Dieser Schuß saß. »Ich werde dir einmal etwas von der Wonnestrom-Sucht erzählen. Aber nicht jetzt.«
Sie betrachtete ihn über die Metallschnauze ihrer Waffe hinweg. Trotz dieses Bartflaumes, der sich von einem Ohr zum anderen über den Kiefer hinzog, sah sie menschlich genug aus; nur etwas breit. Ihr Gesicht bildete fast ein perfektes Quadrat. Louis hatte Mühe, in ihrem Gesicht zu lesen. Das war kein Wunder; denn auf der Erde hatte sich das menschliche Antlitz zu einem Signalmittel entwickelt. Valas Spezies hatte diese Evolution nicht mitgemacht.
Er fragte: »Was wirst du jetzt unternehmen?«
»Ich muß die Toten melden. und die Artefakten aus der Wüstenstadt den Behörden übergeben. Dafür gibt es eine Belohnung. Aber das Imperium besteht darauf, daß ihr alle Artefakten der Städtebauer gehören.«
»Ich versichere noch einmal, daß sie mein Eigentum sind.«
»Fahr weiter!«
In der Wüste zeigten sich schon hin und wieder grüne Oasen, und die Sonnenblende schnitt bereits wieder ein Segment aus der Sonne, als Valavirgillin ihn zum Anhalten aufforderte. Er war froh darüber. Er war erschöpft von den Stößen, die die Straße ihm versetzt hatte, und der endlosen, ununterbrochenen Lenkarbeit, weil dieses Fahrzeug sich nicht selbst zu steuern vermochte.
Vala sagte: »Du wirst. essen.«
Sie waren inzwischen daran gewöhnt,daß der Übersetzer Worte ausließ. »Ich habe wieder etwas überhört, scheint mir.«
»Kannst du Nahrungsmittel erhitzen, bis man sie essen kann? Louis, kannst du — ?«
»Kochen.« Vermutlich hatte sie weder Pfannen dabei, in denen nichts anbrannte, noch einen Mikrowellenofen, oder etwa doch? Und wie stand es mit den Meßbechern, der Zuckerraffinade, der Butter, Gewürzen, die er kannte — »Nein.«
»Dann werde ich kochen. Du machst Feuer. Was ißt du?«
»Fleisch, gewisse Pflanzen, Früchte, Eier, Fisch. Früchte esse ich auch ungekocht.«
»Dann ißt du fast das gleiche wie mein Volk, von dem Fisch einmal abgesehen. Gut. Steig aus dem Wagen und warte.«
Sie sperrte die Türen ab, als er den Wagen verlassen hatte, und kroch hinter die Rückbank. Louis streckte sich. Seine Muskeln schmerzten. Die Sonne war jetzt nur noch ein gleißender Splitter, aber es war immer noch gefährlich, direkt in dieses Licht zu blicken. Die Wüste lag bereits im Schatten. Ein breites blaues Band mit reichgegliederter Landschaft glitzerte antispinnwärts über dem Horizont. Bräunliches, stacheliges Gras umgab ihn. In einiger Entfernung standen ein paar hohe, trockene Bäume beisammen. Einer der Bäume war kahlgrau. Er sah tot aus.
Sie kam jetzt ebenfalls ins Freie. Sie warf ihm etwas Schweres vor die Füße. »Fälle Holz und mach daraus ein Feuer.«
Louis hob den Gegenstand auf: ein längliches Holz mit einem Keil aus grobem Eisen am oberen Ende. »Vielleicht bin ich ein bißchen blöd — aber was ist das?«
Sie gab ihm die Bezeichnung dieses Gegenstandes. »Du schlägst mit dem scharfen Ende des Keils gegen den Baumstamm, bis er umfällt, kapiert?«
»Axt.« Louis erinnerte sich wieder an die Kriegsäxte, die er in dem Museum auf dem Kzin-Planeten gesehen hatte. Er betrachtete die Axt, dann den toten Baum. und plötzlich hatte er es satt. Er sagte: »Es wird rasch dunkel.«
»Siehst du nachts schlecht? Hier.« Sie warf ihm den Handscheinwerfer-Laser zu.
»Genügt dieser eine tote Baum dort drüben?«
Sie drehte sich um, zeigte ihm ein hübsches Profil, und ihre Handfeuerwaffe drehte sich mit ihr. Louis stellte rasch das Licht auf einen gebündelten Strahl mit hoher Intensität ein. Dann drückte er auf den Auslöser. Ein greller Lichtfaden schnitt über ihre Waffe. Die Waffe stieß eine Stichflamme aus und zerfiel in ihre Einzelteile.
Sie stand mit offenem Mund da und starrte auf den Kolben, der ihr noch in der Hand geblieben war.
»Ich bin gerne bereit, Anregungen von einem Freund oder Bundesgenossen entgegenzunehmen«, belehrte er sie, »aber ich habe es satt, mich herumkommandieren zu lassen. Mein pelzbewehrter Begleiter hatte das auch ständig mit mir versucht. Also laß uns Freunde sein.«
Sie ließ den Kolben der Waffe fallen und hob die Hände über den Kopf.
»Du hast noch mehr Kugeln und Waffen im Laderaum deines Fahrzeuges. Also bewaffne dich damit.« Louis drehte ihr gelassen den Rücken zu. Er ließ den Strahl im Zickzack über den toten Baumstamm gleiten. Ein paar Dutzend Scheite fielen brennend zu Boden. Louis ging zu dem zerlegten Baum und schob mit dem Fuß die brennenden Scheite zu einem Kreis um den Baumstumpf zusammen. Er setzte das Ganze mit einem Laserstrahl in Brand und sah zu, wie die Flammen sich über dem Baumstumpf schlossen.
Irgend etwas traf ihn zwischen die Schulterblätter. Eine Sekunde lang wurde sein Schutzanzug steif wie ein Brett.
Er hörte einen Knall hinter seinem Rücken.
Louis wartete einen Moment, aber es fiel kein zweiter Schuß. Er drehte sich um und ging zurück zu dem Kastenwagen. Er sagte zu Vala: »Tu das nie, nie, nie mehr wieder.«
Sie blickte ihn bleich und furchtsam an. »Nein, ich werde es nie wieder tun.«
»Soll ich dir helfen, die Kochutensilien zum Feuer zu tragen?«
»Nein, ich kann das. habe ich dich verfehlt?«
»Nein.«
»Wie kommt es dann, daß du.?«
»Eines meiner Werkzeuge rettete mich. Ich brachte es über eine Strecke, die tausendmal größer ist als die Entfernung, die das Licht in einem Falan reist, und dieses Werkzeug gehört mir.
Sie bewegte die Arme wie Flügel und wandte sich ab.
16. Die Strategie des Handels
Da war eine Pflanze, die über den Boden kroch und aussah wie eine endlose Kette von grüngelbgestreiften Würsten mit kleinen Luftwurzeln an den Gelenken. Valavirgillin schnitt ein paar von diesen Würsten ab und warf sie in einen Topf. Sie goß Wasser dazu, fügte ein paar Samenkapseln hinzu, die sie einem Sack aus ihrem Kastenwagen entnahm. Sie stellte den Topf auf die brennenden Scheite.
Tanj, das hätte Louis auch fertiggebracht. Das Essen würde bestimmt nicht in einem Rezeptbuch für Feinschmecker aufgenommen werden.
Die Sonne war inzwischen vollkommen hinter der Schattenblende verschwunden. Eine dichte Gruppe von Sternen backbords mußten die Lichter der fliegenden Stadt sein. Der Ringwelt-Bogen stieg, blauweiß gestreift, senkrecht in den schwarzen Himmel hinauf. Louis hatte das Gefühl, als befinde er sich auf einem unglaublich großen Spielzeugreifen.
»Ich wünsche nur, ich hätte auch ein Stück Fleisch«, sagte Vala.
Louis sagte: »Gib mir meine Schutzbrille.«
Er drehte sich vom Feuer fort, ehe er die Brille aufsetzte. Er schraubte den Lichtverstärker höher. Das Augenpaar, das ihn von einer Stelle jenseits des Lichtkreises beobachtet hatte, löste sich auf. Louis war froh, daß er nicht blindlings darauf geschossen hatte. Zwei größere Gestalten und eine kleinere entpuppten sich als eine Familie von Kobolden.
Aber ein helläugiger Schatten war klein und trug ein Fell. Louis köpfte sie mit einem langen hellen Faden seines Lasers. Die Kobolde zuckten zusammen. Sie flüsterten miteinander. Der weibliche Kobold bewegte sich auf das tote Tier zu, blieb aber dann stehen, um Louis den Vortritt zu lassen. Louis hob das tote Tier auf und beobachtete dann wieder den weiblichen Kobold.
Die Kobolde schienen keine Furcht zu haben. Das lag wohl daran, daß ihr Platz in der Ökologie respektiert wurde. Vala hatte ihm gesagt, was geschah, wenn ein Volk sich der beträchtlichen Mühe unterzog, seine Toten zu begraben oder zu verbrennen. Die Kobolde griffen dann die lebendigen Vertreter dieses Volkes an. Ihnen gehörte die Nacht. Aus zahllosen örtlichen Religionen hatte sich der allgemein verbreitete Aberglaube herauskristallisiert, daß Kobolde sich unsichtbar machen könnten. Selbst Vala glaubte an ihre magischen Kräfte.