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Aber warum hinderten sie jetzt nicht Louis daran, den Kadaver zu bergen? Warum sollten sie? Louis würde dieses Tier essen, und eines Tages würde auch Louis sterben, und die Kobolde würden dann ihren Tribut fordern.

Während sie ihn seinerseits beobachteten, untersuchte er seine Beute: ein kaninchenähnliches Wesen mit langem abgeflachten Schwanz und ohne Vorderpfoten. Kein Hominide. Gut.

Als er aufsah, entdeckte er eine schwach fluoreszierende violette Flamme weit drüben auf Backbord.

Er hielt den Atem an und wagte kaum den Kopf zu bewegen, während er sowohl die Vergrößerung wie auch die Lichtverstärkung höher schraubte. Selbst der Pulsschlag in seinen Schläfen verzerrte nun das Bild, das er mit seinen Okularen einfing, doch er wußte, was er sah. Die vergrößerte Flamme wurde zu einem tränendrüsenreizenden Violett, und es breitete sich aus wie ein Raketen-Feuerschweif im Vakuum. Das Ende dieses Schweifes wurde von einer geraden schwarzen Linie durchschnitten: Die Mauerkrone der Ringwand an Backbord.

Er nahm die Brille ab. Nachdem sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, war die violette Flamme gerade noch sichtbar. Doch sie hielt sich hartnäckig. und riesenhaft.

Louis kehrte zum Lagerfeuer zurück und warf Vala die Beute vor die Füße. Er ging hinüber nach Steuerbord und setzte wieder die Brille auf.

Die Flamme an Steuerbord schien in der Vergrößerung viel gewaltiger zu sein; aber das war selbstverständlich. Dort war die Ringmauer viel näher.

Vala häutete das kleine Pelzwesen und warf es in den Topf, ohne die Eingeweide zu entfernen. Als sie sich wieder am Feuer aufrichtete, faßte Louis sie am Arm und führte sie aus dem Kreis des Feuers hinaus. »Warte ein wenig, und dann sag mir, ob du dort drüben am Horizont eine blaue Flamme erkennen kannst.«

»Ja, ich sehe sie.«

»Weißt du, was das ist?«

»Nein, aber ich glaube, mein Vater weiß es. Es gibt Dinge, über die er nicht gerne spricht. Das letztemal, als er aus der Stadt zurückkam, schien er sehr bedrückt zu sein. Dort drüben sind noch mehr Flammen. Du mußt nur nach spinnwärts sehen, wo der Bogen sich über dem Horizont erhebt.«

Ein greller blauweißer waagerechter Streifen über dem Horizont blendete seine Augen. Louis deckte ihn mit der ausgestreckten Hand ab. und jetzt, während er die Schutzbrille zu Hilfe nahm, konnte er noch zwei kleine Kerzenflammen am Rand des Himmelspfeilers ausmachen. Darüber sah er noch zwei, winzig wie Stecknadeln.

Valavirgillin sagte: »Die erste Flamme bemerkten wir schon vor sieben Falans. Sie befand sich knapp über der Basis des Himmelspfeilers spinnwärts. Dann kamen noch ein paar Flammen dazu, diese großen dort drüben an Backbord und Steuerbord. Dann noch welche auf dem Bogen antispinnwärts. Inzwischen sind es einundzwanzig Fackeln. Man sieht sie nur zwei Tage lang, wenn die Sonne am heißesten ist.«

Louis seufzte hörbar. Es war ein Seufzer der Erleichterung.

»Louis, ich habe keine Ahnung, was es bedeutet, wenn du solche Geräusche machst. Bist du dann böse, erschrocken oder erleichtert?«

»Ich weiß es selbst nicht genau. Sagen wir, ich sei erleichtert. Wir haben doch mehr Zeit, als ich glaubte.«

»Zeit, wofür?«

Louis lachte. »Hast du denn nicht schon genug von meiner Verrücktheit?«

Sie ging nicht auf den Scherz ein. Sie entrüstete sich: »Schließlich bleibt es mir überlassen, ob ich dir glaube oder nicht!«

Das nahm ihr nun Louis wiederum übel. Er haßte diese Frau nicht, aber sie besaß einen dornigen Charakter und hatte schon einmal versucht, ihn umzubringen. »Schön. Wenn dieses ringförmige Gebilde, auf dem du lebst, sich selbst überlassen bleibt, wird es gegen die Schattenblenden stoßen — diese rechteckigen Gebilde, die die Sonne verdecken, wenn es Nacht wird. In fünf oder sechs Falans wird es soweit sein. Dann wird alles auf dieser Welt sterben. Nichts Lebendiges wird sich noch auf dieser Welt bewegen, wenn sie mit der Sonne selbst zusammenstößt.«

Sie schrie: »Und du seufzt erleichtert?«

»Gemach, gemach. Die Ringwelt ist sich nicht selbst überlassen. Diese Flammen stammen von Motoren, die die Ringwelt bewegen. Wir befinden uns jetzt fast am sonnennächsten Punkt, und sie benützen Bremsdüsen —, die ihren Schub nach innen richten, gegen die Sonne. Das wirkt sich folgendermaßen aus.« Er zeichnete ihr mit einem Stock eine schematische Skizze in den Sand. »Verstehst du jetzt? Sie versuchen, die Ringwelt von der Sonne wegzubringen.«

»Bedeutet das jetzt, daß wir nicht sterben werden?«

»Die Motoren werden nicht ausreichen. Aber sie werden die Katastrophe hinauszögern. Wir können noch mit zehn oder fünfzehn Falans rechnen.«

»Ich hoffe jetzt inbrünstig, daß du verrückt bist, Louis. Du weißt zuviel. Du weißt, daß diese Welt ein Ring ist, und das ist ein streng gehütetes Geheimnis.« Sie bewegte die Schultern, als wollte sie ein Gewicht verlagern. »Ja, ich habe genug davon.«

Kannst du mir sagen, warum du mir nicht das Rishathra angeboten hast?«

Das überraschte ihn. »Ich hätte gedacht, du hättest bis zum Ende deines Lebens genug vom Rishathra

»Das ist kein Spaß. Rishathra ist die feierliche Besiegelung eines Waffenstillstandes!«

»Oh. Also gut. Zurück zum Feuer?«

»Natürlich. Wir brauchen Licht dafür.«

Sie hob den Topf aus der Flamme und stellte ihn an den Rand des Feuers, damit das Essen nur noch langsam weiterkochte. »Wir müssen uns über die Bedingungen unterhalten. Bist du bereit, mir zu versichern, daß du mir nichts antun wirst?« Sie setzte sich ihm gegenüber auf den Boden.

»Ich bin bereit, dir nichts anzutun, solange du mich nicht angreifst.«

»Ich mache die gleiche Konzession. Was verlangst du noch von mir?«

Sie war jetzt sachlich und nüchtern, und Louis paßte sich ihrem Ton an. »Du wirst mich mit deinem Wagen so weit mitnehmen, wie sich das mit deinen eigenen Pflichten vereinbaren läßt. Ich würde sagen, du nimmst mich mindestens bis — ja — bis zum Umkehr der Flüsse mit. Du wirst die Artefakten als mein Eigentum betrachten. Du wirst weder sie noch mich den Behörden übergeben. Du wirst mir nach bestem Wissen und Gewissen helfen, daß ich die fliegende Stadt betreten kann.«

»Und was bietest du mir als Gegenleistung?«

Moment mal — war diese Frau ihm nicht vollkommen ausgeliefert? Nun, wenn schon. »Ich werde herauszufinden versuchen, ob ich die Ringwelt retten kann«, sagte er, und dabei stellte er mit leichter Verwunderung fest, daß das sein innigster Wunsch war. »Wenn ich es kann, werde ich es tun, ganz gleich, was es kostet. Wenn ich überzeugt bin daß die Ringwelt nicht gerettet werden kann, werde ich versuchen, mich zu retten und dich, falls das möglich ist.«

Sie stand auf. »Das ist ein Versprechen, das überhaupt keine Bedeutung hat. Du bietest mir deine Verrücktheit an, als hätte sie einen Wert!«

»Vala, hast du noch nie mit Verrückten zu tun gehabt?« erwiderte Louis belustigt.

»Ich habe bisher nicht einmal mit vernünftigen fremden Wesen verhandelt! Schließlich bin ich immer noch Studentin an der Handelsschule!«

»Beruhige dich. Was kann ich dir noch anbieten? Wissen? Meine Kenntnisse teile ich freiwillig mit dir. Ich weiß, weshalb die Maschinen der Städtebauer versagten und wüßte auch ein Heilmittel dagegen.« Er durfte wohl von der gesicherten Erkenntnis ausgehen, daß die Städtebauer zu Halrloprillalars Gattung gehörten.

»Noch mehr Verrücktheiten?«

»Darüber mußt du dir schon dein eigenes Urteil bilden. Und. ich kann dir mein Fluggeschirr und meine Brille überlassen, wenn ich meinen Auftrag erfüllt habe.«

»Und wann sollte das sein?«

»Ich könnte sie entbehren, wenn und sobald mein Begleiter zu mir zurückkehrt.« Das Landungsboot war noch mit einem Fluggeschirr und einer Schutzbrille ausgerüstet, die eigentlich für Halrloprillalar gedacht waren. »Oder du kannst beides haben, falls ich sterbe. Ich könnte dir sofort die Hälfte meines Tuchvorrates geben. Mit Streifen von diesem Tuch könntest du die Maschinen der Städtebauer reparieren, die vor langer Zeit ihren Geist aufgegeben haben.«