schritt auf den Wolkenkratzer-Turm zu und blickte sie fragend an. Sie begriff, was er wollte. Sie zögerte einen Moment und gab ihm dann mit einem Handzeichen ihre Erlaubnis.
Die Toten begannen bereits zu riechen. Er fragte sich, ob sie die Leichen verbrennen oder bestatten wollte. Aber sie ging durch die Reihen der Toten hindurch, ohne anzuhalten. Nur Louis blieb stehen, bückte sich und untersuchte mit den Fingern das Silberhaar einer toten Frau.
Da war zuviel Haar, zuwenig Schädel. Sie war schön, aber ihr Gehirn war kleiner als das eines Menschen. Er seufzte und ging weiter.
Die Frau begleitete ihn durch das erdverhaftete Gebäude, dann zu der Spiraltreppe des Wolkenkratzers, das von diesem Gebäude gestützt wurde. Er ging die Treppe hinunter in den Keller. Dort lag ein toter Mann ihrer Spezies, und neben ihm lag der Handscheinwerfer-Laser. Als er auf die Frau zurücksah, entdeckte er Tränen in ihren Augen.
Er hob den Handscheinwerfer-Laser auf, und sie schoß knapp daneben. Der Querschläger traf ihn an der Hüfte, und er zuckte heftig in seinem Schutzanzug zusammen, der plötzlich so steif war wie Eisen. Dann wich er bis zur Wand zurück, während sie den Laser aufhob.
Sie entdeckte den Schalter, und das Licht tanzte im breiten Kegel um sie her. Sie entdeckte, wie man den Brennpunkt einstellen mußte. Sie nickte und schob das Gerät in die Tasche ihrer Hose.
Auf dem Rückweg zum Kastenwagen ließ Louis wie beiläufig die Maske des Schutzanzuges über sein Gesicht fallen, als würde ihn sonst die Sonne blenden. Vielleicht hatte sie mehr als genug von Louis Wu und wollte nicht mit ihm zusammen verreisen.
Sie schoß nicht auf ihn. Sie kletterte in den Wagen und sperrte die Tür mit einem Schlüssel ab. Einen Moment lang sah Louis sich in dieser verfallenen Stadt gestrandet — ohne Wasser, ohne Werkzeuge. Aber sie winkte ihm zu, daß er an das Fenster des rechten Wagenschlages treten sollte, wo sich die Armaturen befanden. Sie zeigte ihm mit Gesten, wie er den Wagen in Gang setzen und lenken konnte.
Das war der Durchbruch, den Louis sich erhofft hatte. Er wiederholte die Worte, die sie ihm durch das Fenster zurief, und fügte die Übersetzung in seiner Sprache hinzu: »Steuerring. Wender. Anlasser. Schlüssel. Gashebel. Gashebel rückwärts.« Sie beherrschte die Zeichensprache ganz gut. Eine Hand, die durch die Luft fuhr, und ein Finger, der ein Nadelventil andeutete war ein »Luftdruck-Geschwindigkeitsmesser«.
Sie erschrak, als die Übersetzungsbox plötzlich zu reden begann. Dann setzte sie den Sprachunterricht eine Weile lang fort. Schließlich sperrte sie die Seitentür auf, rutschte auf der Bank zur Seite, zielte mit ihrer Waffe auf ihn und sagte: »Steig ein. Fahre.«
Der Motor war laut, und das Fahrgestell hatte noch nie etwas von Federn gehört. Es übertrug die kleinste Unebenheit direkt auf den Fahrersitz, bis Louis um jedes Schlagloch, jeden Stein und jede Sandverwehung herumkurvte. Die Frau beobachtete ihn schweigend. War sie denn gar nicht neugierig? Er dachte daran, daß sie mindestens ein Dutzend Freunde an die Vampire verloren hatte. Unter diesen Umständen bewahrte sie eine bewundernswerte Fassung.
Endlich sagte sie: »Ich bin Valavirgillin.«
»Ich bin Louis Wu.« »Du hast seltsame Werkzeuge. Den Sprecher, den Lift, das verstellbare Licht — was hast du noch?«
»Tanj, verdammt noch mal! Ich habe meine Schutzbrille vergessen!«