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Deshalb war es nicht ratsam, auch nur einen Moment seine Aufmerksamkeit von der Landschaft abzulenken.

Und dann bemerkte er plötzlich, daß es eine sehr schöne Landschaft war. Kerzengerade Bäume trugen in einer Höhe von anderthalb Metern wundervolle Blüten. Louis beobachtete einen gewaltigen Vogel, der sich in einer Blüte niederließ. Der Vogel erinnerte ihn an einen großen Adler, nur daß dieser Vogel statt eines gebogenen Schnabels einen spitzen langen Saugrüssel hatte. Er sah die Ellenbogenwurzeln, eine viel größere Abart dieser Pflanze, die ihm schon bei seinem ersten Besuch auf der Ringwelt, ungefähr neunzig Meilen entfernt von hier, aufgefallen war. Und sie bildeten ein dichtes Gestrüpp willkürlich angeordneter Zäune. Hier wuchs auch die Leberwurstpflanze, von der sie gestern nacht gegessen hatten. Und dann stieg plötzlich eine Wolke von Schmetterlingen auf, die auf diese Entfernung große Ähnlichkeit mit den Schmetterlingen der Erde hatten.

Es sah alles so wirklich aus. Die Pak-Protektoren hatten keinen Sinn für grazile, schmächtige Gebilde, nicht wahr? Aber die Pak hatten auch ein enormes Vertrauen zu ihren Werken und zu ihrer Fähigkeit, alles zu reparieren, sogar aus dem Nichts neue Werkzeuge zu erfinden.

Und all seine Spekulationen ergründeten sich auf die Aussage eines einzigen Mannes, der bereits siebenhundert Jahre tot war: auf das Zeugnis von Jack Brennan, dem Goldsucher auf dem Asteroidengürtel, der auch die Pak nur in einem einzigen Vertreter zu Gesicht bekommen hatte. Ehe Lebensbaumpflanze hatte Brennan selbst in menschliche Protektoren-Gestalt versetzt — mit Schuppenhaut, einem zweiten Herzen, vergrößertem Gehirnkasten und ähnliches. Vielleicht war er durch diese Metamorphose wahnsinnig geworden. Oder Phssthpok war ein atypischer Vertreter seiner Rasse gewesen. Und Louis Wu, der sich auf Jack Brennans Urteil über Phssthpok, den Pak, stützte, versuchte jetzt wie ein Wesen zu denken, das zugegebenermaßen intelligenter war als er.

Aber es mußte ja ein Mittel geben, um das alles zu retten.

Der Chaparral wurde jetzt spinnwärts von den Leberwurstpflanzen abgelöst, während antispinnwärts sich ein kahles weitflächiges Hügelland ausbreitete. Plötzlich sah Louis die Tankstelle vor sich auftauchen. Es war ein ziemlich großer Betrieb, eine chemische Fabrik mit einer Siedlung, die sich an manchen Stellen schon zu einer kleinen Stadt auswuchs.

Vala rief vom Fahrersitz zu ihm hinauf: »Schließe den Rauchabzug. Bleibe im Wagen und laß dich nicht sehen.«

»Bin ich illegal?«

»Du bist ungewöhnlich. Es gibt Ausnahmen, aber ich muß zuerst eine Erklärung liefern, warum du mein Fahrgast bist. Meine Erklärung wird nicht sehr glaubwürdig klingen.«

Sie hielten neben der fensterlosen Wand der Fabrik. Durch das Wagenfenster beobachtete Louis, wie Vala mit langbeinigen, breitbrüstigen Leuten verhandelte. Die Frauen waren sehr eindrucksvoll mit ihren großen Titten auf ihren großen Brüsten; aber Louis hätte ihnen keinen Schönheitspreis gegeben. Alle Frauen hatten lange dunkle Haare, die ihre Stirnen und Wangen bedeckten, und ein winziges, T-förmiges Gesicht einrahmten.

Louis duckte sich hinter der Rückenlehne des Fahrersitzes, während Vala Päckchen durch die Ladetür schob. Bald waren sie wieder unterwegs.

Eine Stunde später, weit weg von jeder menschenähnlichen Behausung, lenkte Vala den Wagen über die Straßenböschung. Louis kletterte von seinem Ausguck herunter. Er war heißhungrig. Vala hatte Lebensmittel eingekauft, einen großen, geräucherten Vogel und Nektar von den Riesenblüten. Louis schlug die Zähne in das Fleisch des Vogels. Dann fragte er: »Ißt du nichts?«

Vala lächelte. »Nicht bis heute abend. Aber ich werde etwas mir dir zusammen trinken.« Sie trug eine Flasche aus buntem Glas zum Heck des Fahrzeuges und schüttete daraus eine klare Flüssigkeit in den Nektar. Sie trank und gab das Trinkgefäß anschließend an ihn weiter. Louis trank ebenfalls.

Es war natürlich Alkohol. Auf der Ringwelt konnte es unmöglich Ölquellen geben; aber eine Alkoholbrennerei konnte man überall bauen, wo es Pflanzen gab, die sich fermentieren ließen. »Vala, haben die — ah — die Untertanen deines Imperiums manchmal einen zu großen Durst auf dieses Zeug?«

»Manchmal.«

»Und was tut ihr dagegen?«

Diese Frage überraschte sie. »Sie lernen. Manchmal werden sie vom Trinken wertlos. Sie überwachen sich gegenseitig, falls das nötig ist.«

Das war das Wonnestrom-Problem en miniature, mit der gleichen Lösung: die Zeit und die natürliche Auslese sorgten für Heilung. Es schien kein Problem für Vala zu sein. Louis konnte es sich nicht leisten, sich mit diesem Problem zu beschäftigen. Er fragte: »Wie weit ist es noch bis zur Stadt?«

»Drei oder vier Stunden bis zur Luftstraße. Aber dort würden wir angehalten. Louis, ich habe mir deinetwegen Gedanken gemacht. Warum kannst du nicht einfach in die Stadt hinauffliegen?«

»Du sagst es. Ich bin ganz dafür, wenn niemand auf mich schießt. Was glaubst du — würde jemand auf einen fliegenden Mann schießen? Oder würden sie mich erst anhören, ehe sie schießen?«

Sie nippte von dem mit Alkohol vermischten Nektar. »Die Regeln sind ziemlich streng, und niemand, der nicht zu den Städtebauern gehört, darf die Stadt betreten, wenn er nicht eingeladen ist. Aber bisher ist auch noch niemand in die Stadt geflogen!«

Sie reichte ihm wieder die Flasche. Der Nektar war süß, vergleichbar mit einem in Wasser aufgelösten Grenadin-Sirup, mit einem kräftigen Rachenputzer, der mindestens achtzig Prozent Alkohol enthalten mußte.

Er sah senkrechte Türme, die wie eine Lilienblüten-Rosette beisammenstanden, sich aber im Stil miteinander überhaupt nicht vertrugen: blockartige Gebäude, nadelförmige Strukturen, die sich unten und oben verjüngten.

Durchsichtige, plattenartige Gebilde, polyedrische Zylinder, eine schlanker Kegel, der mit der Spitze nach unten zeigte. Manche Türme schienen nur aus Glas zu bestehen; andere wieder nur aus Balkonen. Anmutig geschwungene Brücken oder breite schnurgerade Rampen verbanden die Gebäude im unmöglichsten Winkel. Wenn man auch einräumte, daß die Baumeister dieser architektonischen Gebilde nicht hundertprozentige Menschen waren, mußte Louis sich trotzdem noch wundern, wie überhaupt jemand sich so etwas als sinnvolle Architektur vorstellte. Es war grotesk.

»Sie müssen sich hier aus einem Umkreis von mehreren tausend Meilen versammelt haben«, sagte er. »Als die Energieversorgung zusammenbrach, gab es immer noch Gebäude mit unabhängigen Kraftstationen. Sie sammelten sich dann hier zu einem letzten Aufgebot und wurden von Prills Leuten zu einer Kommune vereinigt. So muß diese Stadt entstanden sein, nicht wahr?«

»Niemand weiß es. Aber Louis, du redest, als wärest du ein Augenzeuge gewesen!«

»Du bist von Geburt an an diese Stadt gewöhnt. Du siehst sie nicht so wie ich.« Er wandte nicht einen Moment den Blick von der Stadt.

Da war eine Brücke, die von einem niedrigen, fensterlosen Gebäude auf der Kuppe eines Hügels ausging und sich in einer anmutigen Kurve hinaufschwang zu dem Fundament einer riesigen kannelierten Säule. Eine gegossene Steinstraße lief von dort zurück und mündete wieder vor dem Gebäude auf der Kuppe.

»Ich vermute, daß die geladenen Gäste sich zuerst in dem Gebäude auf der Hügelkuppe melden müssen, ehe sie die Brücke betreten dürfen.«

»Selbstverständlich.«

»Was passiert in diesem Gebäude?«

»Man durchsucht sie nach verbotenen Gegenständen. Dann werden sie verhört. Wenn die Städtebauer sich das Recht herausnehmen, nur ausgewählte Leute in die Stadt zu lassen, nun, so gilt das Recht auch für uns. Zuweilen versuchen terroristische Elemente, Bomben in die Stadt zu schmuggeln. Söldner, die von den Städtebauern gemietet wurden, hatten heimlich versucht, Ersatzteile für die magischen Wasserzisternen in die Stadt zu schmuggeln.«